Béla BARTÓK

1881 - 1945

Avantgarde und echte Volksmusik

Jugend in Nagyszentmiklós

Sein Künstlerleben lang hat Béla Bartók sein Ungartum hochgehalten und sich als Sammler echter ungarischer Volkslieder bemüht, die Kultur seines Volkes vom »Rhapsodien-« und »Zigeunerlieder-Kitsch« zu befreien, den die poetische und musikalische Romantik über die Puszta gebreitet hatte.

Bezeichnend ist, daß Bartóks Heimatort später Sannicolau Mare hieß und rumänisch geworden war. Die Stadt, in der er nach dem frühen Tod seines Vaters, des Schuldirektors Béla Bartók sen., aufgewachsen ist, Nagysöllös, liegt heute in der Ukraine und heiß Vynohradiv. Ab 1892 lebten die Bartóks dann in Pozsony, heute Bratislava und Hauptstadt der Slowakei.

Als junger Mann kostete es Bartók einige Mühe, seine Familie davon zu überzeugen, im Briefverkehr vom vertrauten Deutsch nationalbewußt aufs Ungarische zu wechseln...
Klavierunterricht bei der Mutter
Es war Bartóks Mutter, die dem Knaben das Klavierspiel beibrachte
Sie schrieb auch die ersten Kompositionsversuche des Siebe- und Achtjährigen ins Reine, während klein Béla in seiner Kinderschrift ein Verzeichnis seiner Werke anlegte

Mit elf trat er zum erstenmal öffentlich auf: In Magysöllös spielte er Beethovens Waldsteinsonate und eine eigene Komposition namens
Der Lauf der Donau.

Ernst von Dohnányi
Zur prägenden Persönlichkeit der ersten Jugendjahre in Preßburg wurde der etwas ältere Ernst (Ernö) von Dohnányi, unter dessen Einfluß Bartók seine ersten Werke schrieb, die er in einem neuen Verzeichnis notierte und als bewahrenswert ansah. Als Opus 1 firmiert eine
Klaviersonate in g-Moll


Bartók folgte Dohnányi 1899 auch an die Musikakademie Budapest, obwohl ihm ein Platz an der renommierteren Wiener Akademie angeboten worden war.

Über den Studien erlahmte Bartóks Lust am Komponieren eine Zeitlag.
Richard Strauss
Eine Aufführung von Richard Strauss' Tondichtung Also sprach Zarathutstra beflügelte Bartóks Phantasie jedoch wieder. Die Leuchtkraft von Strauss' Orchestrierung, Elan und Emotion der Musik inspirierten Bartók zu einer symphonischen Dichtungen patriotisch-ungarischen Inhalts. Er begann, seine
Kossuth-Symphonie
zu skizzieren, ein siebenteiliges, nach dem Vorbild von Strauss' Ein Heldenleben angelegtes klingendes Portrait des Helden des fehlgeschlagenen ungarischen Freiheitskampfes gegen die Habsburger-Herrschaft, 1848.


Die Tondichtung in ihrer nach Strauss' Vorbild riesenhaften Orchesterbesetzung (vierfache Holzbläser, acht Hörner) war Bartóks erstes Werk, das international Aufsehen erregte.
Hans Richter, aus dem ungarischen Raab (Györ) gebürtig, brachte es nach der erfolgreichen Budapester Uraufführung (1904) nach England, wo er Chefdirigent des Hallé-Orchesters in Manchester war.

Schon in der Kossuth-Symphonie verzichtet Bartók weitgehend darauf, musikalische Zeichen zu setzen, die im Gefolge Liszt'scher Rhapsodien und Brahms'scher ungarischer Tänze allgemein als »typisch ungarisch« empfunden wurden.
Seit er einmal das echte ungarische Volkslied vom »roten Apfel« (piros alma) gehört hatte, verfolgte ihn der Gedanke, die nur mündlich tradierte ungarische Volksmusik zu erforschen und aufzuzeichnen, damit sie nicht gänzlicher unter der Folklore-Decke verschwinden mußten, die von den populären wandernen Zigeunerkapellen über die ungarische Kultur gebreitet wurde.
An Zoltán Kodálys Seite
Um 1906 entwickelte sich die Freundschaft zum Komponistenkollegen Zoltán Kodály, der bereits mit eischlägiger Forschungsarbeit begonnen hatte.
An Kodálys Seite wirkte Bartók nun federführend bei der Aufarbeitung echter ungarischer Volksmusik, deren oft ungewohnte melodische Skalen in der Folge Melismatik und Harmonik seiner eigenen Musik zu beeinflußen begannen.

