Parsifal

Richard Wagners Textdichtung

MEHR ÜBER »Parsifal«

PERSONEN DER HANDLUNG

Amfortas.
Titurel.
Gurnemanz.
Parsifal.
Klingsor.
Kundry.

Gralsritter und Knappen.
Klingsor’s Zaubermädchen.

Ort der Handlung: auf dem Gebiete und in der Burg der Gralshüter »Monsalvat«; Gegend im Charakter der nördlichen Gebirge des gothischen Spanien’s.
Sodann: Klingsor’s Zauberschloß, am Südabhange derselben Gebirge, dem arabischen Spanien zugewandt anzunehmen. – Die Tracht der Gralsritter und Knappen ähnlich der des Templerordens: weiße Waffenröcke und Mäntel; statt des rothen Kreuzes jedoch eine schwebende Taube auf Wappen und Mäntel gestickt.

Erster Aufzug

(Wald, schattig und ernst, doch nicht düster.)
(Felsiger Boden. Eine Lichtung in der Mitte. Links aufsteigend wird der Weg zur Gralsburg angenommen. Der Mitte des Hintergrundes zu senkt sich der Boden zu einem tiefer gelegenen Waldsee hinab. – Tagesanbruch. – Gurnemanz (rüstig greisenhaft) und zwei Knappen (von zartem Jünglingsalter) sind schlafend unter einem Baume gelagert. – Von der linken Seite, wie von der Gralsburg her, ertönt der feierliche Morgenweckruf der Posaunen.)


GURNEMANZ
(erwachend und die Knappen rüttelnd.)
He! Ho! Waldhüter ihr!
Schlafhüter mitsammen!
So wacht doch mindest am Morgen!

(Die beiden Knappen springen auf, und senken
sich, beschämt, sogleich wieder auf die Knie.)


Hört ihr den Ruf? Nun danket Gott, daß ihr berufen ihn zu hören!

(Er senkt sich zu ihnen ebenfalls nieder;
gemeinschaftlich verrichten sie stumm ihr Morgengebet; sobald die Posaunen schweigen, erheben sie sich dann.)


Jetzt auf, ihr Knaben; seht nach dem Bad;
Zeit ist’s, des Königs dort zu harren:
dem Siechbett, das ihn trägt, voraus
seh‘ ich die Boten schon uns nah’n.

(Zwei Ritter treten, von der Burg her, auf.)

Heil euch! Wie geht’s Amfortas heut?
Wohl früh verlangt er nach dem Bade:
das Heilkraut, das Gawan
mit List und Kühnheit ihm gewann,
ich wähne, daß es Lind’rung schuf?
DER ERSTE RITTER.
Das wähn’st du, der doch Alles weiß?
Ihm kehrten sehrender nur
die Schmerzen bald zurück:
schlaflos von starkem Bresten
befahl er eifrig uns das Bad.
GURNEMANZ
(das Haupt traurig senkend.)
Thoren wir, auf Lind’rung da zu hoffen,
wo einzig Heilung lindert!
Nach allen Kräutern, allen Tränken forscht
und jagt weit durch die Welt;
ihm hilft nur Eines –
nur der Eine.
ERSTER RITTER.

So nenn‘ uns den!
GURNEMANZ
(ausweichend.)
Sorgt für das Bad!
DER ERSTE KNAPPE
(als er sich mit dem zweiten Knappen dem Hintergrunde zuwendet, nach rechts blickend.)
Seht dort die wilde Reiterin!
ZWEITER KNAPPE.
Hei!
Wie fliegen der Teufelsmähre die Mähnen!
ERSTER RITTER.
Ja! Kundry dort.
ZWEITER RITTER.
Die bringt wohl wicht’ge Kunde?
ERSTER KNAPPE.
Die Mähre taumelt.
ZWEITER KNAPPE.
Flog sie durch die Luft?
ERSTER KNAPPE.
Jetzt kriecht sie am Boden.
ZWEITER KNAPPE.
Mit den Mähnen fegt sie das Moos.
ERSTER RITTER.
Da schwang sich die Wilde herab.

( Kundry stürzt hastig, fast taumelnd herein.
Wilde Kleidung, hoch geschürzt; Gürtel von

Schlangenhäuten lang herabhängend: schwarzes, in
losen Zöpfen flatterndes Haar; tief braunröthliche
Gesichtsfarbe; stechende schwarze Augen, zuweilen
wild aufblitzend, öfters wie todesstarr und
unbeweglich. – Sie eilt auf Gurnemanz zu und
dringt ihm ein kleines Krystallgefäß auf.)


KUNDRY.
Hier nimm du! – Balsam!
GURNEMANZ.
Woher brachtest du dieß?
KUNDRY.
Von weiter her, als du denken kannst:
Hilft der Balsam nicht,
Arabien birgt
nichts mehr dann zu seinem Heil. –
Frag‘ nicht weiter! – Ich bin müde.

(Sie wirft sich auf den Boden.)
(Ein Zug von Knappen und Rittern, die
Sänfte tragend und geleitend, in welcher
Amfortas ausgestreckt liegt, gelangt, von links
her, auf die Bühne. – Gurnemanz hat sich, von
Kundry ab, sogleich den Ankommenden
zugewendet.)


GURNEMANZ
(während der Zug auf die Bühne gelangt.)
Er naht: sie bringen ihn getragen. –

O weh‘! Wie trag‘ ich’s im Gemüthe,
in seiner Mannheit stolzer Blüthe
des siegreichsten Geschlechtes Herrn
als seines Siechthum’s Knecht zu seh’n!

(Zu den Knappen.)

Behutsam! Hört, der König stöhnt.

(Jene halten ein und setzen das Siechbett nieder.)

AMFORTAS
(der sich ein wenig erhoben.)
So recht! – Habt Dank! Ein wenig Rast. –
Nach wilder Schmerzensnacht
nun WaldesMorgenpracht;
im heil’gen See
wohl labt mich auch die Welle;
es staunt das Weh‘,
die Schmerzensnacht wird helle. –
Gawan!
ERSTER RITTER.
Herr, Gawan weilte nicht.
Da seines Heilkrauts Kraft,
wie schwer er’s auch errungen,
doch deine Hoffnung trog,
hat er auf neue Sucht sich fortgeschwungen.
AMFORTAS.
Ohn‘ Urlaub? – Möge das er sühnen,

daß schlecht er Gralsgebote hält!
O wehe ihm, dem trotzig Kühnen,
wenn er in Klingsor’s Schlingen fällt!
So breche Keiner mir den Frieden:
ich harre deß‘, der mir beschieden.
»Durch Mitleid wissend« –
war’s nicht so?
GURNEMANZ.
Uns sagtest du es so.
AMFORTAS.
»der reine Thor« – –:
mich dünkt, ihn zu erkennen: –
dürft‘ ich den Tod ihn nennen!
GURNEMANZ.
Doch hier zuvor: versuch‘ es noch mit diesem!

(Er reicht ihm das Fläschchen.)

AMFORTAS
(es betrachtend.)
Woher dieß heimliche Gefäß?
GURNEMANZ.
Dir ward es aus Arabia hergeführt.
AMFORTAS.
Und wer gewann es?
GURNEMANZ.
Da liegt’s das wilde Weib. –
Auf, Kundry! komm‘!

(Sie weigert sich.)

AMFORTAS.
Du, Kundry?
Muß ich dir nochmals danken,
du rastlos scheue Magd? –
Wohl denn!
Den Balsam nun versuch‘ ich noch;
es sei aus Dank für deine Treu‘!
KUNDRY
(unruhig am Boden liegend.)
Nicht Dank! – Ha ha! Was wird es helfen?
Nicht Dank! – Fort, fort! Zum Bad!

( Amfortas giebt das Zeichen zum Aufbruch; der
Zug entfernt sich nach dem tieferen Hintergrunde
zu. – Gurnemanz, schwermüthig nachblickend,
und Kundry, fortwährend auf dem Boden
gelagert, sind zurückgeblieben. – Knappen
gehen ab und zu.)


DRITTER KNAPPE
(junger Mann.)
He! Du da! –
Was liegst du dort wie ein wildes Thier?
KUNDRY.
Sind die Thiere hier nicht heilig?
DRITTER KNAPPE.

Ja! doch ob heilig du,
das wissen wir grad‘ noch nicht.
VIERTER KNAPPE
(ebenfalls junger Mann.)
Mit ihrem Zaubersafte, wähn‘ ich,
wird sie den Meister vollends verderben.
GURNEMANZ.
Hm! – Schuf sie euch Schaden je? –
Wann Alles rathlos steht,
wie kämpfenden Brüdern in fernste Länder
Kunde sei zu entsenden,
und kaum ihr nur wißt, wohin? –
Wer, ehe ihr euch nur besinnt,
stürmt und fliegt da hin und zurück,
der Botschaft pflegend mit Treu‘ und Glück?
Ihr nährt sie nicht, sie naht euch nie,
nichts hat sie mit euch gemein!
Doch wann’s in Gefahr der Hilfe gilt,
der Eifer führt sie schier durch die Luft,
die nie euch dann zum Danke ruft.
Ich wähne, ist dieß Schaden,
so thät‘ er euch gut gerathen.
DRITTER KNAPPE.
Doch haßt sie uns. –
Sieh‘ nur, wie hämisch sie dort nach uns blickt!
VIERTER KNAPPE.
Eine Heidin ist’s, ein Zauberweib.

GURNEMANZ.
Ja, eine Verwünschte mag sie sein:
hier lebt sie heut‘, –
vielleicht erneu’t,
zu büßen Schuld aus früher’m Leben,
die dorten ihr noch nicht vergeben.
Übt sie nun Buß‘ in solchen Thaten,
die uns Ritterschaft zum Heil gerathen,
gut thut sie dann ganz sicherlich,
dienet uns, und hilft auch sich.
DRITTER KNAPPE.
Dann ist’s wohl auch jen‘ ihre Schuld,
was uns so manche Noth gebracht?
GURNEMANZ.
Ja, wann sie oft uns lange ferne blieb,
dann brach ein Unglück wohl herein.
Und lang‘ schon kenn‘ ich sie;
noch länger kennt sie Titurel:
der fand, als er die Burg dort weih’te,
sie schlafend hier im Waldgestrüpp‘,
erstarrt, leblos, wie todt.
So fand ich selbst sie letzlich wieder,
als uns das Unheil kaum gescheh’n,
das jener Böse dort über’m Berge
so schmählich über uns gebracht. –

(Zu Kundry.)


He! Du! – Hör‘ mich und sag‘:
wo schweiftest damals du umher,
als unser Herr den Speer verlor? –

(Kundry schweigt.)

Warum halfst du uns damals nicht?
KUNDRY.
Ich helfe nie.
VIERTER KNAPPE.
Sie sagt’s da selbst.
DRITTER KNAPPE.
Ist sie so treu und kühn in Wehr,
so sende sie nach dem verlor’nen Speer!
GURNEMANZ
(düster.)
Das ist ein And’res: –
jedem ist’s verwehrt. –

(Mit großer Ergriffenheit.)

Oh, wundenwundervoller
heiliger Speer!
Dich sah ich schwingen
von unheiligster Hand! –

(In Erinnerung sich verlierend.)

