In der Dämmerung
der 1002. Nacht
Hans Werner Henze hat ein Märchen gedichtet und mit verträumter Musik übergossen. Dieter Dorn hat es ins Kleine Festspielhaus gezaubert. Triumph eines Komponisten, Triumph eines Festivals: Die Weltpremiere geriet in jeder Hinsicht märchenhaft
Vorausgesetzt, es findet sich einer, der Fantasie genug hat, zu fabulieren, und man lässt ihn gewähren.
Hans Werner Henze ist ein Fabulierkünstler wie man in deutschsprachigen Landen keinen zweiten finden wird. Er nimmt sich nach einem guten Dutzend Opern, die so erfolgreich sind, dass sie sogar nach Jahrzehnten immer wieder neu inszeniert werden, das Recht, die kindische Liebe zu Märchen und Sagen in sich und in uns wieder aufblühen zu lassen.
Henze wollte mit seiner Musik in immer neue Gefilde der Seele vordringen, ein Stück voll Poesie, in dem die handelnden Sagenfiguren, aber auch die Zuschauer die Zeit vergessen mögen. Wo er 1953 aufhörte, knüpft er nun wieder an.
Auf zuweilen zwanghafte, zuweilen glückliche Experimente mit unterschiedlichsten Formen musiktheatralischer Aussage - zwischen mythologischer Oper, Kinderstück und politischer Agitation - folgt nun »L'upupa« (Der Wiedehopf), ein Märchen ohne Wenn und Aber, ohne erhobenen Lehrstück-Zeigefinger. Ganz einfach. Einfach kompliziert. Wie Kinderträume vom Hundertsten ins Tausendste wachsend, Türen öffnend, wo gar keine sind, unausgesetzt neue Räume erschließend.
Vom Vogelnest, das ein eloquentes Vokalensemble aus Blumenmädchen und Blumenbuben bewacht, weist der alte Sultan (Hanna Schwarz: dunkel drohend, dann altersmild wohltönend) dem Helden den Weg zur schönen Prinzessin Badia.
Die wohnt in einer roten Blume und singt, weil sie von Laura Aikin schlank und rank dargestellt wird, die lichtesten Koloraturen. Schon sind die Abenteurer zu dritt, denn auf dem Weg hat sich Al Kasim ein Dämon zugesellt, der ihn auf mächtigen Flügeln überall hin trägt, im übrigen aber auch durch Zaghaftigkeit Verwirrung stiftet. John Mark Ainley erfüllt die hexenmeisterischen wie die sinistren Seiten dieser Figur mit tenoralem Leben.
Eindimensional ist nichts in Henzes Märchen. Auch die Schönheit wirft Schatten. Und der böse Tyrann (Günter Missenhardt) entpuppt sich als zweiter Sarastro, wofür ihm der dichtende Komponist sogar verschmitzte »Zauberflöten«-Zitate in den Mund legt.
Nur die beiden Brüder des Helden geben kund von ihrer Schlechtigkeit, mit krähendem Countertenor der »Lügner«(Axel Köhler), mit burschikos sonorem Bariton (Anton Scharinger) der »Nichtsnutz«. Das Duo infernal wirft den treuen Bruder denn auch ohne Federlesens in einen Brunnen.
Solch faszinierende Symbiose aus szenischer und musikalischer Erzählkunst verleiht dieser Aufführung auch im etwas lang geratenen zweiten Teil dauernde Spannung. Das orchestrale Klangkontinuum trägt dank Henzes phänomenaler Instrumentationskunst die Märchenhandlung, malt sie mit tausendfältigen Farben aus. Poetisch und von singulärem Zauber das Finale.
Der alte Mann, der mit höchster Emotion die Geschichte von seinem Turm aus verfolgt und kommentiert (grandios in vokaler Präsenz und Wortdeutlichkeit: Alfred Muff) bekommt seinen Wiedehopf zurück, die bösen Brüder werden bestraft, die Handlung verflüchtigt sich jedoch, denn der Held geht, wie könnte es anders sein, statt die Prinzessin zu heiraten, auf neue Abenteuer.
