Elegie für junge Liebende
Das Drama vom skrupellos egomanischen Künstler
Der Dichter Gregor Mittenhofer, von der Kritik verwöhnter Zeitgenosse Hofmannsthals und Rilkes, residiert in einem Alpenhotel und lässt sich dort seit Jahr und Tag von den Visionen der Hilda Mack inspirieren. Die lebt in Wahnvorstellungen, seit ihr Ehemann am Morgen nach der Hochzeitsnacht am Gletscher den Bergtod fand.
Nun, nach vierzig Jahren gibt das Eis den Toten frei - Hilda kehrt "ins Heute" zurück. Zu Ende die - den Strophen der Lucia di Lammermoor nachgebildeten - Koloratur-Orgien, deren wild wuchernde Sprachwirrnis Mittenhofer die rechte Anregung geboten hatten - und Auden die Gelegenheit, den Dichtern des Wiener Fin de Siecle die lange Nase zu drehen.
Das Buch ist voll von feinen Anspielungen und kulturhistorischen Pointen; auch Karl Kraus bekommt sein Fett ab - und die handelnden Personen werden ohne Nachsicht mit der psychologischen Lupe betrachtet. Mittenhofer als Zentralsonne inmitten eines Schwarms von Speichelleckern; die ihm hörige Gräfin Carolina von Kirchstetten (nach Audens Wahlheimat im Westen Wiens!) als geknechtete Sekretärin; der Quacksalber Reischmann als Leibarzt.
"Material" für große Singschauspieler
Und die junge Elisabeth Zimmer, die zur Geliebten des Dichters wird - und zu seinem Opfer, als sie sich von ihm zu lösen trachtet, weil sie sich in Reischmanns Sohn Toni verliebt. Mittenhofer gibt das junge Paar vermeintlich frei, schickt die beiden aber in die Berge, damit sie ihm "als Abschiedsgruß" ein Edelweiß bringen mögen.
Als der Bergführer fragt, ob "noch jemand draußen" ist, denn es ziehe ein Unwetter auf, verneint Mittenhofer; und gibt Elisabeth und Toni damit dem sicheren Tod preis. Der skrupellose Poet hat seine neue Inspirationsquelle gefunden: Vor illustrem Publikum rezitiert er zuletzt sein jüngstes Werk: "Elegie für junge Liebende".
Henze hat die schonungslose Charakterstudie 1961 Dietrich Fischer-Dieskau auf den Leib geschneidert. Martha Mödl war im Plattenstudio die Gräfin von Kirchstetten. Leider wurde damals nur ein Querschnitt die DGG aufgenommen. Der freilich bleibt hörenswert.
Laura Aikin als Hilda Mack in der Produktion des Theaters an der Wien, 2017.