Raphaela Gromes wieder in den Charts

Im Gespräch. Mit der CD „Fortissima“ stürmt die Cellistin Raphaela Gromes die Klassik-Charts. Im gleichnamigen Buch erzählt sie von den Komponistinnen, die sie wiederentdeckt hat. Die einzige Österreich-Präsentation gibt es in Reichenau an der Rax.

Im Vorjahr landeten die Cellistin Raphaela Gromes und ihr Duopartner Julian Riem mit ihrer CD „Femmes“ einen Sensationserfolg und belegten über Wochen Spitzenplätze in den Klassik-Charts. Auch das jüngste Album „Fortissima“ landete sofort auf Platz eins – und widmet sich erneut dem Schaffen von Komponistinnen. Schon „Femmes“ hat auch Kenner in Erstaunen versetzt: Wie viel gute Musik wurde „verschwiegen“, weil sie von Frauen geschrieben wurde! Diesmal geht die (wiederum bei Sony erschienene) CD Hand in Hand mit einem gleichnamigen Buch, in dem Raphaela Gromes über ihre Recherchen berichtet. Bei der einzigen Österreich-Präsentation am 8. November im Schloss Wartholz in Reichenau wird die Schauspielerin Patricia Aulitzky aus dem Buch lesen und durch das musikalische Programm führen.

Es geht an die Wurzeln: Gromes sieht eine konsequente Unterdrückung weiblicher Kreativität schon in jener Ära vor einem Jahrtausend, in der die europäische Kunstmusik sich langsam aus dem einstimmigen Gesang der katholischen Kirche heraus zu entwickeln begann. Wie bei Hildegard von Bingen, die heute ein Begriff ist, weil sie uns als Naturheilerin für Körper und Seele mit guten Ratschlägen versorgt. „Sie war aber auch eine begnadete Komponistin und hat sogar abendfüllende Unterhaltungsmusik geschrieben“, weiß Gromes. Man versuchte die Äbtissin Restriktionen zu unterwerfen, weil die Nonnen in ihrem Kloster ihr geistliches Singspiel „Ordo virtutum“ über den Kampf der guten gegen die bösen Mächte in uns mit offenen Haaren sangen und tanzten.

Kämpferische Hildegard von Bingen

Hildegard war nie um eine Antwort verlegen. Sie schrieb: „Diejenigen, die der Kirche in Bezug auf das Singen des Gotteslobes Schweigen auferlegen, werden keine Gemeinschaft haben mit dem Lob der Engel im Himmel.“ Musik kam „von Gottes Gnaden“, also sollten alle sie machen und genießen dürfen. Womit auch der spirituelle Freibrief für das Album „Fortissima“ erteilt wäre. Der Titel ist mit Bedacht gewählt, denn so manche Komponistin, die Gromes und Riem entdeckt haben, hat sich ihren Zeitgenossen mit großem Aplomb präsentiert. Zum Beispiel Maria Szymanowska: Sie war, erzählt Gromes, „die erste Frau, die Berufspianistin wurde und nicht aus einer Musikerfamilie stammte“. Zudem gilt sie heute als Wegbereiterin Chopins, und Goethe sprach von ihr als einem „weiblichen Vulkan“. Szymanowskas Mann wollte ihr nach der Hochzeit eine zehnjährige Auftrittspause auferlegen. „Aber Maria hat das nicht lang geduldet und sich wieder von ihm getrennt“, für eine Mutter von drei Kindern in dieser Zeit „ein erstaunlich mutiger Schritt“. Doch sie konnte ihre Familie erhalten. 1822 machte man sie am Zarenhof zu St. Petersburg zur Ersten Hofpianistin.

Und der Chopin-Bezug? „Es war Szymanowska, die Nocturnes und Balladen als eigenständige romantische Klavierstücke in Polen etablierte“, womit sie „Chopin beeinflusst hat“. Doch so beliebt sie zu Lebzeiten war: Man hat sie rasch vergessen.

Mehr wissen wir über das Leben von Luise Adolpha Le Beau, weil sie eine Autobiografie verfasst hat. Viele sehen in diesen Lebenserinnerungen eine Abrechnung mit der Musikwelt, die Verbitterung und Enttäuschung einer sehr sensiblen Komponistin. Gromes sieht es anders: „Mir kommt es eher so vor, als wolle eine sehr intelligente und eher bescheidene Frau ihrer Nachwelt mit einem gewissen heimlichen Stolz ihre Geschichte erzählen.“ Sie sammelte und archivierte auch akribisch ihre Werke samt den Rezensionen, „damit sie nicht in Vergessenheit geraten“.

„Merkwürdige Logik im Mädchenkopf“

In Wien schrieb der Kritiker Ludwig Speidel über Le Beau: „Es ist merkwürdig, welche Logik in diesem Mädchenkopf steckt, über welche Hilfsmittel sie verfügt, wie männlich sie die musikalischen Formen beherrscht. Frl. Le Beau ist eine der besten Pianistinnen und ohne Zweifel die erste Komponistin unserer Zeit.“ Sie errang sogar das höchste Lob, zu dem Zeitgenossen fähig waren: „Le Beau komponiert wie ein ganzer Mann“, zitiert Gromes lachend.

Locker und launig breitet die Cellistin in ihrem Buch (erschienen im Goldmann-Verlag) die Notizen über Leben und Schaffen der Komponistinnen aus. Wo immer das möglich ist; oft sind die Geschichten ja alles andere als fröhlich.

Aber immer klingt die Musik dazu auf der CD faszinierend, spannend, hie und da auch packend dramatisch. Und jedenfalls auf eine virtuose Weise, klangschön und gefühlvoll modelliert – es bedarf solch außerordentlicher Interpreten, um auch eine kritische Hörerschaft von kaum bekannten Namen zu überzeugen. „Fortissima“ setzt damit den Weg von „Femmes“ fort.

Erster Platz dürfte länger bleiben

Schon kurz nach Veröffentlichung landete auch das neue Album auf Platz eins in den deutschen Klassik-Charts. Es ist zu vermuten, dass es dort eine Zeit lang verbleiben wird – und damit neben den bereits genannten Namen auch die von Henriëtte Bosmans, Victoria Yagling, Emilie Mayer, Mél Bonis, Marie Jaëll, Maria Herz und Elisabeth Kuyper.

Dazu kommen unsere Zeitgenossinnen Rebecca Dale (Jahrgang 1985) und P!NK (1979), die eigens für das Album komponiert haben. Die Werke für Cello und Orchester gestaltete Gromes mit dem Deutschen Symphonieorchester Berlin unter Anne Rakitina.

Konzert mit Präsentation in Schloss Wartholz in Reichenau am 8. November.