Da blicken der Vater und das Mädchen ihm nach in eine Dämmerung, aus der er wohl nicht zurückkehren wird. Aber das sind schon die Träume, die Henze uns ermöglicht, denn er spinnt sein Märchen musikalisch weiter ins Unendliche.
So entlässt uns der Märchenerzähler zuletzt bewegt, indem er die Bildersprache dieses fulminanten Abends auf die Musik reduziert - und damit übersteigt. Henze zitiert gern Leonardo da Vincis Satz von der Musik, die »Dinge darstellt, die man nicht sehen kann«: das neue Märchen etwa, das in uns zu klingen beginnt, wenn wir uns Stücken wie diesem öffnen. Entsprechend dankbar jubelte das Premieren-Publikum.
→ 14. August 2003
Wir können noch Märchen-Erzählungen lauschen.Vorausgesetzt, es findet sich einer, der Fantasie genug hat, zu fabulieren, und man lässt ihn gewähren.
Hans Werner Henze ist ein Fabulierkünstler wie man in deutschsprachigen Landen keinen zweiten finden wird. Er nimmt sich nach einem guten Dutzend Opern, die so erfolgreich sind, dass sie sogar nach Jahrzehnten immer wieder neu inszeniert werden, das Recht, die kindische Liebe zu Märchen und Sagen in sich und in uns wieder aufblühen zu lassen.
Ein deutsches Märchen
Im Gefolge seiner Arabischen Lieder hat er das morgenländische Märchen von den drei Brüdern, die für ihren Vater einen Zaubervogel suchen, entdeckt. Für Salzburg hat er es zu einer bunten Oper verdichtet und damit Träume seiner Jugend weitergeträumt. Vor einem halben Jahrhundert hat Henze, aus seiner Heimat ins sonnige Italien geflüchtet, frei nach Gozzi seinen »König Hirsch« geschrieben, ein unzeitgemäßes Werk, das in seiner Gesamtheit nie gezeigt wurde, weil die Fantasie mit dem Komponisten durchgegangen zu sein schien.Henze wollte mit seiner Musik in immer neue Gefilde der Seele vordringen, ein Stück voll Poesie, in dem die handelnden Sagenfiguren, aber auch die Zuschauer die Zeit vergessen mögen. Wo er 1953 aufhörte, knüpft er nun wieder an.
Auf zuweilen zwanghafte, zuweilen glückliche Experimente mit unterschiedlichsten Formen musiktheatralischer Aussage - zwischen mythologischer Oper, Kinderstück und politischer Agitation - folgt nun »L'upupa« (Der Wiedehopf), ein Märchen ohne Wenn und Aber, ohne erhobenen Lehrstück-Zeigefinger. Ganz einfach. Einfach kompliziert. Wie Kinderträume vom Hundertsten ins Tausendste wachsend, Türen öffnend, wo gar keine sind, unausgesetzt neue Räume erschließend.
Jedes Abenteuer gebiert ein neues
Der Held, Al Kasim, dem Matthias Goerne in der glücklichen Salzburger Uraufführung seinen weichen, fein modellierenden Bariton leiht, zieht aus, um den Zaubervogel für seinen Vater zu finden. Das gelingt ihm schon auf Seite drei oder vier des szenischen Bilderbuchs, das Jürgen Rose auf die Bühne gezaubert hat. Doch gebiert jedes Abenteuer sogleich ein neues.Vom Vogelnest, das ein eloquentes Vokalensemble aus Blumenmädchen und Blumenbuben bewacht, weist der alte Sultan (Hanna Schwarz: dunkel drohend, dann altersmild wohltönend) dem Helden den Weg zur schönen Prinzessin Badia.