Mit ihm bewehrt, Amfortas, allzukühner,
wer mochte dir es wehren

den Zaub’rer zu beheeren? – –
Schon nah‘ dem Schloß, wird uns der Held
entrückt:
ein furchtbar schönes Weib hat ihn entzückt:
in seinen Armen liegt er trunken,
der Speer ist ihm entsunken;
ein Todesschrei! – ich stürm‘ herbei: –
von dannen Klingsor lachend schwand,
den heil’gen Speer hat er entwandt.
Des Königs Flucht gab kämpfend ich Geleite:
doch eine Wunde brannt‘ ihm in der Seite:
die Wunde ist’s, die nie sich schließen will.
DRITTER KNAPPE.
So kanntest du Klingsor?
GURNEMANZ
(zu dem ersten und zweiten Knappen, welche
vom See her kommen.)

Wie geht’s dem König?
ZWEITER KNAPPE.
Ihn frischt das Bad.
ERSTER KNAPPE.
Dem Balsam wich der Schmerz.
GURNEMANZ
(nach einem Schweigen.)
Die Wunde ist’s, die nie sich schließen will! –
DRITTER KNAPPE.
Doch, Väterchen, sag‘ und lehr‘ uns fein:

du kanntest Klingsor, wie mag das sein?

(Der dritte und der vierte Knappe hatten sich
zuletzt schon zu Gurnemanz‘ Füßen
niedergesetzt; die beiden anderen gesellen sich jetzt
gleicher Weise zu ihnen.)


GURNEMANZ.
Titurel, der fromme Held,
der kannt‘ ihn wohl.
Denn ihm, da wilder Feinde List und Macht
des reinen Glaubens Reich bedrohten,
ihm neigten sich in heilig ernster Nacht
dereinst des Heilands sel’ge Boten:
daraus er trank beim letzten Liebesmahle,
das Weihgefäß, die heilig edle Schale,
darein am Kreuz sein göttlich Blut auch floß,
zugleich den Lanzenspeer, der dieß vergoß, –
der Zeugengüter höchstes Wundergut, –
das gaben sie in unsres Königs Hut.
Dem Heilthum baute er das Heiligthum.
Die seinem Dienst ihr zugesindet
auf Pfaden, die kein Sünder findet,
ihr wißt, daß nur dem Reinen
vergönnt ist sich zu einen
den Brüdern, die zu höchsten Rettungswerken
des Grales heil’ge Wunderkräfte stärken:
d’rum blieb es dem, nach dem ihr fragt, verwehrt,

Klingsor’n, so hart ihn Müh‘ auch drob beschwert.
Jenseits im Thale war er eingesiedelt;
darüber hin liegt üpp’ges Heidenland:
unkund blieb mir, was dorten er gesündigt;
doch büßen wollt‘ er nun, ja heilig werden.
Ohnmächtig, in sich selbst die Sünde zu ertödten,
an sich legt er die Frevlerhand,
die nun, dem Grale zugewandt,
verachtungsvoll deß‘ Hüter von sich stieß;
darob die Wuth nun Klingsor’n unterwies,
wie seines schmählichen Opfers That
ihm gebe zu bösem Zauber Rath;
den fand er jetzt: –
die Wüste schuf er sich zum Wonnegarten,
d’rinn wachsen teuflisch holde Frauen;
dort will des Grales Ritter er erwarten
zu böser Lust und Höllengrauen:
wen er verlockt, hat er erworben;
schon Viele hat er uns verdorben. –
Da Titurel, in hohen Alter’s Mühen,
dem Sohne nun die Herrschaft hier verliehen,
Amfortas ließ es da nicht ruh’n
der Zauberplag‘ Einhalt zu thun;
das wißt ihr, wie es da sich fand:
der Speer ist nun in Klingsor’s Hand;
kann er selbst Heilige mit dem verwunden,
den Gral auch wähnt er fest schon uns entwunden.

( Kundry hat sich, in wüthender Unruhe, oft heftig
umgewendet.)


VIERTER KNAPPE.
Vor Allem nun: der Speer kehr‘ uns zurück!
DRITTER KNAPPE.
Ha! wer ihn brächt‘, ihm wär’s zu Ruhm und
Glück!
GURNEMANZ
(nach einem Schweigen.)
Vor dem verwaisten Heiligthum
in brünst’gem Beten lag Amfortas,
ein Rettungszeichen heiß erflehend;
ein sel’ger Schimmer da entfloß dem Grale;
ein heilig‘ Traumgesicht
nun deutlich zu ihm spricht
durch hell erschauter Wortezeichen Male: –
»durch Mitleid wissend
der reine Thor,
harre sein‘,
den ich erkor.«

(Die vier Knappen wiederholen, in großer
Ergriffenheit, den Spruch.)


(Vom See her hört man Geschrei und das Rufen
der.)



RITTER UND KNABEN.
Weh‘! Wehe! – Hoho!
Auf! – Wer ist der Frevler?

(Gurnemanz und die vier Knappen fahren
auf und wenden sich erschrocken um. – Ein wilder
Schwan flattert matten Fluges vom See daher; er ist
verwundet, erhält sich mühsam und sinkt endlich
sterbend zu Boden. – Während dem.)


GURNEMANZ.
Was giebt’s?
ERSTER KNAPPE.
Dort!
ZWEITER KNAPPE.
Hier! Ein Schwan.
DRITTER KNAPPE.
Ein wilder Schwan!
VIERTER KNAPPE.
Er ist verwundet.
ANDERE KNAPPEN
(vom See herstürmend.)
Ha! Wehe! Weh‘!
GURNEMANZ.
Wer schoß den Schwan?
DER ZWEITE RITTER
(hervorkommend.)
Der König grüßt‘ ihn als gutes Zeichen,

als über dem See dort kreis’te der Schwan:
da flog ein Pfeil. –
NEUE KNAPPEN
( Parsifal vorführend.)
Der war’s! Der schoß! Dieß der Bogen! –
Hier der Pfeil, der seinen gleich.
GURNEMANZ
(zu Parsifal.)
Bist du’s, der diesen Schwan erlegte?
PARSIFAL.
Gewiß! Im Fluge treff‘ ich was fliegt.
GURNEMANZ.
Du thatest das? Und bangt‘ es dich nicht vor der
That?
DIE KNAPPEN.
Strafe den Frevler!
GURNEMANZ.
Unerhörtes Werk!
Du konntest morden? Hier im heil’gen Walde,
deß‘ stiller Frieden dich umfing?
Des Haines Thiere nahten dir nicht zahm,
grüßten dich freundlich und fromm?
Aus den Zweigen, was sangen die Vöglein dir?
Was that dir der treue Schwan?
Sein Weibchen zu suchen flog er auf,
mit ihm zu kreisen über dem See,
den so er herrlich weih’te zum heilenden Bad:

dem stauntest du nicht, dich lockt es nur
zu wild kindischem Bogengeschoß?
Er war uns hold: was ist er nun dir?
Hier – schau‘ her! – hier traf’st du ihn:
da starrt noch das Blut, matt hängen die Flügel;
das Schneegefieder dunkel befleckt, –
gebrochen das Aug‘, siehst du den Blick?
Wirst deiner Sündenthat du inne? –

(Parsifal hat ihm mit wachsender Ergriffenheit
zugehört: jetzt zerbricht er seinen Bogen und
schleudert die Pfeile von sich.)


Sag‘, Knab‘! Erkennst du deine große Schuld?

(Parsifal führt die Hand über die Augen.)

Wie konntest du sie begeh’n?
PARSIFAL.
Ich wußte sie nicht.
GURNEMANZ.
Wo bist du her?
PARSIFAL.
Das weiß ich nicht.
GURNEMANZ.
Wer ist dein Vater?
PARSIFAL.
Das weiß ich nicht.
GURNEMANZ.

Wer sandte dich dieses Weg’s?
PARSIFAL.
Ich weiß nicht.
GURNEMANZ.
Dein Name dann?
PARSIFAL.
Ich hatte viele,
doch weiß ich ihrer keinen mehr.
GURNEMANZ.
Das weißt du alles nicht?

(Für sich.)

So dumm wie den
erfand ich bisher Kundry nur. –

(Zu den Knappen, deren sich immer mehre
versammelt haben.)


Jetzt geht!
Versäumt den König im Bade nicht! – Helft!

(Die Knappen haben den Schwan ehrerbietig
aufgenommen, und entfernen sich mit ihm jetzt nach
dem See zu.)


GURNEMANZ
(sich wieder zu Parsifal wendend.)
Nun sag‘! Nichts weißt du, was ich dich frage:
jetzt melde, was du weißt!

denn etwas mußt du doch wissen.
PARSIFAL.
Ich hab‘ eine Mutter; Herzeleide sie heißt:
im Wald und auf wilder Aue waren wir heim.
GURNEMANZ.
Wer gab dir den Bogen?
PARSIFAL.
Den schuf ich mir selbst,
vom Forst die rauhen Adler zu scheuchen.
GURNEMANZ.
Doch adelig scheinst du selbst und hochgeboren;
warum nicht ließ deine Mutter
bessre Waffen dich lehren?

( Parsifal schweigt.)

KUNDRY
(welche, in der Waldecke gelagert, den Blick scharf
auf Parsifal gerichtet hat, ruft mit rauher
Stimme hinein.)
Den Vaterlosen gebar die Mutter,
als im Kampf erschlagen Gamuret:
vor gleichem frühen Heldentod
den Sohn zu wahren, waffenfremd
in Oeden erzog sie ihn zum Thoren –
die Thörin!

(Sie lacht.)


PARSIFAL
(der mit jäher Aufmerksamkeit zugehört.)
Ja! und einst am Waldessaume vorbei,
auf schönen Thieren sitzend,
kamen glänzende Männer;
ihnen wollt‘ ich gleichen;
sie lachten und jagten davon.
Nun lief ich nach, doch konnte sie nicht erreichen;
durch Wildnisse kam ich, bergauf, thalab;
oft ward es Nacht; dann wieder Tag:
mein Bogen mußte mir frommen
gegen Wild und große Männer.
KUNDRY
(eifrig.)
Ja, Schächer und Riesen traf seine Kraft:
den freislichen Knaben fürchten sie Alle.
PARSIFAL.
Wer fürchtet mich? Sag‘!
KUNDRY.
Die Bösen.
PARSIFAL.
Die mich bedrohten, waren sie bös‘?

( Gurnemanz lacht.)

Wer ist gut?
GURNEMANZ
(ernst.)

Deine Mutter, der du entlaufen,
und die um dich sich nun härmt und grämt.
KUNDRY.
Zu End ihr Gram: seine Mutter ist todt.
PARSIFAL
(in furchtbarem Schrecken.)
Todt? – Meine Mutter? – Wer sagt‘ es?
KUNDRY.
Ich ritt vorbei, und sah sie sterben:
dich Thoren hieß sie mich grüßen.

( Parsifal springt wüthend auf Kundry zu und
faßt sie bei der Kehle.)


GURNEMANZ
(ihn zurückhaltend.)
Verrückter Knabe! Wieder Gewalt?
Was that dir das Weib? Es sagte wahr.
Denn nie lügt Kundry, doch sah sie viel.

