Erinnerungen an Sofia Gubaidulina

SOFIA GUBAIDULINA (1931-2025)

Die Dissidentin, die in Tönen sprach

Als Ideal betrachte ich ein solches Verhältnis zur Tradition und zu neuen Kompositionsmitteln, bei dem der Künstler alle Mittel – sowohl neue als auch traditionelle – beherrscht, aber so, als schenke er weder den einen noch den anderen Beachtung.

Zwischen allen Stühlen, über alle Mittel gebietend, aber nur ihrer eigenen inneren, formenden Stimme folgend, komponierte Sofia Gubaidulina. Sie gehörte keiner Richtung, keinem Clan, keinem »Ismus«. Sie war Sofia Gubaidulina. Und da ihre Musik prominente Fürsprecher gefunden hatte, konnte sich die Welt davon überzeugen, daß diese Komponisten etwas zu sagen hatte.
Sie stammte aus Tatarstan, war die Enkelin eines islamischen Imams und studierte in Kasan, dann in Moskau Klavier, bald auch Komposition. Es gelang ihr, allen Anfeindungen zum Trotz - sie hatte sich dem staatlich verordneten Atheismus zum Trotz unter dem Einfluß der Pianistin Maria Yudina zur Orthodoxie bekannt - ab 1963 ausschließlich ihrer schöpferischen Arbeit zu leben.

Zu ihren Inspirationsquellen gehören nicht nur die großen Werke der Vergangenheit, sondern auch die Klangmöglichkeiten, die sich ihr beim Improvisieren auf Instrumenten der Volksmusik unterschiedlicher Regionen der ehemaligen Sowjetunion erschlossen. Obwohl sich von Anfang an viele Musiker fanden, die Gubaidulinas Musik in ihrer Originalität schätzten, wurde sie von den strengen Kunstrichtern des kommunistischen Systems des öfteren mit Aufführungsverboten belegt. Der Weg, den die junge Komponisten eingeschlagen hatte, war in den Augen der sowjetischen Zensur schlicht und einfach »falsch«.

Niemand Geringerer als Dmitri Schostakowitsch ermunterte die offenkundig talentierte junge Kollegin, in ihrem – für das offizielle Kulturbeobachtertum höchst irritierenden, subjektiven – Stil weiterzukomponieren, obwohl die kommunistischen Behörden sie sogleich maßregelten, als klar wurde: Diese Frau schrieb Musik, die weit vom »volksverbundenen« sozialistischen Realismus abwich.

Seien Sie Sie selbst. Haben Sie keine Angst, Sie selbst zu sein. Ich wünsche Ihnen, daß Sie auf ihrem eigenen »falschen Weg« weitergehen mögen.

JENSEITS DES »SOZIALISTISCHEN REALISMUS«

1931-2025

Gubaidulina pflegte ihren ganz persönlichen Kontakt zu den Wurzeln der vielfältigen Volksmusik der Menschen, die im sowjetischen System unter ein einheitliches Joch gezwungen wurden, improvisierte mit Gleichgesinnten auf Volksinstrumenten und erkundete die freie, weite, unendlich reiche Welt der Klänge. Sie beflügelten ihre Fantasie ebenso wie die spirituellen Erfahrungen, die sie als sensible Grenzgängerin zwischen den Religionen machen konnte: Eines Tages ließ sich die Enkelin eines islamischen Gelehrten taufen – die große Pianistin Maria Judina war ihre Patin, eine starke Frau auch sie, die Stalin zu trotzen wagte, ohne daß der Diktator aufhörte, sie als Künstlerin zu verehren…

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