Johann Sebastian Bach
BWV 225 – 230
Die Beiträge des Kantors Johann Sebastian Bachs zur Kirchenmusik in Leipzig waren vielschichtiger als man gemeinhin denkt. Gewiß, im Zentrum standen die Kanten, mit denen der Komponist seit seinem Dienstantritt am 30. Mai 1723 seine Hörer – oder jedenfalls die Kenner unter ihnen – Woche für Woche beeindrucken konnte. Außerdem die grandiosen Vertonungen der Passionstexte für die Karfreitagsliturgie – von denen sich leider nur zwei erhalten haben.
Doch im Rahmen der Sonntags-Gottesdienste in St. Nikolai und St. Thomae, die Bach beide musikalisch zu betreuen hatte, wurden nicht nur Kantaten gesungen. Thomaskantor Bach hatte im Rahmen der Ausgestaltung der Messen auch Orgel zu spielen und mag dabei in aller Regel improvisiert haben. Wie das klang, können wir anhand jener Präludien, Toccaten und Fantasien ermessen, die er freundlicherweise niedergeschrieben hat, um sie für die Nachwelt zu erhalten. Zusätzlich zum Gemeindegesang gab es in Leipzig, vom professionellen Chor gesungen, auch Motetten, die sich in reich bestückten Druckwerken wie dem Florilegium Portense fanden, das basierend auf Vorarbeiten von Erhard Bodenschatz seit 1618 das Standardwerk für den wöchentlichen Gebrauch in deutschlands protestantischen Kirchen war.
Von Johann Sebastian Bachs Hand haben sich sechs große Motetten erhalten, formal durchaus den Vorlagen im Florilegium nachempfunden, musikalisch aber so reich und tief empfunden wie die Kantaten oder die Passionen.
Singet dem Herrn ein neues Lied, BWV 225
Diese Kantate ist ein Jubelgesang mit einem besinnlichen Mittelsatz, also aufgebaut wie ein barockes Concerto. Gesetzt ist sie für achtstimmigen Doppelchor, dessen dialogisches Potential ausgekostet wirde. Ein Begräbnisgesang kann diese Motette kaum gewesen sein. Die Musikwissenschaft mutmaßt, sie könnte zur Neujahrsfeier 1727 entstanden sein oder wenige Monate später aus Anlaß des Geburtstags des Kurfürsten Friedrich August gesungen worden sein. Die Todesreflexionen des Mittelsatzes würden sich daraus erklären, daß der Fürst Anfang 1727 schwer krank gewesen war. Die raschen Ecksätze basieren auf den Psalmen 149 und 150. Der langsame Mittelsatz ist eine Choralbearbeitung, deren Hauptstimme sich wie ein Ariadnefaden durch das polyphone Stimmengewebe zieht. Die Motette hat nachweislich den mit Bachs Musik keienswegs wohlvertrauten Wolfgang Amadé Mozart verblüfft, als er sie in Leipzig hören konnte: »Das ist nun einmal etwas, von dem ich noch lernen kann,« sollen seine Worte gewesen sein.
Singet dem Herrn ein neues Lied,
Die Gemeine der Heiligen sollen ihn loben.
Israel freue sich des, der ihn gemacht hat.
Die Kinder Zion sei’n fröhlich über ihrem Könige,
Sie sollen loben seinen Namen im Reihen; mit Pauken und mit Harfen sollen sie ihm spielen.
Wie sich ein Vater erbarmet
Über seine junge Kinderlein,
So tut der Herr uns allen,
So wir ihn kindlich fürchten rein.
Er kennt das arm Gemächte,
Gott weiss, wir sind nur Staub,
Gleich wie das Gras vom Rechen,
Ein Blum und fallend Laub!
Der Wind nur drüber wehet,
So ist es nicht mehr da.
Also der Mensch vergehet,
Sein End das ist ihm nah.
Nun lob mein Seel, den Herren
Gott, nimm dich ferner unser an,
Denn ohne dich ist nichts getan
Mit allen unsern Sachen.
Drum sei du unser Schirm und Licht,
Und trügt uns unsre Hoffnung nicht,
So wirst du’s ferner machen.
Wohl dem, der sich nur steif und fest
Auf dich und deine Huld verlässt.
Lobet den Herrn in seinen Taten, lobet ihn in seiner großen Herrlichkeit!
Alles, was Odem hat, lobe den Herrn.
Halleluja!
Der Geist hilft unser Schwachheit auf, BWV 226
Wie BWV 225 ist auch dieses Werk doppelchörig gestaltet. Die beiden Chöre dialogisieren miteinnder in zwei umfangreichen Abschnitten, ehe sie sich im dritten Teil der Motette zum großen Schlußchroal vereinigen. Für diese Motette sind originale Instrumentalstimmen überliefert, die belegen, daß Bach seine Motetten von Instrumenten begleiten ließ, die die Chorstimmen verstärkten.
Der Geist hilft unser Schwachheit auf, denn wir wissen nicht, was wir beten sollen, wie sich’s gebühret; sondern der Geist selbst vertritt uns aufs beste mit unaussprechlichem Seufzen.
Der aber die Herzen forschet, der weiß, was des Geistes Sinn sei; denn er vertritt die Heiligen nach dem, das Gott gefället.
Du heilige Brunst, süßer Trost
Nun hilf uns, fröhlich und getrost
In deinem Dienst beständig bleiben,
Die Trübsal uns nicht abtreiben.
O Herr, durch dein Kraft uns bereit
Und stärk des Fleisches Blödigkeit,
Daß wir hie ritterlich ringen,
Durch Tod und Leben zu dir dringen.
Halleluja, Halleluja.