(Nachdem Gurnemanz Kundry befreit, steht
Parsifal lange wie erstarrt; dann geräth er in
ein heftiges Zittern.)


PARSIFAL.
Ich – verschmachte! –

( Kundry ist hastig an einen Waldquell
gesprungen, bringt jetzt Wasser in einem Horne,
besprengt damit zunächst Parsifal‘, und reicht

ihm dann zu trinken.)


GURNEMANZ.
So recht! So nach des Grales Gnade:
Das Böse bannt, wer’s mit Gutem vergilt.
KUNDRY
(traurig sich abwendend.)
Nie thu‘ ich Gutes; – nur Ruhe will ich.

(Während Gurnemanz sich väterlich um
Parsifal bemüht, schleppt sich Kundry, von
Beiden unbeachtet, einem Waldgebüsche zu.)


Nur Ruhe! Ruhe, ach, der Müden!
Schlafen! – Oh, daß mich keiner wecke!

(Scheu auffahrend.)

Nein! Nicht schlafen! – Grausen faßt mich!

(Nach einem dumpfen Schrei verfällt sie in heftiges
Zittern; dann läßt sie die Arme matt sinken, neigt
das Haupt tief, und schwankt matt weiter.)


Machtlose Wehr! Die Zeit ist da.
Schlafen – schlafen –: ich muß.

(Sie sinkt hinter dem Gebüsch zusammen, und bleibt
von jetzt an unbemerkt. – Vom See her vernimmt
man Bewegung, und gewahrt den im Hintergrunde
sich heimwärts wendenden Zug der Ritter und

Knappen mit der Sänfte.)


GURNEMANZ.
Vom Bade kehrt der König heim;
hoch steht die Sonne:
nun laß‘ mich zum frommen Mahl dich geleiten;
denn, – bist du rein,
wird nun der Gral dich tränken und speisen.

(Er hat Parsifal’s Arm sich sanft um den
Nacken gelegt, und hält dessen Leib mit seinem
eigenen Arme umschlungen; so geleitet er ihn bei
sehr allmählichem Schreiten.)


PARSIFAL.
Wer ist der Gral?
GURNEMANZ.
Das sagt sich nicht;
doch bist du selbst zu ihm erkoren,
bleibt dir die Kunde unverloren. –
Und sieh‘! –
Mich dünkt, daß ich dich recht erkannt:
kein Weg führt zu ihm durch das Land,
und Niemand könnte ihn beschreiten,
den er nicht selber möcht‘ geleiten.
PARSIFAL.
Ich schreite kaum, –
doch wähn‘ ich mich schon weit.
GURNEMANZ.

Du siehst, mein Sohn,
zum Raum wird hier die Zeit.

(Allmählich, während Gurnemanz und
Parsifal zu schreiten scheinen, verwandelt sich
die Bühne, von links nach rechts hin, in
unmerklicher Weise: es verschwindet so der Wald:
in Feldenwänden öffnet sich ein Thor, welches nun
die Beiden einschließt; dann wieder werden sie in
aufsteigenden Gängen sichtbar, welche sie zu
durchschreiten scheinen. – Lang gehaltene
Posaunentöne schwellen sanft an: näher kommendes
Glockengeläute. – Endlich sind sie in einem
mächtigen Saale angekommen, welcher nach oben
in eine hochgewölbte Kuppel, durch die einzig das
Licht hereindringt, sich verliert. – Von der Höhe
über der Kuppel her vernimmt man wachsendes
Geläute.)


GURNEMANZ
(sich zu Parsifal wendend, der wie verzaubert
steht.)
Jetzt achte wohl; und laß‘ mich seh’n,
bist du ein Thor und rein,
welch Wissen dir auch mag beschieden sein. –

(Auf beiden Seiten des Hintergrundes wird je eine
große Thür geöffnet. Von rechts schreiten die
Ritter des Grales in feierlichem Zuge herein

und reihen sich, unter dem folgenden Gesange, nach
und nach an zwei überdeckten langen Speisetafeln,
welche so gestellt sind, daß sie, von hinten nach
vorn parallel laufend, die Mitte des Saales frei
lassen: nur Becher, keine Gerichte stehen darauf.)


DIE GRALSRITTER.
Zum letzten Liebesmahle
gerüstet Tag für Tag,
gleich ob zum letzten Male
es heut‘ ihn letzen mag,
wer guter That sich freu’t:
ihm sei das Mahl erneut:
der Labung darf er nah’n,
die hehrste Gab‘ empfah’n.
JÜNGERE MÄNNERSTIMMEN
(von der mittleren Höhe des Saales her vernehm
bar.)
Den sündigen Welten
mit tausend Schmerzen
wie einst sein Blut geflossen,
dem ErlösungsHelden
mit freudigem Herzen
sei nun mein Blut vergossen.
Den Leib, den er zur Sühn‘ uns bot,
er leb‘ in uns durch seinen Tod.
KNABENSTIMMEN
(aus der äußersten Höhe der Kuppel.)

Der Glaube lebt;
Die Taube schwebt,
des Heilands holder Bote.
Der für euch fließt,
des Wein’s genießt,
und nehmt vom Lebensbrode!

(Durch die entgegengesetzte Thüre wird von Knappen und dienenden Brüdern auf einer
Tragsänfte Amfortas hereingetragen: vor ihm schreiten Knaben, welche einen mit einer
purpurrothen Decke überhängten Schrein tragen.
Dieser Zug begiebt sich nach der Mitte des Hintergrundes, wo, von einem Baldachin überdeckt, ein erhöhtes Ruhebett aufgerichtet steht, auf welches Amfortas von der Sänfte herab niedergelassen wird; hiervor steht ein Altarähnlicher länglicher Marmortisch, auf welchen die Knaben den verhängten Schrein hinstellen. –
Als der Gesang beendet ist, und alle Ritter an den Tafeln ihre Sitze eingenommen haben, tritt ein längeres Stillschweigen ein. – Vom tiefsten Hintergrunde her vernimmt man, aus einer gewölbten Nische hinter dem Ruhebett des Amfortas, wie aus einem Grabe die Stimme des alten.)


TITUREL.

Mein Sohn Amfortas! Bist du am Amt?

(Schweigen.)

Soll ich den Gral heut‘ noch erschau’n und leben?

(Schweigen.)

Muß ich sterben, vom Retter ungeleitet?
AMFORTAS
(im Ausbruche qualvoller Verzweifelung.)
Wehe! Wehe mir der Qual! –
Mein Vater, oh! noch einmal
verrichte du das Amt!
Lebe! Leb‘ und laß‘ mich sterben!
TITUREL.
Im Grabe leb‘ ich durch des Heiland’s Huld;
zu schwach doch bin ich, ihm zu dienen:
da büß‘ im Dienste deine Schuld!
Enthüllet den Gral!
AMFORTAS
(den Knaben wehrend.)
Nein! Laßt ihn unenthüllt! – Oh! –
Daß Keiner, Keiner diese Qual ermißt,
die mir der Anblick weckt, der euch entzückt! –
Was ist die Wunde, ihrer Schmerzen Wuth,
gegen die Noth, die Höllenpein,
zu diesem Amt – verdammt zu sein! –
Wehvolles Erbe, dem ich verfallen,

ich, einziger Sünder unter Allen,
des höchsten Heiligthum’s zu pflegen,
auf Reine herabzuflehen seinen Segen! –
Oh, Strafe! Strafe ohne Gleichen
des – ach! – gekränkten Gnadenreichen! –
Nach Ihm, nach Seinem Weihegruße
muß sehnlich mich’s verlangen: –
aus tiefster Seele Heilesbuße
zu Ihm muß ich gelangen: –
die Stunde naht: –
der Lichtstrahl senkt sich auf das heilige Werk;
die Hülle sinkt:
des Weihgefäßes göttlicher Gehalt
erglüht mit leuchtender Gewalt; –
durchzückt von seligsten Genusses Schmerz,
des heiligsten Blutes Quell
fühl‘ ich sich gießen in mein Herz:
des eig’nen sündigen Blutes Gewell‘
in wahnsinniger Flucht
muß mir zurück dann fließen,
in die Welt der Sündensucht
mit wilder Scheu sich ergießen: –
von Neuem sprengt er das Thor,
daraus es nun strömt hervor,
hier durch die Wunde, der Seinen gleich,
geschlagen von desselben Speeres Streich,
der dort dem Erlöser die Wunde stach,

aus der mit blutigen Thränen
der Göttliche weint‘ ob der Menschheit Schmach
in Mitleid’s heiligem Sehnen, –
und aus der nun mir, an heiligster Stelle,
dem Pfleger göttlichster Güter,
des Erlösungsbalsam’s Hüter,
das heiße Sündenblut entquillt,
ewig erneu’t aus des Sehnens Quelle,
das, ach! keine Büßung je mir stillt!
Erbarmen! Erbarmen!
Allerbarmer, ach! Erbarmen!
Nimm mir mein Erbe,
schließe die Wunde,
daß heilig ich sterbe,
rein Dir gesunde!

(Er sinkt wie bewußtlos zurück.)

KNABENSTIMMEN
(aus der Kuppel.)
»Durch Mitleid wissend,
der reine Thor:
harre sein‘,
den ich erkor.«
DIE RITTER
(leise.)
So ward es dir verkündet,
Harre getrost;

des Amtes walte heut‘!
TITUREL’S
(Stimme.)
Enthüllet den Gral!

(Amfortas hat sich schweigend wieder erhoben.
Die Knaben entkleiden den goldenen Schrein,
entnehmen ihm den »Gral« (eine antike
Krystallschale), von welchem sie ebenfalls eine
Verhüllung abnehmen, und setzen ihn vor
Amfortas hin.)


TITUREL’S
(Stimme.)
Der Segen!

(Während Amfortas andachtsvoll in stummem
Gebete sich zu dem Kelche neigt, verbreitet sich eine
immer dichtere Dämmerung im Saale.)


KNABEN
(aus der Kuppel.)
»Nehmet hin mein Blut
um unsrer Liebe Willen!
Nehmet hin meinen Leib,
auf daß ihr mein‘ gedenkt.«

(Ein blendender Lichtstrahl dringt von oben auf die
Schale herab, diese erglüht immer stärker in
leuchtender Purpurfarbe. Amfortas mit

verklärter Miene, erhebt den »Gral« hoch und
schwenkt ihn sanft nach allen Seiten hin. Alles ist
bereits bei dem Eintritte der Dämmerung auf die
Knie gesunken, und erhebt jetzt die Blicke andächtig
zum »Grale«.)


TITUREL’S
(Stimme.)
Oh! Heilige Wonne!
Wie hell grüßt uns heute der Herr!

( Amfortas setzt den »Gral« wieder nieder, welcher nun, während die tiefe Dämmerung wieder entweicht, immer mehr erblaßt: hierauf schließen die Knaben das Gefäß wieder in den Schrein, und bedecken diesen, wie zuvor. – Mit dem Wiedereintritte der vorigen Tageshelle sind auf den Speisetafeln die Becher, jetzt mit Wein gefüllt, wieder deutlich geworden, neben jedem liegt ein Brod. Alles läßt sich zum Mahle nieder, so auch Gurnemanz, welcher einen Platz neben sich leer hält und Parsifal durch ein Zeichen zur Theilnehmung am Mahle einlädt: Parsifal bleibt aber starr und stumm, wie gänzlich entrückt, zur Seite stehen.)
(Wechselgesang während des
Mahles.)



