HANS WERNER HENZE
1926 - 2012
→ kurzportrait
→ nachruf, oktober 2012
Deutschland bleibt dem Komponisten in der Folgezeit suspekt. Lebenslang. Als Homosexueller fühlt er sich ausgestoßen und flieht nach Italien, das ihm für Jahrzehnte zur Heimat wird.
Ischia, Neapel und dann für lange Zeit die sanfte Hügellandschaft um Castelgandolfo in der Nähe von Rom - dort schreibt er seine Musik, die sich jeglicher Doktrin der offiziellen Neuen Musik entzieht.
Henze träumt von schönen Klängen, während seine Zeitgenossen, wie er es nennt, "serielle Happenings" in der Schönberg-Nachfolge schreiben.
Zu den Darmstädter Ferienkursen sieht er Komponisten fahren, die im Eisenbahnwaggon noch schnell Zwölftonkompositionen aufs Notenpapier werfen, obwohl sie sonst im Carl-Orff-Stil komponieren.
Solchen Zwängen will er sich nicht aussetzen. Seine Nachtstücke und Arien werden bei einem Festival für Neue Musik ausgepfiffen. Sie enthalten zu viel "schöne Musik".
Freilich ist dem Publikum auch Henzes Klangsprache noch zu "modern". Seine ersten Opern, eine Neuadaption des Manon-Stoffs, Boulevard Solitude, und das Märchenspiel nach Gozzi, König Hirsch, erleben kräftige Publikums-Proteste. Doch erweisen sich die Bühnenwerke dieses Komponisten als erstaunlich dauerhaft. Kein Komponist dieser Generation, von Benjamin Britten abgesehen, hat es zu solcher Dauerpräsenz in den internatioalen Spielplänen gebracht.
Die vergleichsweise leichte Zugänglichkeit von Henzes Tonsprache beschert ihm immer neue Aufträge. Er arbeitet mit den besten Librettisten seiner Zeit zusammen:
*Seelenfreundin und zeitweise sogar Lebenspartnerin Ingeborg Bachmann schreibt die Texte zur Kleist-Oper Der Prinz von Homburg und zum sozisalkritischen Hauff-Märchen Der junge Lord.
*Wystan Hugh Auden dichtet das originelle Künstlerdrama →Elegie für junge Liebende und die Europides-Adaption Die Bassariden, die 1966 bei den Salzburger Festspielen zur Urauführung kommen.
Henze hat den Gipfel erreicht, ist aber mit sich und seiner Situation unzufrieden. Die Studentenrevolte 1968 und deren Folgen werfen ihn aus der Bahn. Er richtet sein Leben eine Zeitlang nach Idealen des Sozialismus aus, geht sogar eine Weile nach Kuba, um dort als Erntehelfer tätig zu sein.
In Kuba schreibt er seine Sechste Symphonie, die erstmals auf experimentelle Mgölichkeiten der Avantgarde zurückgreift.
Seine nächsten Bühnenwerke, nicht zuletzt unter dem Einfluss des britischen Dramatikers Edward Bond, bringen sozial- und zeitkritische Themen auf die Bühne.
* La Cubana
* We Come to the River
* Der langwierige Weg in die Wohnung der Natscha Ungeheuer
verraten Henzes Engagement.
In späteren Jahren besinnt sich der Komponist, der in Marino in den Albaner Bergen ein luxuriöses Domizil bewohnt, wieder seiner Wurzeln und tritt mit der Komposition seiner Siebenten Symphonie in eine neue, wieder mehr von absolut musikalischen Kriterien beherrschte Phase ein. In der Folge entstehen eine poetische, von Shakespeares Sommernachdtstrau inspirierte Achte Symphonie, aber auch eine Neunte mit Chor, die nach Anna Seghers Das siebente Kreuz wieder politisch engagierte Töne laut werden läßt.
Die Zehnte Symphonie nimmt mit Beziehungen zu Shakespeares Sturm den Ton der beiden rein instrumentalen Vorgängerwerke wieder auf. Henze pflegt im Alter eine üppig wuchernden, neoromantischen Stil, der perfekt für das auf einen eigenen Text komponierte "Deutsche Märchen" →L'upupa paßt, dem seine zweite große Salzburger Festspiel-Premiere gilt.
Ein letztes, für den Konzertsaal gedachtes Musikdrama "zum Hören" erklingt 2010 als Auftragswerk der Accademia di Santa Cecilia unter Antonio Pappano erstmals in Rom: →Opfergang.
Mit Deutschland hat Henze in seinen letzten Jahren seinen Frieden gemacht. Hoch geehrt, stirbt er 2012 in Marino. Sein Werk hat Konzertsäle und Opernhäuser erobert. Er ist und bleibt einer der meistgespielten Komponisten der zweiten Hälfte des XX. Jahrhunderts.