Die wohnt in einer roten Blume und singt, weil sie von Laura Aikin schlank und rank dargestellt wird, die lichtesten Koloraturen. Schon sind die Abenteurer zu dritt, denn auf dem Weg hat sich Al Kasim ein Dämon zugesellt, der ihn auf mächtigen Flügeln überall hin trägt, im übrigen aber auch durch Zaghaftigkeit Verwirrung stiftet. John Mark Ainley erfüllt die hexenmeisterischen wie die sinistren Seiten dieser Figur mit tenoralem Leben.
Eindimensional ist nichts in Henzes Märchen. Auch die Schönheit wirft Schatten. Und der böse Tyrann (Günter Missenhardt) entpuppt sich als zweiter Sarastro, wofür ihm der dichtende Komponist sogar verschmitzte »Zauberflöten«-Zitate in den Mund legt.
Nur die beiden Brüder des Helden geben kund von ihrer Schlechtigkeit, mit krähendem Countertenor der »Lügner«(Axel Köhler), mit burschikos sonorem Bariton (Anton Scharinger) der »Nichtsnutz«. Das Duo infernal wirft den treuen Bruder denn auch ohne Federlesens in einen Brunnen.
Duett in extremer Lage
Die Prinzessin springt dem Geliebten todesmutig nach. Da ereignet sich ein Liebesduett in extremer Lage. Regisseur Dieter Dorn, der die Charaktere in aller Farbigkeit vor uns entblättert, lässt das Paar, so scheint's, hilflos im Brunnenschacht balancieren, während sich die zarten Melodielinien zu behutsam modellierten Flötentönen der Wiener Philharmoniker unter Markus Stenz umschlingen.Solch faszinierende Symbiose aus szenischer und musikalischer Erzählkunst verleiht dieser Aufführung auch im etwas lang geratenen zweiten Teil dauernde Spannung. Das orchestrale Klangkontinuum trägt dank Henzes phänomenaler Instrumentationskunst die Märchenhandlung, malt sie mit tausendfältigen Farben aus. Poetisch und von singulärem Zauber das Finale.
Der alte Mann, der mit höchster Emotion die Geschichte von seinem Turm aus verfolgt und kommentiert (grandios in vokaler Präsenz und Wortdeutlichkeit: Alfred Muff) bekommt seinen Wiedehopf zurück, die bösen Brüder werden bestraft, die Handlung verflüchtigt sich jedoch, denn der Held geht, wie könnte es anders sein, statt die Prinzessin zu heiraten, auf neue Abenteuer.
Da blicken der Vater und das Mädchen ihm nach in eine Dämmerung, aus der er wohl nicht zurückkehren wird. Aber das sind schon die Träume, die Henze uns ermöglicht, denn er spinnt sein Märchen musikalisch weiter ins Unendliche.
Eine »Abschieds-Symphonie«
Henze beschließt seine »Upupa« - wie schon seinen »Tristan« und die Achte Symphonie - mit einem Orchester-Adagio von zerbrechlicher Schönheit, visionär angesiedelt auf jenem Scheideweg zwischen Erinnerungen an alte, unnennbare Tage der Tonalität und den unaufgelösten Dissonanzen, mit denen die Moderne das Ende aller Illusionen besingt. Henzes Satzkunst hebt diese Polarität auf, schiebt oft schlichte Durdreiklänge über komplizierte Schichtungen, mischt die Farbenpalette des großen Orchesters jedoch so subtil, dass der Hörer die Bezüge zum Altvertrauten nicht zu verlieren meint, obwohl doch komplexeste Strukturen wahrzunehmen sind.So entlässt uns der Märchenerzähler zuletzt bewegt, indem er die Bildersprache dieses fulminanten Abends auf die Musik reduziert - und damit übersteigt. Henze zitiert gern Leonardo da Vincis Satz von der Musik, die »Dinge darstellt, die man nicht sehen kann«: das neue Märchen etwa, das in uns zu klingen beginnt, wenn wir uns Stücken wie diesem öffnen. Entsprechend dankbar jubelte das Premieren-Publikum.