»Parisienne« – Klavierkonzerte von Ravel und Massenet

Hänssler Classics (2024)

»Parisienne«
Klavierkonzerte von Jules Massenet & Maurice Ravel
Eloïse Bella Kohn (Klavier), RSO Berlin – Christoph Koncz

Das neue Album der französischen Pianistin Eloïse Bella Kohn konfrontiert eine – hörenswerte, weil exzellente – Neuaufnahme von Maurice Ravels vielgespieltem G-Dur-Konzert mit einer echten Rarität: Jules Massentes 1902 vollendetem, aber auf bedeutend älteren Skizzen basierendem Klavierkonzert.

Massenets Klavierkonzert

Während der Jugendjahre in Rom entworfen, erst im Jahr 1903 uraufgeführt und selten nachgespielt: Das Klavierkonzert von Jules Massenet, der in Augen und Ohren des großen Publikums ja doch ein Opernmeister bleibt. Tatsächlich entpuppt sich sein Klavierkonzert als eine Art Musiktheater – für den Konzertsaal. Die Motive und Themen – nicht so prägnant und ohrwurmartig wie manche Arien- oder Ballett-Melodie aus Massenets Feder – absolvieren regelrechte Auftritte und große Szenen. Da geht es weniger um klassizistische Formbeherrschung als um eine pittoreske Erzählung in Klängen.

EINE MÄRCHENERZÄHLUNG

Die gelingt der Pianistin im Verein mit dem Berliner Rundfunkorchester unter Christoh Koncz im wahrsten Sinne des Wortes fabelhaft. Duftig, blumig tönt schon der ungewöhnlich poetische Beginn des Werks – Vorhang auf: Anstelle der gewohnten »symphonischen« Elemente tritt eine quasi szenische Dramaturgie, die Charaktere verwandeln sich, manchmal wie in monologischen oder duettierenden Episoden, manchmal graziös bewegt wie im Pas de deux. Und immer wieder hält ein Gefühl für Verdichtung und den überraschenden Coup de théâtre die Spannung aufrecht, ehe der tänzerisch mitreißende, auf slawisches Kolorit bauende Finalsatz dann rhythmisch elektrisierende Pointen setzt – und hie und da auch magyarische Elemente hören läßt, die direkt aus einer der Rhapsodien von Franz Liszt übernommen sein könnten.

Bemerkenswerterweise endet das Es-Dur-Konzert nach einem Mittelsatz in H-Dur (man bemerke die Analogie zu Beethovens Fünftem!) mit einem Finale in c-Moll. Wenige Stücke in der klassisch-romantischen Literatur – eine dieser Ausnahmen bildet Mendelssohns berühmte »Italienische« – wenden sich von Dur nach Moll.

Exzellente Pianistin

Eloïse Bella Kohn, die auf ihren Solo-CDs bereits mit einem breiten Repertoire zwischen Debussy-Préludes und einer eigenen Einrichtung von Bachs »Kunst der Fuge« aufhorchen ließ, erweist sich hier im Dialog mit dem unter dem ehemaligen philharmonischen Vorgeiger Christoph Koncz feingliedrig differenziert musizierenden Berliner Rundfunkorchester als ideale Anwältin dieser Musik. Dynamisch und farblich bunt aufgefächert, brillant in den zahllosen virtuosen Passagen und Girlanden, mit denen Massenet das Geschehen umrankt, vor allem aber rhythmisch alert findet sie für den Erzählfluß nicht nur die große Linie (die leicht verloren gehen könnte!), sondern auch alle nötigen Zwischentöne.

RAVEL, HÖRENSWERT

Diese Tugenden nützen auch dem bestens bekannten Ravel-Konzert und machen diese Aufnahme nicht nur zum notwendigen CD-Füller, sondern zu einer der besten Wiedergaben des Stücks, die derzeit medial greifbar sind. Freilich: Ravels Werk braucht – anders als Massenet – keine interpretatorische »Hilfestellung»., es ist perfekt gearbeitet und spielt raffiniert mit klassischen Formmustern.

Aber es hat seine Tücken. Und die meistern Kohn und Koncz vor allem einmal dank ihrer bemerkenswert klugen Tempo-Dramaturgie, die im Finale für Transparenz und nicht (nur) Rasanz sorgt, und die im Mittelsatz die große Linie findet, vielfach gegliedert, aber nie abreißend, dabei voll Charme und melodischer Biegsamkeit! Ravel soll sich – abgesehen von den Jazz-Elementen in den Ecksätzen, bei diesem Adagio assai ja ausdrücklich auf Mozarts Klarinettenquintett bezogen haben …

Und apropos Virtuosität: Die heikle Kadenz des Kopfsatzes, glasklar artikuliert, klingt, als spielte die Solistin mit drei Händen.

aus dem Ravel-Klavierkonzert Solistin: Eloïse Bella Kohn (hänssler)

Konzerthinweise, Wien:

Album-Präsentation und Konzert, moderiert von Wilhelm Sinkovicz am 8. Oktober 2024 im Bösendorfer Salon im Wiener Musikverein.
(19 Uhr)

Klavierabend Eloïse Bella Kohn im Ehrbar Saal
5. November 2024