Zehn Rubaijat des Omar Khajjam für Chor a cappella
„Ich bin im Zuge meiner Beschäftigung mit persischer Literatur […] auf die Rubaijat des Omar Khajjam aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts gestoßen und war fasziniert von ihrer satirischen Schärfe, ihrer Pointiertheit und dem hinter ihnen stehenden expressionistischen Lebensgefühl, das sie höchst aktuell erscheinen ließen. Ihr Inhalt wurde zur Zeit ihrer Entstehung – wie uns heute erscheinen will zur Tarnung – religiös gedeutet.“
Friedrich Cerha über seine »Rubaijat«
In den späten Vierzigerjahren beschäftigte sich der junge Friedrich Cerha mit Chormusik. Daß er Franz von Assisis »Sonnengesang« vertont hat, führt uns freilich auf eine falsche Fährte. Um religiöse Inhalte ging es dem Komponisten damals keineswegs. Und daß die Sinngedichte des persischen Poeten Omar Khajjam oft in geistliche Zusammenhänge gestellt wurden, nimmt ihnen nichts von ihrer Verschmitztheit und ihrer zuweilen subversiven Kraft.
Es ist schon der Widerspruchsgeist, der sich bei Friedrich Cerha später noch so oft melden wird, der hier am Werke war. Vom selben Komponisten sollten Jahrzehnte später auch hintergründig-kritische »Chansons« entstehen – was die Musikwelt Anno 1950 freilich noch nicht ahnen konnte.
Die Rubaijat sind dem legendären Wiener Chorleister Günther Theuring gewidmet.
Die Texte
I
Als Du das Leben schufst, schufst Du das Sterben:
Uns, Deine Werke, weih’st Du dem Verderben.
Wenn schlecht Dein Werk war, sprich, wen trifft die Schuld
Und war es gut, warum schlägst Du ’s in Scherben?
II
Ein Vogel saß einst auf dem Wall von Tûs,
Vor ihm der Schädel Königs Kaykawûs.
Und klagte immerfort: Affssûss, Affssûss!
Wo bleibt der Glocken und der Pauken Gruß?
III
Ein Stier ist, der drunten auf seinem Horne die Erde hält
Ein anderer Stier strahlt hell dort oben am Himmelszelt.
Doch an die Menge von Eseln denk ich mit Grausen,
Die zwischen den beiden Stieren hausen!
IV
Was heut hierher mich trieb? Ich sag es unverhohlen:
Ich hatt’ in der Moschee einen Betteppich gestohlen,
Der ist jetzt alt und schlecht, drum kam – ein seltner Gast –
Ich heute wieder her, einen neuen mir zu holen.
V
Von Wein und vom Honig im Paradies
Sprecht ihr und von Huris, den schönen
Und was der Prophet uns da drüben verhieß,
Das wollt ihr auf Erden verpönen?
VI
Du zerbrachst mir, Herr, meinen Krug mit dem schönsten Wein.
Zum trunkenen Glück verschloss mir die Türe Dein Spott.
In den Staub rot gossest Du selbst den lieben Wein
Mir dankbar Durstigem – warst Du betrunken, Gott?
VII
Die Weisen erzählen ein Märchen
Vor Schlafengehen
Uns unartigen Kindern
Und fallen selber in Schlaf
VIII
Dem Töpfer sah einst im Basar ich zu,
Wie er den Lehm zerstampfte ohne Ruh.
Da hört’ ich, wie der Lehm ihn leise bat:
„Nur sachte, Bruder, einst war ich wie du.“
IX
Zwei oder drei Tröpfe, an Geiste blind,
Sind ’s die auf Erden als Herrscher walten.
Lass du sie schalten. Für Ketzer halten
Sie alle, die keine Esel sind.
X
All unser Leben und Streben – was taugt ’s?
All unser Wirken und Weben – wer braucht ’s?
Im großen Schicksalsofen verbrennt
So vieles Edle und Gute – wo raucht ’s?