Markus Poschners Einstand

Foto: Bayreuther Festspiele/Nawrath

Einhelliger Jubel in Bayreuth

Wagner-Festspiele 2022. Die Eröffnungspremiere, „Tristan und Isolde“, in den Augen eines Besuchers im Festspielhaus und in den Ohren des radiohörenden Musikkritikers.

Eine Rezension von Veit Welsch und Wilhelm Sinkovicz

Erstmals seit dem Eröffnungsjahr 1951 präsentierten die Wagner-Festspiele neben einer Neuinszenierung des „Ring des Nibelungen“ eine weitere Premiere: Angesichts von Ausfällen und Notbetrieb in den Pandemiejahren setzte Intendantin und Komponisten-Urenkelin Katharina Wagner zu einer Kraftanstrengung an und eröffnete die Festspiele mit der kurzfristig anberaumten Neuinszenierung von „Tristan und Isolde“.

Die Seuche machte aber auch der aktuellen Planung einen Strich durch die Rechnung: Pietari Inkinen, der den „Ring“ dirigieren sollte, erkrankte so schwer, dass Cornelius Meister die Aufgabe übernehmen musste. Der ehemalige Chefdirigent des ORF-Orchesters war eigentlich für den „Tristan“ vorgesehen, den nun sozusagen fliegend der Linzer Generalmusikdirektor Markus Poschner übernahm.

Es war nicht zuletzt Poschners Verdienst, dass das riskante Experiment gelang. Eine Bayreuther Premiere ohne einen einzigen Buhruf hat man lang nicht mehr erlebt. Erstaunlicherweise ist es dem Regisseur Roland Schwab gelungen, die Traditionalisten unter den Wagnerianern nicht zu provozieren, aber auch jene bei Laune zu halten, die von einer Festspielproduktion doch neue optische Erfahrungen verlangen.

Personenführung in Wagners Takt

Piero Vinciguerras Bühne arbeitet mit reduzierten, abstrahierenden Mitteln. Den Boden dominiert eine Scheibe, die in fesselndem Lichtdesign immer neue Räume suggeriert, die nach oben zu durch eine elliptische Öffnung den Blick auf den Sternenhimmel freigeben. Während des Abends wuchert die Pflanzenwelt ins ursprünglich karge Ambiente, ein Kinderpärchen erscheint zunächst auf der Szene, im Mittelakt in der höchsten Höhe, abgelöst am Ende durch ein alt gewordenes Ehepaar, das sich liebevoll die Hände reicht — die dezente, aber nie aus Wagners Takt fallende Personenführung lässt all diese Regiezutaten nie kitschig wirken. Sie harmonieren mit dem, was Text und Musik erzählen.

Und das wird an diesem beeindruckenden Bayreuther Abend doch gediegen gesungen und vorzüglich gespielt. Da ist der heute vermutlich konkurrenzlose Tristan des Stephen Gould, auf dem heuer die Hauptlast von Wagners tenoralen Heldentaten liegt: Er singt bis Ende August auch noch Siegfried und Tannhäuser — und besteht dank einer Mischung aus souveräner Stimmbeherrschung und nach wie vor beeindruckenden Kraftreserven glänzend. Auch in den Fiebermonologen findet er noch Möglichkeiten zu differenziertem Gesang, im Liebesduett führt er seiner Isolde, Catherine Foster, vor, wie man dem Ansturm des Orchesters ohne zu forcieren standhält und sogar kultivierte Pianobögen bis zum Ende langer Atemzüge phrasieren kann.

Foster, imposant in den Aufwallungen der gekränkten Königstochter im ersten Aufzug, immerhin noch achtbar im Duett, beschädigte ihre Leistung mit einem allzu farblosen, angestrengten Finale dann aber empfindlich. Ihre treu sorgende Brangäne, Ekaterina Gubanova, hingegen beeindruckt durch sattes Timbre ebenso wie durch die von den Kollegen weitaus nachlässiger behandelte Artikulation, mit der lediglich die tiefen Stimmen mithalten können, der sympathisch-handfeste Kurwenal von Markus Eiche, und vor allem Georg Zeppenfelds Marke, der eine Klasse für sich ist: Mit rundem, in allen Lagen tonschönem Bass macht er die oft langatmig wirkende Klage des betrogenen Königs zum Ereignis.

Dirigentische Meisterleistung

Was an diesem von Wagner ausdrücklich als „Handlung in drei Aufzügen“ bezeichneten Stück dramatisch ist, dankt man der Musik. Und hier führt in dieser Produktion der Einspringer Markus Poschner Regie — und zwar auf eine Weise, mit der er sich an diesem 25. Juli 2022 in die erste Reihe der Dirigenten unserer Zeit dirigiert haben dürfte. Einer Anlaufphase, in der die notorischen Tücken der Bayreuther Akustik rasch ausbalanciert schienen, folgte ein Hörerlebnis, das Poschners Kunst der kontrapunktischen Linienführung zum Aufbau staunenswert stringenter, dabei klanglich hoch differenzierter Steigerungswellen nutzte.

Die orchestrale Gangart schien nicht nur im Haus, sondern auch via Rundfunkübertragung über weite Strecken für Wagner’sche Verhältnisse geradezu luftig leicht, sängerfreundlich. Manche Einwürfe in den ersten Dialogen nahmen sich aus wie Abkömmlinge italienischer Secco-Rezitative. Umso intensiver empfand man die emotionalen Verdichtungen, wenn sich die Nervenstränge der Seelenklänge ineinander verwoben. Das war nicht nur für ein Bayreuther Debüt bemerkenswert, das gehört schon zu den bedeutenden Dirigentenleistungen der jüngeren Festspielgeschichte — und wird vermutlich nicht ohne Folgen bleiben . . .