KULTURERBE
Kurt Schwertsik und die Freude an „Neuer Musik“
Er gehört zu den herausragenden Komponisten Österreichs, wurde gerade 90 Jahre alt und schreibt erstaunlicherweise „schöne“ Musik.
Mittlerweile ist das ja kein Geheimnis mehr: Komponisten der sogenannten „ernsten“ Musik schreiben heutzutage durchaus eingängige Musik. Nach den Happenings der Avantgarde, die das Publikum reihenweise aus den Konzertsälen vertrieb, ereignete sich eine – nicht von allen, aber von vielen mitvollzogene – Wende zu einer „Neuen Einfachheit“. So nannte man das mangels besserer Vokabeln in den Achtzigerjahren. Und plötzlich hieß es: Bei Uraufführung muss man sich nicht notwendiger Weise mehr die Ohren zuhalten.
Man schrieb hierzulande ein wenig später von einer „Dritten Wiener Schule“, die nach den Zwölfton-Experimenten der „Zweiten“ um Arnold Schönberg auch wieder Dur- und Moll-Akkorde, ja, sogar Melodien zuließ. Und Kurt Schwertsik, Wiener des Jahrgangs 1935, war einer der Exponenten. Er hatte die Abwendung von der Elfenbeinturm-Ästhetik der radikalen Moderne für sich schon längst vollzogen, begeisterte sich auch für Beatles und für Außenseiter wie Erik Satie und dessen klanglichem Minimalismus.
Bevor er aber – in enger Nachbarschaft zu seinem jüngeren Kollegen Heinz Karl ( „Nali“) Gruber „Stücke im Mob-Stil“ veröffentlichte, hatte er sich sehr wohl in die Techniken der avanciertesten Neutönerei vertieft. Er frequentierte die Darmstädter Ferienkurse, wo die reine Lehre der Schönberg-Nachfolge unterrichtet wurde. Man propagierte eine Musik, in der nicht nur die Tonhöhen zwölftönig organisiert werden sollte, sondern auch Tondauern und Dynamik sozusagen mathematisch berechenbar wurden.
Im Verein mit Friedrich Cerha gründete Schwertsik dann 1958 das Ensemble „die reihe“, das im Wiener Konzerthaus konsequent zeitgenössische Musik vorstellte, auch solche, die nicht unbedingt in dieses radikale Denkschema passen wollte. Damit begann schon der Aufbruch in jene Freiheit, die sich Schwertsik bald nehmen wollte. Dogmen aller Art waren und sind ihm bis heute „z‘wider“. Schaffenskrisen kannte er vermutlich nie, zumindest ab den frühen Sechzigerjahren nicht mehr. Dem Kollegen Gruber riet er einmal – und gar nicht ironisch: „Nali, wenn Du grad nicht weiß, welche Musik Du schreiben sollst, dann schreib einfach die Musik, die Du selber hören willst“.
Vom sympathischen Windhauch
Er selbst hat sich daran gehalten seither. Mit dem Erfolg, dass nicht nur, sondern auch das Publikum seine Musik wirklich gern hörte. Unvergesslich die Uraufführung seiner „Baumgesänge“ im Musikverein anlässlich eines „Wien modern“-Festivals in den frühen Neunzigerjahren: Da beherrschte einer sein Handwerk so gründlich, dass er selbst die Methoden der „Minimal Music“ integrieren konnte, ohne dass die Sache Gefahr lief, ins Billig-Beliebige abzugleiten. Bei allem Erfolg seiner Werke für Opernhaus und Konzertsaal ist Schwertsik nie auch nur einen Moment lang überheblich geworden. Er las das Buch Kohelet und lernte: Am Ende ist alles doch nur ein Windhauch.
Kurt Schwertsiks „Lüfterln“, oft sehr humorvoll grundiert, ließ man sich wirklich immer gern um die Ohren wehen!