KNABENSTIMMEN
(aus der Höhe.)
Wein und Brod des letzten Mahles
wandelt‘ einst der Herr des Grales,
durch des Mitleid’s Liebesmacht,
in das Blut, das er vergoß,
in den Leib, den dar er bracht‘.
JÜNGLINGSSTIMMEN
(aus der mittleren Höhe.)
Blut und Leib der heil’gen Gabe
wandelt heut‘ zu eurer Labe
sel’ger Tröstung Liebesgeist,
in den Wein, der nun euch floß,
in das Brod, das heut‘ euch speis’t.
DIE RITTER
(erste Hälfte.)
Nehmet vom Brod,
wandelt es kühn
zu Leibes Kraft und Stärke;
treu bis zum Tod,
fest jedem Müh’n,
zu wirken des Heiland’s Werke.

(Zweite Hälfte.)


Nehmt vom Wein,
wandelt ihn neu
zu Lebens feurigem Blute,

froh im Verein,
brüdergetreu
zu kämpfen mit seligem Muthe.

(Sie erheben sich feierlich und reichen einander die
Hände.)


ALLE RITTER.
Selig im Glauben!
Selig in Liebe!
JÜNGLINGE
(aus mittler Höhe.)
Selig in Liebe!
KNABEN
(aus oberster Höhe.)
Selig im Glauben!

(Während des Mahles, an welchem er nicht theilnahm, ist Amfortas aus seiner begeisterungsvollen Erhebung allmählich wieder herabgesunken; er neigt das Haupt und hält die Hand auf die Wunde. Die Knaben nähern sich ihm; ihre Bewegungen deuten auf das erneuerte Bluten der Wunde: sie pflegen Amfortas, geleiten ihn wieder auf die Sänfte, und, während alle sich zum Aufbruch rüsten, tragen sie, in der Ordnung wie sie kamen, Amfortas und den heiligen Schrein wieder von dannen. Die Ritter und Knappen reihen sich ebenfalls wieder zum feierlichen Zuge, und verlassen langsam den Saal, aus welchem die vorherige Tageshelle allmählich weicht. Die Glocken haben wieder geläutet. –)

(Parsifal hatte bei dem vorangegangenen stärksten Klagerufe des Amfortas eine heftige Bewegung nach dem Herzen gemacht, welches er krampfhaft eine Zeit lang gefaßt hielt; jetzt steht er noch wie erstarrt, regungslos da. – Als die Letzten den Saal verlassen, und die Thüren wieder geschlossen sind, tritt Gurnemanz mißmüthig an Parsifal heran und rüttelt ihn am Arme.)

GURNEMANZ.
Was stehst du noch da?
Weißt du was du sah’st?

( Parsifal schüttelt ein wenig sein Haupt.)

GURNEMANZ.
Du bist doch eben nur ein Thor!

(Er öffnet eine schmale Seitenthüre.)

Dort hinaus, deinem Wege zu!
Doch räth‘ dir Gurnemanz,
laß‘ du hier künftig die Schwäne in Ruh‘,
und suche dir Gänser die Gans!

(Er stößt Parsifal hinaus und schlägt, ärgerlich, hinter ihm die Thüre stark zu. Während er dann den Rittern folgt, schließt sich der Bühnenvorhang.)


Zweiter Aufzug

Klingsor’s Zauberschloß.


(Im inneren Verließe eines nach oben offenen Thurmes; Steinstufen führen nach dem Zinnenrande der Thurmmauer; Finsterniß in der Tiefe, nach welcher es von dem Mauervorsprunge, den der Bühnenboden darstellt, hinabführt. Zauberwerkzeuge und nekromantische Vorrichtungen. – Klingsor auf dem Mauervorsprunge zur Seite, vor einem Metallspiegel sitzend.)

KLINGSOR.
Die Zeit ist da, –
Schon lockt mein Zauberschloß den Thoren,
den, kindisch jauchzend, fern ich nahen seh‘. –
Im Todesschlafe hält der Fluch sie fest,
der ich den Krampf zu lösen weiß. –
Auf denn! An’s Werk!

(Er steigt der Mitte zu, etwas tiefer hinab, und entzündet dort Räucherwerk, welches alsbald einen Theil des Hintergrundes mit einem bläulichen Dampfe erfüllt. Dann setzt er sich wieder an die vorige Stelle, und ruft, mit geheimnißvollen Geberden, nach dem Abgrunde.)

Herauf! Hieher! zu mir!
Dein Meister ruft die Namenlose:
UrTeufelin! HöllenRose!
Herodias war’st du, und was noch?
Gundryggia dort, Kundry hier:
Hieher! Hieher denn, Kundry!
Zu deinem Meister, herauf!

(In dem bläulichen Lichte steigt Kundry’s Gestalt herauf. Man hört sie einen gräßlichen Schrei ausstoßen, wie eine aus tiefstem Schlafe aufgeschreckte Halbwache.)

KLINGSOR.
Erwach’st du? Ha!
Meinem Banne wieder
verfiel’st du heut‘ zur rechten Zeit.

(Kundry’s Gestalt läßt ein Klagegeheul, von größter Heftigkeit bis zu bangem Wimmern sich abstufend, vernehmen.)

Sag‘ wo trieb’st du dich wieder umher?
Pfui! Dort, bei dem RitterGesipp‘,
wo wie ein Vieh du dich halten läßt?
Gefällt’s dir bei mir nicht besser?
Als ihren Meister du mir gefangen –
ha ha! den reinen Hüter des Gral’s, –
was jagte dich da wieder fort?

KUNDRY
(rauh und abgebrochen, wie im Versuche, wieder Sprache zu gewinnen.)
Ach! – Ach!
Tiefe Nacht –
Wahnsinn! – Oh! – Wuth! –
Oh! Jammer! –
Schlaf – Schlaf –
tiefer Schlaf! – Tod!
KLINGSOR.
Da weckte dich ein And’rer? He?
KUNDRY
(wie zuvor.)
Ja! – Mein Fluch! –
Oh! – Sehnen Sehnen! –
KLINGSOR.
Ha ha! – dort nach den keuschen Rittern?
KUNDRY.
Da – da – dient‘ ich.
KLINGSOR.
Ja, ja! – den Schaden zu vergüten,
den du ihnen böslich gebracht?
Sie helfen dir nicht:
feil sind sie Alle,
biet‘ ich den rechten Preis;
der festeste fällt,
sinkt er dir in die Arme:
und so verfällt er dem Speer,
den ihrem Meister selbst ich entwandt. –
Den Gefährlichsten gilt’s nun heut‘ zu besteh’n:
ihn schirmt der Thorheit Schild.
KUNDRY.
Ich – will nicht! – Oh! – Oh!
KLINGSOR.
Wohl willst du, denn du mußt.
KUNDRY.
Du – kannst mich – nicht – halten.
KLINGSOR.
Aber dich fassen.
KUNDRY.
Du?
KLINGSOR.
Dein Meister.
KUNDRY.
Aus welcher Macht?
KLINGSOR.
Ha! Weil einzig an mir
deine Macht – nichts vermag.
KUNDRY
(grell lachend.)
Ha! ha! – Bist du keusch?
KLINGSOR
(wüthend.)
Was fräg’st du das, verfluchtes Weib?

(Er versinkt in finstres Brüten.)

Furchtbare Noth! –
So lacht nun der Teufel mein‘,
daß ich einst nach dem Heiligen rang!
Furchtbare Noth!
Ungebändigten Sehnens Pein!
Schrecklichster Triebe Höllendrang,
den ich zu Todesschweigen mir zwang, –
lacht und höhnt er nun laut
durch dich, des Teufels Braut? –
Hüte dich!
Hohn und Verachtung büßte schon Einer:
der Stolze, stark in Heiligkeit,
der einst mich von sich stieß,
sein Stamm verfiel mir,
unerlös’t
soll der Heiligen Hüter mir schmachten:
und bald – so wähn‘ ich –
hüt‘ ich mir selbst den Gral – –
Ha! Ha!
Gefiel er dir wohl, Amfortas, der Held,
den ich dir zur Wonne gesellt?
KUNDRY.
Oh! Jammer! – Jammer!
Schwach auch Er! Schwach – Alle!
Meinem Fluche mit mir
Alle verfallen! –
Oh, ewiger Schlaf,
einziges Heil,
wie, – wie dich gewinnen?
KLINGSOR.
Ha! Wer dir trotzte, lös’te dich frei:
versuch’s mit dem Knaben, der nah’t!
KUNDRY.
Ich – will nicht!
KLINGSOR.
Jetzt schon erklimmt er die Burg.
KUNDRY.
O Wehe! Wehe!
Erwachte ich darum?
Muß ich? – Muß?
KLINGSOR
(ist auf die Thurmmauer gestiegen.)
Ha! – Er ist schön, der Knabe!
KUNDRY.
Oh! Oh! – Wehe mir! –
KLINGSOR
(stößt nach außen in ein Horn.)
Ho! Ho! – Ihr Wächter! Ritter!
Helden! – Auf! – Feinde nah‘!

(Außen wachsendes Getöse und Waffengeräusch.)

Hei! – Wie zur Mauer sie stürmen,

die bethörten Eigenholde,
zum Schutz ihres schönen Geteufel’s! –
So! – Muthig! Muthig! –
Haha! – Der fürchtet sich nicht: –
dem Helden Ferris entwand er die Waffe;
die führt er nun freislich wider den Schwarm. –

(Kundry beginnt unheimlich zu lachen.)

Wie übel den Tölpeln der Eifer gedeih’t!
Dem schlug er den Arm, – jenem den Schenkel.
Haha! – Sie weichen, – sie fliehen:
seine Wunde trägt Jeder nach heim!
Wie das ich euch gönne!
Möge denn so
das ganze Rittergeschlecht
unter sich selber sich würgen! –
Ha! Wie stolz er nun steht auf der Zinne!
Wie lachen ihm die Rosen der Wangen,
da kindisch erstaunt
in den einsamen Garten er blickt! –
He! Kundry!

(Er wendet sich um. Kundry war in ein immer extatischeres Lachen gerathen, welches endlich in ein krampfhaftes Wehgeschrei überging; jetzt ist ihre Gestalt plötzlich verschwunden; das bläuliche Licht ist erloschen; volle Finsterniß in der Tiefe.)


Wie? – Schon am Werk? –
Haha! Den Zauber kannt‘ ich wohl,
der immer dich wieder zum Dienst mir gesellt. –
Du dort, kindischer Sproß!
Was auch
Weissagung dir wies, –
zu jung und dumm
fiel’st du in meine Gewalt: –
die Reinheit dir entrissen,
bleib’st mir du zugewiesen!

