Prokofieffs Symphonien

Anders als sein jüngerer Zeitgenosse Dmitri Schostakowitsch war Sergej Prokofieff nicht wirklich ein »typischer Symphoniker«. Er hat auch Symphonien komponiert allerdings betrachtete er die Gattung als recht freizügiges formales System, in dem brillantes Stilübungen (Symphonie Nr. 1) ebenso Platz fanden wie avantgardistische Experimente (Nr. 2), instrumentale Suiten aus Opern- und Ballettpartituren (Nr. 3 und Nr. 4) ebenso wie programmatisch-politische Bekenntnis-Werke (Nr. 5).

Entsprechend bunt und vielgestaltig ist die Ausbeute, die ein neugieriger Musikfreund bei seinen akustischen Erkundungstouren durch die im Konzertsaal verhältnismäßig eingeschränkt präsente symphonische Welt Prokofieffs machen kann.


Prokofieffs symphonische Welten

Prokofieffs symphonischer Erstling wurde gleich zu einer der meistgespielten Symphonie des XX. Jahrhunderts, wohl gerade weil sie eine originelle Beschwörung der Wiener Klassik mit modernen Mitteln darstellt. Der Name, den der Komponist seinem knapp viertelstündigen Werk gab, ist Programm: »Symphonie classique«.

Wilde Antithese

Die wenig später entstandene Zweite ist die wilde Antithese zur klassizistisch-humorvollen Ersten. Eine »Symphonie aus Stahl und Eisen« sollte es werden, wohl auch als Reflektion der bewegten Zeiten, in denen er lebte. Eine Zeitlang verschlug es den Komponisten in den Westen.

Theater-Musik

Aus Theater-Projekten in den Jahren, die Prokofieff in Frankreich und den USA verbrachte, resultierten die Symphonien Nr. 3 und 4: Ein freier symphonischer Auszug aus seiner zu Lebzeiten nie vollständig aufgeführten Exorzismus-Oper Der feurige Engel bildet die Dritte. Eine gekürzte und adaptierte Fassung der für Serge Diaghilev komponierten Ballettmusik Der verlorene Sohn - deren Uraufführung Georges Balanchine choreographierte - wurde zur Vierten Symphonie, die in der sowjetischen Zeit Prokofieffs noch einmal kräftig überarbeitet wurde und daher zwei Opusnummern hat: 47 bzw. 112.

Die Fünfte: Kriegsmusik

Nach der Rückkehr in die Sowjetunion schrieb Prokofieff noch drei Symphonien. Die Fünfte galt wie die gleichzeitigen symphonischen Werke Schostakowitschs als direkte Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg und versucht mit Rücksicht auf die Vorgaben des von Stalin verordneten »sozialistischen Realismus« die Emotionen in klassische Formen zu bündeln.

Ganz ohne sehr persönliche Nuancen kommt Prokofieff aber auch in diesem zur Feier des Sieges im »vaterländischen Krieg« uraufgeführten Opus 100 nicht aus.
Für aufmerksame Hörer erzählt dieses Werk durchaus → eine gar nicht heroische Geschichte.

Nach dem Krieg

Unmittelbar nach Kriegsende begann Prokofieff seine Sechste Symphonie zu komponieren, ein komplexes, ganz und gar nicht den Vorstellungen von einer allgemein verständlichen Kunst des sozialistischen Realismus entsprechend. Erneut sind es recht persönliche Botschaften, die der Komponist hier - wenn auch sehr verklausuliert - aussendet; und die von den Zeitgenossen kaum verstanden wurden.
Aus einer Symphonie für Kinder wuchs die groß angelegte letzte Symphonie Prokofieffs Anfang der Fünfzigerjahre.

Der Weg eines Freigeists

»Formalismus«, hieß es,
ein Kult der Atonalität, der Dissonanz, der Disharmonien.
Ein Komponist, der sich 1948 in Stalins Sowjetunion solcher Kritik ausgesetzt sah, mußte um sein Leben fürchten, auch wenn er weltberühmt war.
Wie ausnahmslos alle bedeutenden Künstler in der Einfluß-Zone der kommunistischen Diktatur stand auch Sergej Prokofieff, obwohl er Mitte der Dreißigerjahre freiwillig aus dem westlichen Exil in seine Heimat zurückgekehrt war, unter Kuratel des sowjetischen Komponistenverbands und hatte sich für jegliche Abweichung von der vorgeschriebenen Volksnähe zu rechtfertigen.

Seit der Veröffentlichung von Dmitri Schostakowitschs Briefen und Aufzeichnungen weiß man mittlerweile, welchen Repressalien Komponisten in jener Ära ausgesetzt waren. Man lebte mit gepacktem Koffer, stets gewärtig, dass die Geheimpolizei anklopfen und einen weiteren Delinquenten abführen könnte.

In solchem Umfeld komponiert es sich nicht ungezwungen - schon gar nicht für einen Meister, der daran gewöhnt war, musikalische Gedanken zu formulieren, wie ihm der Schnabel gewachsen war.

Anfänge im Zarenreich

Die Anfänge des Komponisten Prokofieff waren frech, revolutionär und jedenfalls vollkommen unangepaßt. Mit jeden Neuen Werk erkundete er auch neues Terrain.

In den Symphonien spiegelt sich der ganze Prokofieff, all seine oft zitierten unterschiedlichen Facetten, wie er sie selbst benannte, vom Melodiker über den Humoristen bis zum Motoriker. Aber auch seine widersprüchliche, zwischen Welterfolg und tiefer Depression balancierende Lebensgeschichte findet sich in den Klängen wieder.