Tristan und Isolde

Die Hieroglyphe der Moderne

Vor 150 Jahren wurde in München »Tristan und Isolde« uraufgeführt, ein Werk, das wie kein anderes Epoche gemacht hat. Mit dem berüchtigten »Tristan«-Akkord begann die musikalische Moderne. Die Wurzel bilden Liebe und Todesfurcht.

Ob sich jemand im Auditorium der Münchner Hofoper im Klaren darüber war, daß er einem historischen Ereignis beigewohnt hatte? Vielleicht ja, die Wehen, die zu dieser Geburt geführt hatten, waren so ausdauernd, so heftig gewesen, daß zumindest einige der Begleitumstände lange vor dem Premierendatum bekannt, ja berüchtigt waren. Am 10. Juni 1865 erblickten Richard Wagners »Tristan und Isolde« das Bühnenlicht. Von den epochemachenden Uraufführungen im Verlauf der Musikgeschichte war dies, »Sacre du printemps« hin oder her, die epochemachendste.

Vielleicht ist der unmögliche Superlativ in diesem Fall erlaubt. Um Strawinskys Ballettmusik von 1913, später die »Atombombe in der Musikgeschichte« genannt, konnten folgende Generationen dank der stilistischen Diversifikationen im 20. Jahrhundert einen Bogen machen. »Tristan« aber wurde zum Prüfstein für jeden, der nach Wagner noch Opern zu schreiben wünschte, für jeden, der an künstlerischen »Fortschrittq glaubte.

Es gab kein Zurück nach den harmonischen Kühnheiten dieses Werks. Der sogenannte »Tristan«-Akkord verkündete als Hieroglyphe der Moderne die Emanzipation der Dissonanz. Selbst Italiens letzter großer Melodiker, Puccini, notiert in den Skizzen zum Finale seiner unvollendeten »Turandot»: poi Tristano (»dann Tristan«). Was da wohl zu erwarten gewesen wäre?

für SINKOTHEK-ABONNENTEN

Upgrade unter MEIN ABONNEMENT/Subscriptions