(Er versinkt langsam mit dem ganzen Thurme; zugleich steigt der Zaubergarten auf und erfüllt die Bühne völlig. Tropische Vegetation, üppigste Blumenpracht; nach dem Hintergrunde zu Abgrenzung durch die Zinne der Burgmauer, an welche sich seitwärts Vorsprünge des Schloßbaues selbst (arabischen reichen Styles) mit Terrassen anlehnen.
Auf der Mauer steht Parsifal, staunend in den Garten hinabblickend. Von allen Seiten her, aus dem Garten wie aus dem Palaste, stürzen, wirr durch einander, einzeln, dann zugleich immer mehrere, schöne Mädchen herein: sie sind in flüchtig übergeworfener Kleidung. wie soeben aus dem Schlaf aufgeschreckt.)


MÄDCHEN

(vom Garten kommend.)
Hier war das Tosen,
Waffen, wilde Rüfe!
MÄDCHEN
(vom Schlosse heraus.)
Wehe! Rache! Auf!
Wo ist der Frevler?
EINZELNE.
Mein Geliebter verwundet.
ANDERE.
Wo ist der Meine?
ANDERE.
Ich erwachte allein, –
wohin entfloh er?
IMMER ANDERE.
Drinnen im Saale? –
Sie bluten! Wehe!
Wer ist der Feind? –
Da steh’t er! Seht! –
Meines Ferris Schwert?
Ich sah’s, er stürmte die Burg. –
Ich hörte des Meisters Horn.
Mein Held lief herzu,
sie Alle kamen, doch Jeden
empfing er mit blutiger Wehr.
Der Kühne, der Feindliche!
Alle sie flohen ihm. –

Du dort! Du dort!
Was schufst du uns solche Noth?
Verwünscht, verwünscht sollst du sein!

( Parsifal springt etwas tiefer in den Garten
herab.)


DIE MÄDCHEN.
Ha! Kühner! Wagst du zu trotzen.
Was schlug’st du uns’re Geliebten?
PARSIFAL
(in höchster Verwunderung.)
Ihr schönen Kinder, mußt‘ ich sie nicht schlagen?
Zu euch Holden ja wehrten sie mir den Weg.
MÄDCHEN.
Zu uns wolltest du?
Sah’st du uns schon?
PARSIFAL.
Noch nie sah ich solch‘ zieres Geschlecht.
Nenn‘ ich euch schön, dünkt euch das recht?
DIE MÄDCHEN
(von Verwunderung in Heiterkeit übergehend.)
So willst du uns wohl nicht schlagen?
PARSIFAL.
Das möcht‘ ich nicht.
MÄDCHEN.
Doch Schaden
schuf’st du uns großen und vielen;

du schlugest uns’re Gespielen:
wer spielt nun mit uns?
PARSIFAL.
Das thu‘ ich gern.
DIE MÄDCHEN
(lachend.)
Bist du uns hold, so bleib nicht fern;
und willst du uns nicht schelten,
wir werden dir’s entgelten;
wir spielen nicht um Gold,
wir spielen um Minne’s Sold;
willst du auf Trost uns sinnen,
sollst den du uns abgewinnen.

(Einzelne sind in die Lauben getreten, und kommen
jetzt, ganz wie in Blumengewändern, selbst Blumen
erscheinend, wieder zurück.)


DIE GESCHMÜCKTEN MÄDCHEN
(einzeln.)
Lasset den Knaben! – Er gehöret mir. –
Nein! – Nein! – Mir! – mir!
DIE ANDERN MÄDCHEN.
Ah, die Schlimmen! – Sie schmückten sich
heimlich.

(Diese entfernen sich ebenfalls, und kehren alsbald
in gleichem Blumenschmucke zurück.)



DIE MÄDCHEN
(während sie, wie in anmuthigem Kinderspiele, in abwechselndem Reigen um Parsifal sich drehen, und sanft ihm Wange und Kinn streicheln.)
Komm‘! Komm‘!
Holder Knabe,
laß mich dir blühen!
Dir zu wonniger Labe
gilt mein minniges Mühen.
PARSIFAL
(mit heiterer Ruhe in der Mitte stehend.)
Wie duftet ihr hold;
Seid ihr denn Blumen?
DIE MÄDCHEN
(immer bald einzeln, bald mehrere zugleich.)
Des Gartens Zier
und duftende Geister
im Lenz pflückt uns der Meister;
wir wachsen hier
in Sommer und Sonne,
für dich blühend in Wonne.
Nun sei uns freund und hold,
nicht karge den Blumen den Sold:
kannst du uns nicht lieben und minnen,
wir welken und sterben dahinnen.
ERSTES MÄDCHEN.
An deinen Busen nimm mich!

ZWEITES.
Die Stirn laß‘ mich dir kühlen!
DRITTES.
Lass‘ mich die Wange dir fühlen!
VIERTES.
Den Mund laß‘ mich dir küssen!
FÜNFTES.
Nein mich! die Schönste bin ich.
SECHSTES.
Nein ich! Duft‘ ich doch süßer.
PARSIFAL
(ihrer anmuthigen Zudringlichkeit sanft wehrend.)
Ihr wild holdes Blumengedränge,
soll ich mit euch spielen, entlaßt mich der Enge.
MÄDCHEN.
Was zank’st du?
PARSIFAL.
Weil ihr streitet.
MÄDCHEN.
Wir streiten um dich.
PARSIFAL.
Das meidet!
ERSTES MÄDCHEN
(zu dem zweiten.)
Weiche du! Sieh‘, er will mich.
ZWEITES MÄDCHEN.
Nein, mich!

DRITTES.
Mich lieber!
VIERTES.
Nein, mich!
ERSTES MÄDCHEN
(zu Parsifal.)
Du wehrest mir?
ZWEITES.
Scheuchest mich?
ERSTES.
Bist du feige vor Frauen?
ZWEITES.
Magst nicht dich getrauen?
MEHRERE MÄDCHEN.
Wie schlimm bist du, Zager und Kalter!
ANDERE MÄDCHEN.
Die Blumen läßt du umbuhlen den Falter?
ERSTE HÄLFTE.
Weichet dem Thoren!
EIN MÄDCHEN.
Ich geb‘ ihn verloren!
ANDERE.
Uns sei er erkoren!
ANDERE.
Nein, uns! Nein, mir! –
Auch mir! – Hier, Hier! –
PARSIFAL

(halb ärgerlich sie von sich abscheuchend, will fliehen.)
Laßt ab! Ihr fangt mich nicht!

(Aus einem Blumenhage zur Seite vernimmt man)

KUNDRY’S
(Stimme.)

Parsifal! – Bleibe!

(Die Mädchen erschrecken und halten sogleich ein. – Parsifal steht betroffen still.)

PARSIFAL.
Parsifal..?
So nannte träumend mich einst die Mutter. –
KUNDRY’S
(Stimme.)
Hier weile, Parsifal! –
Dich grüßet Wonne und Heil zumal. – –
Ihr kindischen Buhlen, weich’t von ihm:
früh welkende Blumen,
nicht euch ward er zum Spiel bestellt!
Geht heim, pflegt der Wunden;
einsam erharrt euch mancher Held.
DIE MÄDCHEN
(zaghaft und widerstrebend sich von Parsifal entfernend.)
Dich zu lassen, dich zu meiden, –

O weh! O weh‘ der Pein!
Von Allen möchten gern wir scheiden,
mit dir allein zu sein. –
Leb‘ wohl! Leb‘ wohl!
Du Holder! Du Stolzer!
Du – Thor!

(Mit dem Letzten sind sie, unter leisem Gelächter,
nach dem Schlosse zu verschwunden.)


PARSIFAL.
Dieß Alles – hab‘ ich nun geträumt?

(Er sieht sich schüchtern nach der Seite hin um, von welcher die Stimme kam. Dort ist jetzt, durch Enthüllung des Hages, ein jugendliches Weib von höchster Schönheit – Kundry, in durchaus verwandelter Gestalt – auf einem Blumenlager, in leicht verhüllender, phantastischer Kleidung – annähernd arabischen Styles – sichtbar geworden.)

PARSIFAL
(noch ferne stehend.)
Riefest du mich Namenlosen?
KUNDRY.
Dich nannt‘ ich, thör’ger Reiner
»Fal parsi«, –
Dich, reinen Thoren »Parsifal«.
So rief, da in arab’schem Land er verschied,

dein Vater Gamuret dem Sohne zu,
den er, im Mutterschooß verschlossen,
mit diesem Namen sterbend grüßte.
Dir ihn zu künden, harrt ist deiner hier:
was zog dich her, wenn nicht der Kunde Wunsch?
PARSIFAL.
Nie sah‘ ich, nie träumte mir, was jetzt
ich schau‘, und was mit Bangen mich erfüllt. –
Entblühtest du auch diesem Blumenhaine?
KUNDRY.
Nein, Parsifal, du thör’ger Reiner!
Fern – fern ist meine Heimath!
daß du mich fändest, weilte ich nur hier.
Von weither kam ich, wo ich viel ersah‘.
Ich sah‘ das Kind an seiner Mutter Brust,
sein erstes Lallen lacht mir noch im Ohr;
das Leid im Herzen,
wie lachte da auch Herzeleide,
als ihren Schmerzen
zujauchzte ihrer Augen Weide!
Gebettet sanft auf weichen Moosen
den hold geschläfert sie mit Kosen,
dem, bang‘ in Sorgen,
den Schlaf bewacht der Mutter Sehnen,
ihn weckt‘ am Morgen
der heiße Thau der MutterThränen.
Nur Weinen war sie, SchmerzGebahren

um deines Vaters Lieb‘ und Tod;
vor gleicher Noth dich zu bewahren,
galt ihr als höchster Pflicht Gebot:
den Waffen fern, der Männer Kampf und Wüthen,
wollte sie still dich bergen und behüten.
Nur Sorgen war sie, ach! und Bangen;
nie sollte Kunde zu dir hergelangen.
Hör’st du nicht noch ihrer Klagen Ruf,
wann fern und spät du geweilt?
Hei! Was ihr das Lust und Lachen schuf,
wann suchend sie dann dich ereilt!
Wann dann ihr Arm dich wüthend umschlang,
ward dir es wohl gar beim Küssen bang? –
Ihr Wehe doch du nicht vernahm’st,
nicht ihrer Schmerzen Toben,
als endlich du nicht wieder kam’st,
und deine Spur verstoben:
sie harrte Nächt‘ und Tage,
bis ihr verstummt die Klage,
der Gram ihr zehrte den Schmerz,
um stillen Tod sie warb:
ihr brach das Leid das Herz,
und – Herzeleide – starb. –
PARSIFAL
(immer ernsthafter, endlich furchtbar betroffen,
sinkt, schmerzlich überwältigt, bei Kundry’s
Füßen nieder.)


Wehe! Wehe! Was that ich?
Mutter: Süße, holde Mutter!
Dein Sohn, dein Sohn mußte dich morden?
Oh Thor! Blöder, taumelnder Thor!
Wo irrtest du hin, ihrer vergessend?
Deiner, deiner vergessend, traute, theuerste Mutter?
KUNDRY
(immer noch in liegender Stellung ausgestreckt,
beugt sich über Parsifal’s Haupt, faßt sanft
seine Stirne, und schlingt traulich ihren Arm um
seinen Nacken.)

War dir fremd noch der Schmerz,
des Trostes Süße
labte nie auch dein Herz:
das Wehe, das dich reu’t,
die Noth nun büße,
im Trost, den Liebe beut!
PARSIFAL
(trübe.)
Die Mutter, die Mutter konnt‘ ich vergessen!
Ha! Was Alles vergaß ich wohl noch?
Weß‘ war ich je noch eingedenk?
Nur dumpfe Thorheit lebt in mir!