Bartók löste sich von Strauss, beobachtete genau die Entwicklung der musikalischen Avantgarde jener Epoche und formte bald seinen unverwechselbaren, eigenen Stil.

In frühen Klavierstücken manifestiert sich die Mischung aus zum Teil sehr einfacher, aus der Volksmusik geborener Motivik und den vorwärtstreibenden Tendenzen der musikalischen Avantgarde.
Allegro barbaro
Das stampfende Allegro barbaro entstand 1911, etwa gleichzeitig mit Stücken wie Strawinskys Petruschka und erschien in einem Sonderdruck der ungarischen Literaturzeitschrift NYUGAT am 1. Jänner 1913 als Faksimile -- also vor dem Uraufführungsskandal von Strawinskys Le Sacre du Printempts, spricht aber eine ähnliche Sprache wie dort die rhythmisch betonten Passagen.

Bühnenwerke

Die Literaten des Nyugat blieben in der Folge Bartóks wichtigste künstlerische Partner:
Béla Balázs schrieb den Text zur Oper Herzog Blaubarts Burg und das Szenarium zum Ballett
→ Der holzgeschnitzte Prinz.
Menyhért Lenyel die »Pantomime grotesque« Der wunderbare Mandarin.
Zwischen diesen beiden Werken radikalisiert sich Bartóks Tonsprache. Im Blaubart (1911) finden sich neben harmonisch avancierten Pasagen auch Stellen von quasi-impressionistischer Farbgebung.
Der wunderbare Mandarin
Im Mandarin (1918/19) herrscht - auch angesichts des brutalen Sujets - grell-dissonierende Harmonik und im entscheidenden Moment auch die rhythmische Energetik des Allegro barbaro.

Diese klingt auch im Mittelsatz des gleichzeitig entstandenen → Zweiten Streichquartetts an, das wischen diesen beiden Stücken entstand, parallel zur Arbeit am Ballett Der holzgeschnitzte Prinz, einem Auftragswerk des Budapester Opernhauses.
Der holzgeschnitzte Prinz
Die Uraufführung, 1917, markierte Bartóks ersten respektablen Erfolg und schuf die Möglichkeit, den früher entstandenen Blaubart endlich zum Leben zu erwecken: Die Premiere fand an einem Abend mit dem Ballett 1918 statt - und Bartók fand mit der Wiener »Unversal Editon« einen Verlag, der zu den Führenden Kräften der musikalischen Moderne zählte.

Die Zeit nach 1918

In der Folge entwickelte sich Bartóks Kunst sozusagen auf zwei Schienen. Da waren zum einen die harmonisch avancierten Werke wie die beiden - für die nicht nur künstlerisch verehrte Geigerin Jelly d'Aranyi geschaffenen - Violinsonaten.Andererseits die Nutzanwendung der volkmusikalischen Forschungen für Orchesterwerke wie die Tanzsuite, die vergleichsweise simple Vorlagen auf raffinierte Weise aus dem Blickwinkel der musikalischen »Moderne« verarbeitet.

Klavierkonert, Klaviersonate

Für sein Instrument, das Klavier, schreibt Bartók 1926 eine Sonate und das erste von → drei Klavierkonzerten. In beiden Werken macht er ungeniert Gebrauch von den perkussiven Elementen des Allegro barbaro, bindet sie aber in komplexere Strukturen ein und positioniert sich damit in der ersten Reihe der Avantgarde jener Jahre.

In dieser Zeit absolviert er seine erste Konzertreise nach Amerika, bei der er freilich auch ältere, weniger drastische Beispiele seiner Kunst vorstellt.

