ANTON BRUCKNER

1824 - 1896

Anton Bruckner ist vermutlich jener Meister unter den bedeutendsten Symphonikern, der zu Lebzeiten die gegensätzlichsten Urteile erfahren mußte.
Von der katastrophalen Ablehnung seiner Dritten Symphonie weiß die Welt. Das Wiener Publikum, aber auch Teile des Orchesters zeigten sich damals von der ignorantesten Seite.
Man weiß aber auch, daß es die Wiener Philharmoniker waren, die Bruckner mit der Uraufführung der Achten zu einem späten, aber strahlenden Triumph verhalfen.

Uraufführung der Zweiten

Daß schon die Zweite Symphonie, bis heute Stiefkind im Repertoire, eine philharmonische Uraufführung erlebte, noch dazu eine, die dem Komponisten einen schönen Erfolg bescherte, der ihm Mut für die folgende Reihe symphonischer Arbeiten gab, wird weniger häufig berichtet.
Und doch gehört jener 26. Oktober 1873 in die Annalen der österreichischen Musikgeschichte, denn an diesem Abend spielte der Organist Bruckner zunächst Bach, improvisierte hernach, um schließlich als Dirigent ans Pult der Philharmoniker zu treten, die ihn im Verein mit dem Publikum für seine Zweite feierten.
Es waren ermutigende Zeiten für den scheuen, stets selbstkritischen Mann aus Oberösterreich, der zwei Jahre zuvor sein Gastspiel in London als Triumphzug erleben durfte.

Gastspiel in London

Zwei große Konzerte gab der damals schon weltweit renommierte Orgelvirtuose, von dem kaum einer wußte, daß er auch Symphonien und Chorwerke komponierte, in der britischen Hauptstadt: eines im Crystal Palace, eines in der Royal Albert Hall. Beide blieben legendär.
Heimgekehrt durfte sich Bruckner über den Erfolg seiner f-Moll-Messe anläßlich ihrer Uraufführung in der Augustinerkirche freuen.
Daß er nun auch als Symphoniker Anerkennung erringen konnte, gab ihm Auftrieb.

Vier Symphonien in einem Atemzug

Tatsächlich beachtet man angesichts der berüchtigten Uraufführungskatastrophe der Dritten kaum, daß Bruckner nach der Zweiten quasi in einem großen Atemzug die Symphonien Nummer drei bis fünf schuf, ehe sich das Unheil über der neu bearbeiteten, Richard Wagner gewidmeten Dritten zusammenbraute.

Während der Niederschrift der Fünften hat sich die Zukunftsperspektive des Meisters allerdings längst verdüstert. Die Wiener Gesellschaft akzeptiert den schrulligen Querkopf nicht, die Fachwelt behandelt ihn wie einen Spinner. Während der Arbeit am ersten Satz seiner Fünften schreibt er an einen Freund:
Mein Leben hat alle Freude und Lust verloren – umsonst und um nichts.

Um wenig später, als er eben begonnen hat, das Adagio zu komponieren, mit Bezug auf den Verlust seiner Lehrstelle bei St. Anna zu ergänzen:

Alles ist zu spät. Fleißig Schulden machen und am Ende im Schuldenarreste die Früchte meines Fleißes genießen und die Torheit meines Übersiedelns nach Wien ebendort besingen, kann mein endliches Los werden. 1000 Gulden jährlich hat man mir genommen, und heuer gar keinen Ersatz – auch kein Stipendium etc. – gegeben. Ich kann meine IV. Symphonie nicht abschreiben lassen.

Er hat die Fünfte und Sechste nie gehört

In dieser Stimmung entsteht eine der machtvollsten Symphonien der Musikgeschichte, ein Werk freilich, das Bruckner nie zu hören bekommen sollte. Wie auch seine Sechste, die in dieser seelischen Talsohle entsteht, in der niederschmetternde Ereignisse im Leben des Komponisten sich häufen und er voller Selbstzweifel mit endlosen Korrekturarbeiten und Veränderungen seiner frühen Symphonien beginnt.

Erst die Nachwelt wird erkennen, wie stark, wie groß Bruckners Musik jeweils bereits in den ersten Versionen der Symphonien ist. Wie viel Skrupel er sich hätte ersparen können, wie viel Arbeitskraft er ins Erfinden neuer Werke statt ins Immer-weiter-Bearbeiten vorhandener Stücke hätte investieren können, fällt in die berühmte, jeglicher Geschichtsschreibung verbotene Kategorie des „Was wäre, wenn . . .“.

Triumph mit Nr. 4 und Nr. 7

Ein Ende der Malaise ist für Anton Bruckner erst mit der Uraufführung der zum dritten Mal bearbeiteten Vierten erreicht, die am 20. Februar 1881 im Musikverein unter Hans Richter einen rauschenden Erfolg einfährt, der sich wiederholt, als drei Jahre später in Leipzig unter Arthur Nikisch – ganz ohne Umarbeitungsstress – die erste und einzige Fassung der Siebenten aus der Taufe gehoben wird.

Ab diesem Zeitpunkt kommt man an Bruckner nicht mehr vorbei. Er gilt neben Brahms als der führende Symphoniker seiner Zeit.
Dennoch bleiben die Symphonien mit den Nummern 5 und 6 zu Lebzeiten Bruckners unbeachtet. Die Sechste führt heute noch ein Schattendasein, obwohl sie eines der tiefsinnigsten Adagios enthält, ebenbürtig den langsamen Sätzen der drei folgenden Schwesterstücke. 

Übrigens war es Bruckners Nachfolger als wichtigster Symphoniker, Gustav Mahler, der seinem Idol am Abend der Uraufführungs-Katastrophe der Dritten Trost zusprach: Der Teenager Mahler schwor dem verzweifelten Bruckner, den Klavierauszug der Symphonie zu verfassen.
Was er dann auch in die Tat umsetzte. Noch heute wird Mahlers Arrangement hie und da gespielt - ein Meister, durch die Brille eines andern gesehen . . .

↑DA CAPO