Jean Georges Noverre


1727 – 1810


Noverre war Schüler von Louis Dupré und vermutlich bereits anläßlich der legendären Vaudeville-Premiere Favarts im Juni 1743 (Le Coq du Village) bereits Mitglied der Tanz-Compagnie. Sein Name scheint erstmals im August dieses Jahres auf einem Programmzettel von L’Ambigue de la Folie auf.Noverre wurde zu einem der Wegbereiter des modernen Handlungsballetts (»Ballet d’action«). Erste Sporen als Choreograph verdiente sich der auch in Berlin erfolgreiche Tänzer in Lyon und Marseille, vermutlich auch in Straßburg. Die Quellenlage ist einigermaßen dürftig, doch war Noverre 1751 nachweislich an der Pariser Opéra Comique tätig. Seine Métamorphoses Chinoises wurden ungemein populär und sorgten dafür, daß der Choreograph einen Ruf nach London erhielt, wo er auf königliches Geheiß
a grand Entertainment of Dancing, called »The Chinese Festival«
aufführte.

Engagements als Ballettmeister führten Noverre dann nach Lyon und Stuttgart, wo ihm Herzog Eugen von Württemberg ein großzügiges Budget bewilligte, um seine Vorstellungen von einem modernen Tanztheater zu realisieren. Noverres Truppe wuchst auf 14 Solotänzer und über 40 Mitglieder des Corps de ballet an.

Mangel an weiteren Zuwendungen führten zu Noverres Abschied. Der nunmehr bereits höchst selbstbewußte Künstler, der sein Leben seit 1757 in Tagebuchnotizen festhielt, ging an den kaiserlichen Hof nach Wien, wo er für das Burgtheater und das Kärtnertortheater neue Werke schuf. Die führenden Komponisten schrieben für ihn Ballettmusik, darunter Aspelmayr und, am bedeutendsten, Joseph Starzer. Für Opern Glucks schuf Noverre die großzügig gestalteten Tanz-Einlagen.

Noverre und auserwählte Tänzer begleiteten Kaiser Joseph II. auf seine Reise zu Friedrich II. nach Berlin, um ihre Künste zu präsentieren. Eigene Choreographien schuf Noverre auch für Fürst Esterházy in dessen Opernhaus in Esterháza.

Josephs II. Schwester Maria Antoinette holte Noverre dann nach Paris, wo er zum Ballettmeister der Académie royale de Musique und Leiter der Fêtes de Trianon wurde. Doch litt Noverre in Paris – das stets sein Traumziel geblieben war – unter den Ränkespielen des höfischen künstlerischen Personals. Ein Teil der Tänzer stellte sich offen gegen ihn. Die Scharmützel zermürbten Noverre, der 1781 freiwiliig aus der Académie ausschied, um ans Londoner King’s Theatre zu wechseln, wo er unangefochten Triumphe feiern konnte.

Immer wieder aktiv in französischen Metropolen wie Lyon, wurde London – auch wegen der Revolutionswirren in Frankreich, die ihn um sein Vermögen brachten – zu seiner wichtigsten Stadt.
Mit seinen Handlungsballetten erfüllte Noverre die Forderungen der zeitgenössischen Avantgarde um Rousseau und Voltaire nach Natürlichkeit und Menschennähe der Kunst. In seinen Lettres sagte er bereits 1760 der Tradition des prächtigen Ausstattungsballetts den Kampf an. Daß die Zeitgenossen → Angiolini zu seinem Gegenspieler machten, bedeutete den Nachgeborenen wenig: Beide Meister schufen im Verein mit → Hilverding die Grundlage für die Entwicklung des romantischen Ballett-Dramas (»Ballet d’action«), ohne das virtuose Figurenballett (»Divertissement«) ganz zu verbannen.

Noverres hochfliegende Pläne für ein tänzerisch-musikalisches Gesamtkunstwerk wurden freilich erst von späteren Generationen wieder aufgenommen. Gedanklich ist er in gewisser Weise sogar der Vorläufer von kühnen Konzepten, wie sie Serge Diaghilev mehr als 100 Jahre später realisieren sollte.

Für Noverres eigene Arbeit war die Zusammenarbeit mit Komponisten wie → Starzer, die auf die dramaturgischen Vorstellungen der Choreographen eingingen, stilbildend. Mit Starzer und Aspelmayr schuf Noverre in Wien mehraktige Tanz-Dramen (etwa Acis et Galathée, Agamemnon, Iphigenie en Tauride, Les Amours d’Enée et Didon oder Gli Orazi egli Curiazi) die wohl den Höhepunkt seiner künstlerischen Entwicklung darstellten.