Elegie für junge Liebende

Das Drama vom skrupellos egomanischen Künstler


Die Elegie für junge Liebende ist eine der erfolgversprechendsten Opern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts; nicht nur, weil Hans Werner Henze in seinem 1961 uraufgeführten Werk mittels effektsicherer Klang-Collage zur trefflichen Stimmungsmalerei fand, sondern vor allem, weil Wystan Hugh Auden im Verein mit seinem Gefährten Chester Kallman ein exquisites Libretto gelang: Die bitterbös-zynische Parodie auf das Bergfilm-Genre wurde gleichzeitig ein tiefsinniger Beitrag zum Genre Künstler-Drama.

Der Dichter Gregor Mittenhofer, von der Kritik verwöhnter Zeitgenosse Hofmannsthals und Rilkes, residiert in einem Alpenhotel und lässt sich dort seit Jahr und Tag von den Visionen der Hilda Mack inspirieren. Die lebt in Wahnvorstellungen, seit ihr Ehemann am Morgen nach der Hochzeitsnacht am Gletscher den Bergtod fand.
Nun, nach vierzig Jahren gibt das Eis den Toten frei - Hilda kehrt "ins Heute" zurück. Zu Ende die - den Strophen der Lucia di Lammermoor nachgebildeten - Koloratur-Orgien, deren wild wuchernde Sprachwirrnis Mittenhofer die rechte Anregung geboten hatten - und Auden die Gelegenheit, den Dichtern des Wiener Fin de Siecle die lange Nase zu drehen.

Das Buch ist voll von feinen Anspielungen und kulturhistorischen Pointen; auch Karl Kraus bekommt sein Fett ab - und die handelnden Personen werden ohne Nachsicht mit der psychologischen Lupe betrachtet. Mittenhofer als Zentralsonne inmitten eines Schwarms von Speichelleckern; die ihm hörige Gräfin Carolina von Kirchstetten (nach Audens Wahlheimat im Westen Wiens!) als geknechtete Sekretärin; der Quacksalber Reischmann als Leibarzt.

"Material" für große Singschauspieler

Und die junge Elisabeth Zimmer, die zur Geliebten des Dichters wird - und zu seinem Opfer, als sie sich von ihm zu lösen trachtet, weil sie sich in Reischmanns Sohn Toni verliebt. Mittenhofer gibt das junge Paar vermeintlich frei, schickt die beiden aber in die Berge, damit sie ihm "als Abschiedsgruß" ein Edelweiß bringen mögen.
Als der Bergführer fragt, ob "noch jemand draußen" ist, denn es ziehe ein Unwetter auf, verneint Mittenhofer; und gibt Elisabeth und Toni damit dem sicheren Tod preis. Der skrupellose Poet hat seine neue Inspirationsquelle gefunden: Vor illustrem Publikum rezitiert er zuletzt sein jüngstes Werk: "Elegie für junge Liebende".

Henze hat die schonungslose Charakterstudie 1961 Dietrich Fischer-Dieskau auf den Leib geschneidert. Martha Mödl war im Plattenstudio die Gräfin von Kirchstetten. Leider wurde damals nur ein Querschnitt die DGG aufgenommen. Der freilich bleibt hörenswert.



Laura Aikin als Hilda Mack in der Produktion des Theaters an der Wien, 2017.

↑DA CAPO