Jesu, meine Freude, BWV 227
Die fünfstimmige Motette »Jesu, meine Freude« ist die früheste der sechs Bach-Motetten. Sie entstand, wie die Bach-Forschung meint, vermutlich anläßlich des Begräbnisses der Oberpostmeisters-Witwe Johanna Maria Keess, die testamentarisch den Wunsch geäußert hatte, bei ihrer Beisetzung möge derChoral »Jesu, meine Freude« gesungen werden. Bach verfetigte die komplexe Motette über diesen Choral quasi als Einstands-Arbeit für seine Zeit als Leipziger Thomaskantor. Er war unmittelbar vor dem Trauerfall berufen worden. Architektonisch hat er sein Werk rund um die zentrale Fuge (»Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich«) symmetrisch angeordnet. Die ungraden Sätze der Motette beruhen auf dem von der Verstorbenen gewünschten Choral. Dazwischen stehen freie Sätze auf Grundlage des Texten aus Römer 8, Vers 1-2 bzw. Vers 9-11.
Jesu, meine Freude
Meines Herzens Weide,
Jesu, meine Zier,
Ach wie lang,
ach lange
Ist dem Herzen bange
Und verlangt nach dir!
Gottes Lamm, mein Bräutigam,
Außer dir soll mir auf Erden
Nichts sonst Liebers werden.
Es ist nun nichts Verdammliches an denen, die in Christo Jesu sind, die nicht nach dem Fleische wandeln, sondern nach dem Geist
Unter deinem Schirmen
Bin ich vor den Stürmen
Aller Feinde frei.
Laß den Satan wittern,
Laß den Feind erbittern,
Mir steht Jesus bei.
Ob es itzt gleich kracht und blitzt,
Jesus will mich decken.
Denn das Gesetz des Geistes, der da lebendig macht in Christo Jesu, hat mich frei gemacht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.
Trotz dem alten Drachen,
Trotz des Todes Rachen,
Trotz der Furcht darzu!
Tobe, Welt, und springe,
Ich steh hier und singe
In gar sichrer Ruh.
Gottes Macht hält mich in acht;
Erd und Abgrund muss verstummen,
Ob sie noch so brummen.
Ihr aber seid nicht fleischlich, sondern geistlich, so anders Gottes Geist in euch wohnet. Wer aber Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein.
Weg mit allen Schätzen!
Du bist mein Ergötzen,
Jesu, meine Lust!
Weg ihr eitlen Ehren,
Ich mag euch nicht hören,
Bleibt mir unbewusst!
Elend, Not, Kreuz, Schmach und Tod
Soll mich, ob ich viel muss leiden,
Nicht von Jesu scheiden.
So aber Christus in euch ist, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen; der Geist aber ist das Leben um der Gerechtigkeit willen.
Gute Nacht, o Wesen,
Das die Welt erlesen,
Mir gefällst du nicht.
Gute Nacht, ihr Sünden,
Bleibet weit dahinten,
Kommt nicht mehr ans Licht!
Gute Nacht, du Stolz und Pracht!
Dir sei ganz, du Lasterleben,
Gute Nacht gegeben.
So nun der Geist des, der Jesum von den Toten auferwecket hat, in euch wohnet, so wird auch derselbige, der Christum von den Toten auferwecket hat, eure sterbliche Leiber lebendig machen um des willen, daß sein Geist in euch wohnet.
Weicht, ihr Trauergeister,
Denn mein Freudenmeister,
Jesus, tritt herein.
Denen, die Gott lieben,
Muß auch ihr Betrüben
Lauter Zucker sein.
Duld ich schon hier Spott und Hohn,
Dennoch bleibst du auch im Leide,
Jesu, meine Freude.
Fürchte dich nicht, ich bin bei dir, BWV 228
Fürchte dich nicht, ich bin bei dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott! Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich erhalte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit.Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöset, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!Herr, mein Hirt, Brunn aller Freuden,Du bist mein, Ich bin dein,Niemand kann uns scheiden.Ich bin dein, weil du dein LebenUnd dein Blut mir zugutIn den Tod gegeben.Du bist mein, weil ich dich fasse,Und dich nicht, o mein Licht,Aus dem Herzen lasse.Lass mich, lass mich hingelangen,Da du mich und ich dichLieblich werd umfangen.
Komm, Jesu, komm, BWV 229
»Komm, Jesu, komm« ist Bachs klassische Begräbnismotette voll von sinnfälligen Beispielen musikalischer Textausdeutung – der »saure Weg« der »zu schwer« wird oder die schwindenden Kräfte werden hörbar.
Komm, Jesu, komm,
Mein Leib ist müde,
Die Kraft verschwindt je mehr und mehr,
Ich sehne michNach deinem Friede;
Der saure Weg wird mir zu schwer!
Komm, ich will mich dir ergeben;
Du bist der rechte Weg, die Wahrheit und das Leben.
Drum schließ ich mich in deine Hände
Und sage, Welt, zu guter Nacht!
Eilt gleich mein Lebenslauf zu Ende,
Ist doch der Geist wohl angebracht.
Er soll bei seinem Schöpfer schweben,
Weil Jesus ist und bleibt
Der wahre Weg zum Leben.
Lobet den Herrn, alle Heiden, BWV 230
Bei dieser Motette bestehen nach wie vor Zweifel, ob sie tatsächlich von Johann Sebastian Bach stammt. Ihre Faktur scheint bedeutend simpler als jene der anderen Motetten.
Lobet den Herrn, alle Heiden
und preiset ihn, alle Völker!
Denn seine Gnade und Wahrheit
waltet über uns in Ewigkeit.
Alleluja!