(Er läßt sich immer tiefer sinken.)

KUNDRY.
Bekenntniß

wird Schuld und Reue enden,
Erkenntniß
in Sinn die Thorheit wenden:
die Liebe lerne kennen,
die Gamuret umschloß,
als Herzeleid’s Entbrennen
ihn sengend überfloß:
die Leib und Leben
einst dir gegeben,
der Tod und Thorheit weichen muß,
sie beut‘
dir heut‘
als Muttersegens letzten Gruß
der Liebe – ersten Kuß.

(Sie hat ihr Haupt völlig über das seinige geneigt, und heftet nun ihre Lippen zu einem langen Kusse auf seinen Mund.)

PARSIFAL
(fährt plötzlich mit einer Geberde des höchsten Schreckens auf: seine Haltung drückt eine furchtbare Veränderung aus; er stemmt seine Hände gewaltsam gegen sein Herz, wie um einen zerreißenden Schmerz zu bewältigen; endlich bricht er aus.)
Amfortas! – –
Die Wunde! – die Wunde! –

Sie brennt in meinem Herzen. –
Oh, Klage! Klage!
Furchtbare Klage!
Aus tiefstem Inner’n schreit sie mir auf.
Oh! – Oh! –
Elender! –
Jammervollster! –
Die Wunde sah ich bluten: –
nun blutet sie mir selbst –
hier – hier!

(Während Kundry in Schrecken und Verwunderung auf ihn hinstarrt, fährt Parsifal in gänzlicher Entrücktheit fort.)

Nein, nein! Nicht ist es die Wunde:
fließe ihr Blut in Strömen dahin!
Hier! Hier im Herzen der Brand!
Das Sehnen, das furchtbare Sehnen,
das alle Sinne mir faßt und zwingt!
Oh! – Qual der Liebe! –
Wie Alles schauert, bebt und zuckt
in sündigem Verlangen! …

(Schauerlich leise.)

Es starrt der Blick dumpf auf das Heilsgefäß: –
das heilige Blut erglüh’t; –
Erlösungswonne, göttlich mild‘,

durchzittert weithin alle Seelen:
nur hier, im Herzen, will die Qual nicht weichen.
Des Heiland’s Klage da vernehm‘ ich,
die Klage, ach! die Klage
um das verrath’ne Heiligthum: –
»erlöse, rette mich
aus schuldbefleckten Händen!«
So – rief die Gottesklage
furchtbar laut mir in die Seele.
Und ich? Der Thor, der Feige!
Zu wilden Knabenthaten floh‘ ich hin!

(Er stürzt verzweiflungsvoll auf die Knie.)

Erlöser! Heiland! Herr der Huld!
Wie büß‘ ich Sünder solche Schuld?
KUNDRY
(deren Erstaunen in leidenschaftliche Bewunderung
übergeht, sucht schüchtern sich Parsifal zu nähern.)

Gelobter Held! Entflieh‘ dem Wahn!
Blick‘ auf! Sei hold der Huldin Nah’n!
PARSIFAL
(immer in gebeugter Stellung, starr zu Kundry
aufblickend, während diese sich zu ihm neigt und
die liebkosenden Bewegungen ausführt, die er mit
dem Folgenden bezeichnet.)

Ja! Diese Stimme! So rief sie ihm; –

und diesen Blick, deutlich erkenn‘ ich ihn, –
auch diesen, der ihm so friedlos lachte.
Die Lippe, – ja – so zuckte sie ihm: –
so neigte sich der Nacken, –
so hob sich kühn das Haupt; –
so flatterten lachend die Locken,
so schlang um den Hals sich der Arm –
so schmeichelte weich die Wange –!
Mit aller Schmerzen Qual im Bund,
das Heil der Seele
entküßte ihm ihr Mund! –
Ha! – dieser Kuß! –

(Er hat sich mit dem Letzten allmählich erhoben, springt jetzt vollends auf, und stößt Kundry heftig von sich.)

Verderberin! Weiche von mir!
Ewig – ewig – von mir!
KUNDRY
(in höchster Leidenschaft.)
Grausamer! – Ha! –
Fühlst du im Herzen
nur Anderer Schmerzen,
so fühle jetzt auch die meinen.
Bist du Erlöser,
was bannt dich, Böser,
nicht mir auch zum Heil dich zu einen?

Seit Ewigkeiten – harre ich deiner,
des Heiland’s, ach! so spät,
den einst ich kühn verschmäht. –
Oh! –
Kenntest du den Fluch,
der mich durch Schlaf und Wachen,
durch Tod und Leben,
Pein und Lachen,
zu neuem Leiden neu gestählt,
endlos durch das Dasein quält! –
Ich sah – Ihn – Ihn –
und – lachte …
da traf mich sein Blick. –
Nun such‘ ich ihn von Welt zu Welt,
ihm wieder zu begegnen:
in höchster Noth –
wähn‘ ich sein Auge schon nah‘,
den Blick schon auf mir ruh’n: –
da kehrt mir das verfluchte Lachen wieder, –
ein Sünder sinkt mir in die Arme!
Da lach‘ ich – lache –,
kann nicht weinen:
nur schreien, wüthen,
toben, rasen
in stets erneu’ten Wahnsinn’s Nacht, –
aus der ich büßend kaum erwacht. –
Den ich ersehnt in Todesschmachten,

den ich erkannt, den blöd‘ Verlachten,
laß‘ mich an seinem Busen weinen,
nur eine Stunde dir vereinen,
und, ob mich Gott und Welt verstöß’t!
in dir entsündig’t sein und erlös’t!
PARSIFAL.
In Ewigkeit
wärst du verdammt mit mir
für eine Stunde
Vergessen’s meiner Sendung,
in deines Arm’s Umfangen! –
Auch dir bin ich zum Heil gesandt,
bleib’st du dem Sehnen abgewandt.
Die Labung, die dein Leiden endet,
beut nicht der Quell, aus dem es fließt:
das Heil wird nimmer dir gespendet,
wenn jener Quell sich dir nicht schließt.
Ein andrer ist’s, – ein andrer, ach!
nach dem ich jammernd schmachtend sah,
die Brüder dort in grausen Nöthen
den Leib sich quälen und ertödten.
Doch wer erkennt ihn klar und hell,
des einz’gen Heiles wahren Quell?
Oh, Elend! Aller Rettung Flucht!
Oh, Weltenwahns Umnachten:
in höchsten Heiles heißer Sucht
nach der Verdammniß Quell zu schmachten!

KUNDRY.
So war es mein Kuß,
der Welthellsichtig dich machte?
Mein volles LiebesUmfangen
läßt dich dann Gottheit erlangen!
Die Welt erlöse, ist dieß dein Amt: –
schuf dich zum Gott die Stunde,
für sie lasse mich ewig verdammt,
nie heile mir die Wunde.
PARSIFAL.
Erlösung, Frevlerin, biet‘ ich auch dir.
KUNDRY.
Lass‘ mich dich Göttlichen lieben,
Erlösung gabst du dann mir.
PARSIFAL.
Lieb‘ und Erlösung soll dir lohnen,
zeigest du
zu Amfortas mir den Weg.
KUNDRY
(in Wuth ausbrechend.)
Nie – sollst du ihn finden!
Den Verfall’nen, lass‘ ihn verderben, –
den Unseligen, Schmachlüsternen,
den ich verlachte – lachte – lachte!
Haha! Ihn traf ja der eig’ne Speer?
PARSIFAL.
Wer durft‘ ihn verwunden mit heil’ger Wehr?

KUNDRY.
Er – Er –,
der einst mein Lachen bestraft:
sein Fluch – ha! – mir giebt er Kraft;
gegen dich selbst ruf‘ ich die Wehr,
gieb’st du dem Sünder des Mitleid’s Ehr‘! –
Ha! Wahnsinn!
Mitleid! Mitleid mit mir!
Nur eine Stunde mein, –
nur eine Stunde dein –:
und des Weges –
sollst du geleitet sein!

(Sie will ihn umarmen. Er stößt sie heftig von sich.)

PARSIFAL.
Vergeb‘, unseliges Weib!
KUNDRY
(zerschlägt sich die Brust, und ruft in wildem Rasen.)
Hilfe! Hilfe! Herbei!
Haltet den Frechen! Herbei!
Wehr’t ihm die Wege!
Wehr’t ihm die Pfade! –
Und flöh’st du von hier, und fändest
alle Wege der Welt,
den Weg, den du such’st,
dess‘ Pfade sollst du nicht finden!

Denn Pfad und Wege,
die mir dich entführen,
so verwünsch‘ ich sie dir:
Irre! Irre, –
mir so vertraut –
dich weih‘ ich ihm zum Geleit‘!

( Klingsor ist auf der Burgmauer herausgetreten; die Mädchen stürzen ebenfalls aus dem Schlosse und wollen auf Kundry zueilen.)

KLINGSOR
(eine Lanze schwingend.)
Halt da! dich bann‘ ich mit der rechten Wehr:
den Thoren stell‘ mir seines Meisters Speer!

(Er schleudert auf Parsifal den Speer, welcher über dessen Haupte schweben bleibt; Parsifal erfaßt ihn mit der Hand und schwingt ihn, mit einer Gebärde höchster Entzückung, die Gestalt des Kreuzes bezeichnend.)

PARSIFAL.
Mit diesem Zeichen bann‘ ich deinen Zauber:
wie die Wunde er schließe,
die mit ihm du schlugest, –
in Trauer und Trümmer
stürze die trügende Pracht!


(Wie durch ein Erdbeben versinkt das Schloß; der Garten verdorrt zur Einöde: die Mädchen liegen als verwelkte Blumen am Boden umher gestreut. – Kundry ist schreiend zusammen gesunken. Zu ihr wendet sich noch einmal, von der Höhe einer Mauertrümmer herab, der enteilende.)

PARSIFAL.
Du weißt –
wo einzig du mich wiedersiehst!

(Er verschwindet. Der Vorhang schließt sich schnell.)



Dritter Aufzug

Im Gebiete des Grales.


(Freie, anmuthige Frühlingsgegend mit nach dem
Hintergrunde zu sanftansteigender Blumenaue. Den
Vordergrund nimmt der Saum des Waldes ein, der
sich nach rechts zu ausdehnt. Im Vordergrunde, an
der Waldseite ein Quell; ihm gegenüber, etwas
tiefer, eine schlichte Einsiedlerhütte, an einen
Felsen gelehnt. Frühester Morgen. –)
(Gurnemanz, zum hohen Greise gealtert, als
Einsiedler, nur in das Hemd des Gralsritters dürftig
gekleidet, tritt aus der Hütte und lauscht.)


GURNEMANZ.
Von dorther kam das Stöhnen. –
So jammervoll klagt kein Wild,
und gewiß gar nicht am heiligsten Morgen heut‘. –
Mich dünkt, ich kenne diesen Klageruf?

(Ein dumpfes Stöhnen, wie von einer im tiefen
Schlafe durch Träume Geängstigten, wird
vernommen – Gurnemanz schreitet entschlossen
einer Dornenhecke auf der Seite zu: diese ist
gänzlich überwachsen; er reißt mit Gewalt das
Gestrüpp auseinander: dann hält er plötzlich an.)



