Haydn-Lehrstunde

Der Symphoniker im Wohnzimmer:

Haydn in London

Eine erquickliche, zum Teil sogar amüsante Lehrstunde in Sachen Wiener Klassik erteilt uns die Pianistin Rebecca Maurer – aus Londoner Blickwinkel.

»Joseph Haydn und seine Londoner Schüler« heißt dieses Album, das Spätwerke des Esterhazy’schen Kapellmeisters Kompositionen gegenüberstellt, die im direkten Umfeld seiner legendären England-Reisen in den Neunzigerjahren des 18. Jahrhunderts entstanden sind und sich in ihren Dedikationen ausdrücklich auf Haydn beziehen.

Rebecca Maurer spielt auf einem Broadwood-Flügel aus der Sammlung Irnberger, der gut die Klanglichkeit der Instrumente in jener Epoche widerspiegelt und hören lässt, dass Haydn Sonaten wie jene in C-Dur und Es-Dur (Nr. 50 bzw 52) für die Londoner Verhältnisse gedacht hat. Anders als in seinen früheren, intimen, für die Hausmusik gedachten Stücken peilte er hier bereits die Akustik großer Konzertsäle an.

Genuin Classics

Der helle, oft strahlende Klavierklang unterstützt die für die Musik dieses Komponisten so unabdingbare Sanglichkeit, bringt aber auch die Klangfülle und die jähen, dramatischen Akzente effektvoll heraus. Maurer nimmt sich Zeit, auch die harmonischen Feinheiten der Musik auszukosten, definiert Virtuosität also nicht durch Geschwindigkeit, sondern durch Differenzierungskunst. Diese bezieht auch die technischen Möglichkeiten des Broadwood-Flügels ein, etwa die damals ultramodernen Pedalisierungsvarianten, die etwa in der Durchführung der C-Dur-Sonate geradezu impressionistische Effekte ermöglichen.

Haydn-Schüler Latrobe und Haigh

Die Komponisten Christian Ignatius Latrobe und Thomas Haigh gehörten zum Kreis der etablierten Musiker, die den illustren, damals als unstrittig bedeutendster Meister seiner Zeit verehrten Haydn bei dessen London-Visiten umschwärmten. Sie beziehen sich in den Werken dieser CD direkt oder indirekt auf das große Vorbild.

Aufschlussreich sind Haighs »Three Canzonetta’s of Dr. Haydn’s – Arranged as Rondos for the Piano Forte«,  die beweisen, wie populär die Musik Haydns damals in London war. Man spielte sie nicht nur in den großen symphonischen Konzerten, sondern vor allem auch in privaten Salons. Zu diesem Zweck erschienen Arrangements für kleine Besetzungen – und eben auch Paraphrasen wie jene Haighs, die zum Hausmusikrepertoire in London gehörten, weshalb Haig voraussetzen konnte, dass sein Publikum die Vorlagen gut kannte und quasi mitsingen konnte.

In Latrobes Sonate in A-Dur wiederum findet man innerhalb der insgesamt recht simplen Struktur immer wieder Momente, in denen – wohl tatsächlich nach Haydn’schen Mustern – kleine und größere Überraschungen den Fluss augenzwinkernd »stören“. Wie man solche Effekte raffiniert in ein größeres Ganzes einbindet und die architektonische Balance sozusagen rückwirkend wiederherstellt, studiert man dann am besten an der abschließenden Es-Dur-Sonate Haydns, einem Werk von grandiosem Zuschnitt, das den Großmeister der Symphonie in pianistischer Gestalt präsentiert.

Das ist also nicht irgendeine Haydn-CD geworden, denn sie trägt dank Maurers Paarung von kraftvollem Zugriff und elaborierter Sachkenntnis zur Schärfung unseres Blicks auf die Hochblüte der Wiener Klassik bei.