Die Messe in b-Moll
Die Kränkungen, die Anton Bruckner in seinem Leben erfahren musste, sind zahllos. Schon anläßlich der Uraufführung der frühen Missa solemnis in B zur Inthronisation seines Dienstherrn in St. Florian war der Meister nicht zur feierlichen Tafel geladen worden. Er
finanzierte sich sein fünfgängiges Menü mit den Worten "Die Mess' verdient's" kurzerhand selbst.
Die Messe in b-Moll, wie das Frühwerk in den ersten Ausgaben fälschlich hieß, galt aber selbst wohlwollenden Kommentatoren bis dato als "Nebenwerk". Dabei ist sie, wie die Neuaufnahme erweist, ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Entpuppung eines Originalgenies, das seine Klassiker ebenso akribisch studiert hat wie die Kunst des Kontrapunkts, um dann seine ganz eigenen Schlüsse aus den Möglichkeiten zu ziehen, die ihm da zu Gebote standen.
Benjamin-Gunnar Cohrs hat im Verlag Alexander Hermann eine Neuausgabe der Messe ediert und stellt sie in den Gesamtzusammenhang des Hochamts vom 14. September 1854. Im Stiftsarchiv fand Cohrs die Aufzeichnungen zum genauen Ablauf der Messfeier-den der exzellente Rias-Kammerchor unter Lukasz Borowicz mit der Akademie für Alte Musik Berlin auf CD rekonstruiert hat.
Neben der Bruckner-Messe erklingen auch die deutlich dem Stil der Wiener Klassik entsprossenen Propriums-Gesänge, Musik von Robert Führer (1807-1861),der Bruckner sein erstes musikalisches Zeugnis ausstellte, Johann Baptist Gänsbacher (1778-1844), zwei Jahrzehnte lang Domkapellmeister zu St. Stephan in Wien, und Joseph Eybler (1765-1846), Regens Chori des Schottenstifts.
Noch im Bann Haydns und Mozarts
Nun hört man - auch aufgrund der sehr "originalklanglichen" Artikulation und Akzentuierung, derer sich die Ausführenden befleißigen -, daß die Betrachtung solcher musikalischer Funde aus der Perspektive der Nachgeborenen problematisch bleibt: Wer die gewaltigen Symphonien Bruckners kennt und liebt, lernt hier einen Zeitgenossen der ersten Regierungsjahre Kaiser Franz Josephs kennen, der noch ganz im Bann von Haydn und Mozart zu stehen scheint und erst die sprichwörtlichen Klauen wetzt. Und doch: Manche Passagen, in denen der Chor einstimmig geführt ist, das enthusiastische Klangbild, das vom kleinen Orchester zur Vorbereitung der Auferstehung im Credo gemalt wird, das sind wohl schon die Samen, aus denen spätere, unverwechselbare Bruckneriana erwachsen. Das "Et resurrexit" der f-Moll-Messe klingt hier zumindest schon an. (Accentus)