Ha! Sie – wieder da?
Das winterlich rauhe Gedörn‘
hielt sie verdeckt: wie lang‘ schon?
Auf! – Kundry! – Auf!
Der Winter floh, und Lenz ist da!
Erwach‘, erwache dem Lenz!
kalt – und starr! –
Dießmal hielt‘ ich sie wohl für todt: –
doch war’s ihr Stöhnen, was ich vernahm!

(Er zieht Kundry, ganz erstarrt und leblos, aus dem
Gebüsche hervor, trägt sie auf einen nahen
Rasenhügel, reibt ihr stark die Hände und Schläfe,
haucht sie an, und bemüht sich in Allem, um die
Erstarrung weichen zu machen. Endlich erwacht sie.
Sie ist, gänzlich wie im ersten Aufzuge, im wilden
Gewande der Gralsbotin: nur ist ihre Gesichtsfarbe
bleicher, aus Miene und Haltung ist die Wildheit
gewichen. – Sie starrt lange Gurnemanz an.
Dann erhebt sie sich, ordnet sich Kleidung und
Haar, und geht sofort wie eine Magd an die
Bedienung.)


GURNEMANZ.
Du tolles Weib!
Hast du kein Wort für mich?
Ist dieß der Dank,
daß dem Todesschlafe

noch einmal ich dich entweckt?
KUNDRY
(neigt langsam das Haupt; dann bringt sie, rauh
und abgebrochen, hervor.)
Dienen.. dienen! –
GURNEMANZ
(schüttelt den Kopf.)
Das wird dich wenig müh’n!
Auf Botschaft sendet sich’s nicht mehr:
Kräuter und Wurzeln
findet ein Jeder sich selbst,
wir lernen’s im Walde vom Thier.

(Kundry hat sich während dem umgesehen,
gewahrt die Hütte und geht hinein.)


GURNEMANZ
(verwundert ihr nachblickend.)
Wie anders schreitet sie als sonst!
Wirkte das der heilige Tag?
Oh! Tag der Gnade ohne Gleichen!
Gewiß zu ihrem Heile
durft‘ ich der Armen heut‘
den Todesschlaf verscheuchen.

( Kundry kommt wieder aus der Hütte; sie trägt
einen Wasserkrug und geht damit zum Quelle.
Während sie auf die Füllung wartet, blickt sie in den
Wald, und bemerkt dort in der Ferne einen

Kommenden; sie wendet sich zu Gurnemanz,
um ihn darauf hinzudeuten.)


GURNEMANZ
(in den Wald spähend.)
Wer nahet dort dem heiligen Quell?
Im düst’ren Waffenschmucke,
das ist der Brüder keiner.

(Kundry entfernt sich mit dem gefüllten Kruge
langsam nach der Hütte, in welcher sie sich zu
schaffen macht. – Gurnemanz tritt staunend
etwas bei Seite, um den Ankommenden zu
beobachten. – Parsifal tritt aus dem Walde auf.
Er ist ganz in schwarzer Waffenrüstung: mit
geschlossenem Helme und gesenktem Speer,
schreitet er, gebeugten Hauptes, träumerisch
zögernd, langsam daher, und setzt sich auf dem
kleinen Rasenhügel am Quelle nieder.)


GURNEMANZ
(betrachtet ihn lange, und tritt dann etwas näher.)
Heil dir, mein Gast!
Bist du verirrt, und soll ich dich weisen?

(Parsifal schüttelt sanft das Haupt.)

GURNEMANZ.
Entbietest du mir keinen Gruß?


(Parsifal neigt das Haupt.)

GURNEMANZ.
Hei! – Was?
Wenn dein Gelübde
dich bindet mir zu schweigen,
so mahnt das meine mich,
daß ich dir sage, was sich ziemt. –
Hier bist du an geweihtem Ort:
da zieht man nicht mit Waffen her,
geschloss’nen Helmes, Schild und Speer.
Und heute gar! Weißt du denn nicht,
welch‘ heil’ger Tag heut‘ ist?

(Parsifal schüttelt mit dem Kopfe.)

Ja! woher komm’st du denn?
Bei welchen Heiden weiltest du,
zu wissen nicht, daß heute
der allerheiligste CharFreitag sei?

( Parsifal senkt das Haupt noch tiefer.)

Schnell ab die Waffen!
Kränke nicht den Herrn, der heute,
bar jeder Wehr, sein heilig Blut
der sündigen Welt zur Sühne bot!

( Parsifal erhebt sich, nach einem abermaligen
Schweigen, stößt den Speer vor sich in den Boden,

legt Schild und Schwert davor nieder, öffnet den
Helm, nimmt ihn vom Haupte und legt ihn zu den
anderen Waffen, worauf er dann zu stummem
Gebete vor dem Speer niederkniet. Gurnemanz
betrachtet ihn mit Erstaunen und Rührung. Er winkt
Kundry herbei, welche soeben aus der Hütte
getreten ist. – Parsifal erhebt jetzt in brünstigem
Gebete seinen Blick andachtvoll zu der Lanzenspitze
auf.)


GURNEMANZ
(leise zu Kundry)
Erkennst du ihn?..
Der ist’s, der einst den Schwan erlegt.

( Kundry bestätigt mit einem leisen Kopfnicken.)

Gewiß ’s ist Er!
Der Thor, den ich zürnend von uns wies?
Ha! Welche Pfade fand er?
Der Speer, – ich kenne ihn.

(In großer Ergriffenheit.)

Oh! – Heiligster Tag,
zu dem ich heut‘ erwachen sollt‘!

( Kundry hat ihr Gesicht abgewendet.)

PARSIFAL
(erhebt sich langsam vom Gebete, blickt ruhig um

sich, erkennt Gurnemanz und reicht diesem
sanft die Hand zum Gruß.)
Heil mir, daß ich dich wieder finde!
GURNEMANZ.
So kenn’st auch du mich noch?
Erkenn’st mich wieder,
den Gram und Noth so tief gebeugt?
Wie kamst du heut‘? Woher?
PARSIFAL.
Der Irrniß und der Leiden Pfade kam ich;
soll ich mich denen jetzt entwunden wähnen,
da dieses Waldes Rauschen
wieder ich vernehme,
dich guten Alten neu begrüße?
Oder – irr‘ ich wieder?
Verwandelt dünkt mich Alles.
GURNEMANZ.
So sag‘, zu wem den Weg du suchtest?
PARSIFAL.
Zu ihm, deß‘ tiefe Klagen
ich thörig staunend einst vernahm,
dem nun ich Heil zu bringen
mich auserlesen wähnen darf.
Doch – ach! –
den Weg des Heiles nie zu finden,
in pfadlosen Irren
jagt‘ ein wilder Fluch mich umher:
zahllose Nöthen,
Kämpfe und Streite
zwangen mich ab vom Pfade,
wähnt‘ ich ihn recht schon erkannt.
Da mußte Verzweiflung mich fassen,
das Heilthum heil mir zu bergen,
um das zu hüten, das zu wahren
ich Wunden jeder Wehr‘ mir gewann.
Denn nicht ihn selber
durft‘ ich führen im Streite;
unentweih’t
führt‘ ich ihn mir zur Seite,
den ich nun heimgeleite,
der dort dir schimmert heil und hehr, –
des Grales heil’gen Speer.
GURNEMANZ.
O Gnade! Höchstes Heil!
O Wunder! Heilig hehrstes Wunder! –

(Nachdem er sich etwas gefaßt.)

O Herr! War es ein Fluch,
der dich vom rechten Pfad vertrieb,
so glaub‘, er ist gewichen.
Hier bist du; dieß des Grals Gebiet,
dein‘ harret seine Ritterschaft.
Ach, sie bedarf des Heiles,
des Heiles, das du bringst! –

Seit jenem Tage, den du hier geweilt,
die Trauer, so da kund dir ward,
das Bangen – wuchs zur höchsten Noth.
Amfortas, gegen seiner Wunde,
seiner Seele Qual sich wehrend,
begehrt‘ in wildem Trotze nun den Tod:
kein Fleh’n, kein Elend seiner Ritter
bewog ihn mehr des heil’gen Amt’s zu walten,
im Schrein verschlossen bleibt seit lang‘ der Gral:
so hofft sein sündenreu’ger Hüter,
da er nicht sterben kann
wann je er ihn erschau’t,
sein Ende zu erzwingen,
und mit dem Leben seine Qual zu enden.
Die heil’ge Speisung bleibt uns nun versagt,
gemeine Atzung muß uns nähren;
darob versiechte unsrer Helden Kraft:
nie kommt uns Botschaft mehr,
noch Ruf zu heil’gen Kämpfen aus der Ferne;
bleich und elend wankt umher
die Muth und Führerlose Ritterschaft.
Hier in der Waldeck‘ barg ich einsam mich,
des Todes still gewärtig,
dem schon mein alter Waffenherr verfiel,
denn Titurel, mein heil’ger Held,
den nun des Grales Anblick nicht mehr labte,
er starb, – ein Mensch wie Alle!

PARSIFAL
(vor großem Schmerz sich aufbäumend.)
Und ich – ich bin’s,
der all‘ dieß Elend schuf!
Ha! Welcher Sünden,
welcher Frevel Schuld
muß dieses ThorenHaupt
seit Ewigkeit belasten,
da keine Buße, keine Sühne
der Blindheit mich entwindet,
mir, selbst zur Rettung auserkoren,
in Irrniß wild verloren
der Rettung letzter Pfad verschwindet!

(Er droht ohnmächtig umzusinken. Gurnemanz
hält ihn aufrecht, und senkt ihn zum Sitze auf den
Rasenhügel nieder. – Kundry hat ein Becken mit
Wasser herbeigeholt, um Parsifal zu
besprengen.)


GURNEMANZ
( Kundry abweisend.)
Nicht doch! –
Die heil’ge Quelle selbst
erquicke uns’res Pilgers Bad.
Mir ahnt, ein hohes Werk
hat er noch heut‘ zu wirken,
zu walten eines heil’gen Amtes:
so sei er fleckenrein,
und langer Irrfahrt Staub
soll jetzt von ihm gewaschen sein.

(Parsifal wird von den Beiden sanft zum Rande
des Quelles gewendet. Während Kundry ihm die
Beinschienen löset und dann die Füße badet,
Gurnemanz ihm aber den Brustharnisch
entnimmt, frägt.)


PARSIFAL
(sanft und matt.)
Werd‘ heut‘ ich zu Amfortas noch geleitet?
GURNEMANZ
(während der Beschäftigung.)
Gewißlich, uns’rer harrt die hehre Burg;
die Todtenfeier meines lieben Herrn,
sie ruft mich selbst dahin.
Den Gral noch einmal uns da zu enthüllen,
des lang‘ versäumten Amtes
noch einmal heut‘ zu walten –
zur Heiligung des hehren Vaters,
der seines Sohnes Schuld erlag,
die der nun also büßen will, –
gelobt‘ Amfortas uns.
PARSIFAL
(mit Verwunderung Kundry zusehend.)
Du wuschest mir die Füße: –

nun netze mir das Haupt der Freund.
GURNEMANZ
(mit der Hand aus dem Quell schöpfend und Parsifal’s Haupt besprengend.)
Gesegnet sei, du Reiner, durch das Reine!
So weiche jeder Schuld
Bekümmerniß von dir!

(Während dem hat Kundry ein goldenes
Fläschchen aus dem Busen gezogen. und von seinem
Inhalte auf Parsifal’s Füße ausgegossen, jetzt
trocknet sie diese mit ihren schnell aufgelösten
Haaren.)


PARSIFAL
(nimmt ihr das Fläschchen ab.)
Salbtest du mir auch die Füße,
das Haupt nun salbe Titurel’s Genoß‘,
daß heute noch als König er mich grüße.
GURNEMANZ
(schüttelt das Fläschchen vollends auf Parsi
fal’s Haupt aus, reibt dieses sanft, und faltet dann die Hände darüber.)

So ward es uns verhießen,
so segne ich dein Haupt,
als König dich zu grüßen.
Du – Reiner, –
mitleidvoll Duldender,

heilthatvoll Wissender!
Wie des Erlös’ten Leiden du gelitten,
die letzte Last entnimm nun seinem Haupt.
PARSIFAL
(schöpft unvermerkt Wasser aus der Quelle, neigt
sich zu der vor ihm noch knienden Kundry, und netzt ihr das Haupt.)

Mein erstes Amt verricht‘ ich so: –
die Taufe nimm,
und glaub‘ an den Erlöser!

(Kundry senkt das Haupt tief zur Erde und
scheint heftig zu weinen.)


PARSIFAL
(wendet sich um, und blickt mit sanfter Entzückung auf Wald und Wiese.)
Wie dünkt mich doch die Aue heut‘ so schön! –
Wohl traf ich Wunderblumen an,
die bis zum Haupte süchtig mich umrankten;
doch sah‘ ich nie so mild und zart
die Halmen, Blüthen und Blumen,
noch duftete All‘ so kindisch hold
und sprach so lieblich traut zu mir?
GURNEMANZ.
Das ist CharfreitagsZauber, Herr!
PARSIFAL.
O weh‘, des höchsten Schmerzentag’s!

Da sollte, wähn‘ ich, was da blüh’t,
was athmet, lebt und wieder lebt,
nur trauern, ach! und weinen?
GURNEMANZ.
Du sieh’st, das ist nicht so.
Des Sünders Reuethränen sind es,
die heut‘ mit heil’gem Thau
beträufet Flur und Au‘:
der ließ sie so gedeihen.
Nun freut‘ sich alle Kreatur
auf des Erlösers holder Spur,
will ihr Gebet ihm weihen.
Ihn selbst am Kreuze kann sie nicht erschauen:
da blickt sie zum erlös’ten Menschen auf;
der fühlt sich frei von SündenAngst und Grauen,
durch Gottes Liebesopfer rein und heil:
das merkt nun Halm und Blume aus den Auen,
daß heut‘ des Menschen Fuß sie nicht zertritt,
doch wohl, wie Gott mit himmlischer Geduld
sich sein‘ erbarmt und für ihn litt,
der Mensch auch heut‘ in frommer Huld
sie schont mit sanftem Schritt.
Das dankt dann alle Kreatur,
was all‘ da blüht und bald erstirbt,
da die entsündigte Natur
heut‘ ihren UnschuldsTag erwirbt.


( Kundry hat langsam wieder das Haupt erhoben,
und blickt, feuchten Auges, ernst und ruhig bittend
zu Parsifal auf.)


PARSIFAL.
Ich sah‘ sie welken, die mir lachten:
ob heut‘ sie nach Erlösung schmachten? –
Auch deine Thräne wird zum Segensthaue:
du weinest – sieh! es lacht die Aue.

(Er küßt sie sanft auf die Stirne.)
(Fernes Glockengeläute, sehr allmählich
anschwellend.)


GURNEMANZ.
Mittag. –
Die Stund ist da: –
gestatte, Herr, daß dich dein Knecht geleite! –

(Gurnemanz hat Waffenrock und Mantel des
Gralsritters herbeigeholt; er und Kundry
bekleiden Parsifal damit. Die Gegend
verwandelt sich sehr allmählich, ähnlicher Weise
wie im ersten Aufzuge, nur von rechts nach links.
Parsifal ergreift feierlich den Speer und folgt
mit Kundry langsam dem geleitenden
Gurnemanz. – Nachdem der Wald gänzlich
verschwunden ist, und Felsenthore sich aufgethan
haben, in welchen die Drei unsichtbar geworden

sind, gewahrt man, bei fortdauernd anwachsendem
Geläute, in gewölbten Gängen Züge von Rittern
in Trauergewändern. – Endlich stellt sich der ganze
große Saal, wie im ersten Aufzuge (nur ohne die
Speisetafeln) wieder dar. Düstere Beleuchtung. Die
Thüren öffnen sich wieder. Von einer Seite ziehen
die Ritter, Titurel’s Leiche im Sarge
geleitend, herein. Auf der andern Seite wird
Amfortas im Siechbette, vor ihm der verhüllte
Schrein mit dem »Grale« getragen. In der Mitte ist
der Katafalk errichtet, dahinter der Hochsitz mit
dem Baldachin, auf welchen Amfortas wieder
niedergelassen wird.)

(Gesang der Ritter während des
Einzuges.)


ERSTER ZUG
(mit dem »Gral« und Amfortas.)
Geleiten wir im bergenden Schrein
den Gral zum heiligen Amte,
wen berget ihr im düst’ren Schrein
und führt ihn trauernd daher?
ZWEITER ZUG
(mit Titurel’s Sarg.)
Es birgt den Helden der Trauerschrein,
er birgt die heilige Kraft;
der Gott selbst einst zur Pflege sich gab:
Titurel führen wir her.
ERSTER ZUG.
Wer hat ihn gefällt, der in Gottes Hut
Gott selbst einst beschirmte?
ZWEITER ZUG.
Ihn fällte des Alters tödtende Last,
da den Gral er nicht mehr erschaute.
ERSTER ZUG.
Wer wehrt‘ ihm des Grales Huld zu erschauen?
ZWEITER ZUG.
Den dort ihr geleitet, der sündige Hüter.
ERSTER ZUG.
Wir geleiten ihn heut‘, denn heut‘ noch einmal
– zum letzten Male! –
will des Amtes er walten.
ZWEITER ZUG.
Wehe! Wehe! Du Hüter des Heils!
Zum letzten Male
sei deines Amts gemahnt!

(Der Sarg ist auf dem Katafalk nieder gesetzt,
Amfortas auf das Ruhebett gelegt.)


AMFORTAS.
Ja, Wehe! Wehe! Weh‘ über mich!
So ruf‘ ich willig mit euch:
williger nähm‘ ich von euch den Tod,
der Sünde mildeste Sühne!

(Der Sarg ist geöffnet worden. Beim Anblick der
Leiche Titurel’s bricht Alles in einen jähen
Wehruf aus.)


AMFORTAS
(von seinem Lager sich hoch aufrichtend, zu der
Leiche gewandt.)
Mein Vater!
Hochgesegneter der Helden!
Du Reinster, dem einst die Engel sich neigten:
Der einzig ich sterben wollte,
dir – gab ich den Tod!
Oh! der du jetzt in göttlichem Glanz
den Erlöser selbst erschau’st,
erflehe von ihm, daß sein heiliges Blut,
wenn noch einmal jetzt sein Segen
die Brüder soll erquicken,
wie ihnen neues Leben,
mir endlich spende – den Tod!
Tod! Sterben!
Einzige Gnade!
Die schreckliche Wunde, das Gift ersterbe,
das es zernagt, erstarre das Herz!
Mein Vater! Dich – ruf‘ ich,
rufe du ihm es zu:
Erlöser, gieb meinem Sohne Ruh‘!

DIE RITTER
(sich näher an Amfortas drängend, durch einander.)
Enthüllet den Schrein! –
Walte des Amtes!
Dich mahnet der Vater: –
du mußt, du mußt!

AMFORTAS
(in wüthender Verzweiflung aufbringend, und unter
die zurückweichenden Ritter sich stürzend.)

Nein – nicht mehr! Ha!
Schon fühl‘ ich den Tod mich umnachten, –
und noch einmal sollt‘ ich in’s Leben zurück?
Wahnsinnige!
Wer will mich zwingen zu leben?
Könnt ihr doch Tod nur mir geben!

(Er reißt sich das Gewand auf.)

Hier bin ich, – die offne Wunde hier!
Das mich vergiftet, hier fließt mein Blut,
Heraus die Waffe! Taucht eure Schwerte
tief – tief hinein, bis an’s Heft!
Ihr Helden, auf!
Tödtet den Sünder mit seiner Qual,
von selbst dann leuchtet euch wohl der Gral!

(Alle sind scheu vor ihm gewichen. Amfortas
steht, in furchtbarer Extase, einsam. – Parsifal
ist, von Gurnemanz und Kundry begleitet,
unvermerkt unter den Rittern erschienen, tritt

jetzt hervor, und streckt den Speer aus, mit dessen
Spitze er Amfortas‘ Seite berührt.)


PARSIFAL.
Nur eine Waffe taugt: –
die Wunde schließt
der Speer nur, der sie schlug.

( Amfortas‘ Miene leuchtet in heiliger
Entzückung auf; er scheint vor großer Ergriffenheit
zu schwanken; Gurnemanz stützt ihn.)


PARSIFAL.
Sei heil, entsündigt und gesühnt!
Denn ich verwalte nun dein Amt.
Gesegnet sei dein Leiden,
das Mitleid’s höchste Kraft
und reinsten Wissens Macht
dem zagen Thoren gab.
Den heil’gen Speer –
ich bring‘ ihn euch zurück. –

(Alles blickt in höchster Entzückung auf den empor
gehaltenen Speer, zu dessen Spitze aufschauend
Parsifal in Begeisterung fortfährt.)


Oh! Welchen Wunders höchstes Glück! –
Die deine Wunde durfte schließen,
ihr seh‘ ich heil’ges Blut entfließen
in Sehnsucht dem verwandten Quelle,
der dort fließt in des Grales Welle!
Nicht soll er mehr verschlossen sein:
enthüllt den Gral! öffnet den Schrein!

(Die Knappen öffnen den Schrein: Parsifal
entnimmt diesem den »Gral«, und versenkt sich,
unter stummem Gebete, in seinen Anblick. Der
»Gral« erglüht: eine Glorienbeleuchtung ergießt
sich über Alle. Titurel, für diesen Augenblick
wieder belebt, erhebt sich segnend im Sarge. – Aus
der Kuppel schwebt eine weiße Taube herab und
verweilt über Parsifal’s Haupte. Dieser
schwenkt den »Gral« sanft vor der aufblickenden
Ritterschaft. – Kundry sinkt, mit dem Blicke zu
ihm auf, langsam vor Parsifal entseelt zu Boden.
Amfortas und Gurnemanz huldigen knieend
Parsifal.)


ALLE
(mit Stimmen aus der mittleren, so wie der obersten
Höhe, kaum hörbar leise.)
Höchsten Heiles Wunder:
Erlösung dem Erlöser!

(Der Vorhang schließt sich.)