Als Komponist erreicht er 1927 mit seinem Dritten Streichquartett die äußerstes Konzentration der Mittel und des klanglichen Ausdrucks.
Während dessen bringt er für den Sohn Péter kleine, harmonisch reiche, aber nicht aggressive Klavierstücke zu Papier, die er bald zu einem eindrucksvollen Lehrwerk, den Mikrokosmos ergänzen wird.

Stilistisch auf allen Gebieten nunmehr vollkommen sattelfest, kann der Komponist eine zeitgemäße Antwort auf romantische Ungarn-Folklore bieten und schreibt selbstbewußt seine eigenen Rhapsodien, die nur noch das aus dem »Verbunkos« stammende Formschema mit den Liszt'schen Vorbildern gemein haben: Die Rhapsodien für Violine von 1928.

Cantata profana

Zwei Jahre später entsteht mit der Cantata profana ein Hauptwerk Bartóks, dessen Bedeutung kaum je erkannt worden ist. Die Geschichte vom Vater und seinen Söhnen, die sich in Hirsche verwandeln, um fortan nur noch »klares, reines Quellwasser« zu trinken, verrät Bartóks Naturliebe und seine Einstellung zu kulturell-zivilisatorischen Fragen, die in jener Zeit aktueller als je zuvor waren.
Die Vorlage fand er bei seinen Volksmusik-Forschungen in Rumänien, übersetzte den Text jedoch für seine Arbeit ins Ungarisch.

Internationale Anerkennung

In den dreißiger Jahren galt Bartók international bereits als einer der führenden Meister der musikalischen Moderne. Seine Kompositionen erlebten Uraufführungen in den großen Metropolen des Musiklebens.
Zweites Klavierkonzert, die Streichquartette IV und V, vor allem aber die Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta dürfen als Hauptwerke jener Epoche gelten.
Die Musik, formal und klanglich eines der originellsten Stücke Bartóks, ist verwandt mit der Sonate für zwei Klaviere und Schlagwerk, die für gemeinsame Auftritte mit seiner zweiten Ehefrau, Ditta, gedacht war. Beide Stücke waren Auftragswerke für den Schweizer Mäzen Paul Sacher, der dem Komponisten dann auch für die Arbeit am Divertimento für Streicher nach seinem Rückzug aus der Heimat Asyl in der Schweiz bot.

Ende in den USA

Aus der Musik des Divertimentos hört man gern eine gewisse Abgeklärtheit heraus, die eine Art »Spätstil« einläutet. Tatsächlich war Bartók bei seinem Gang ins amerikanische Exil bereits ein kranker Mann.

Der ruhigere, dem Publikum durchaus zugänglichere Tonfall ist auch den letzten Werken eigen, dem beliebten, für Serge Kussevitzkys Boston Symphony Orchestra komponierten Konzert für Orchester, vor allem aber dem Dritten Klavierkonzert, dessen letzte Partiturtakte bereits ein Student Bartóks ergänzen muß.
Ein Bratschenkonzert bleibt Fragment.

Wie ein Resüme eines vielschichtigen Schaffens liest sich die Partitur des Sechsten Streichquartetts, indem neben dem durch alle Sätze ziehenden, resignativen Motto-Thema auch groteske und expressionistische Töne laut werden, wie der Komponist sie für frühere Werke so charkateristisch waren.

Ins »Adagio religioso« des Mittelsatzes des Dritten Klavierkonzerts mischen sich die von Bartók so oft beschworene Couleur locale der ungarischen Tiefebene mit Vogelstimmen, die er bei Spaziergängen in North Carlolina notierte - heimisch gefühlt hat sich Bartók im Exil nicht. In den langsamen Satz des Konzerts für Orchester klingt melancholisch ungarische Musik herein.

Auch das in Amerika für Yehudi Menuhin komponierte Violinkonzert, viel extrovertierter als das danach für Ditta geschriebene Klavierkonzert, ist nicht frei von Heimweh-Klängen, allerdings dramaturgisch als großes Virtuosen-Spektakel verbrämt.

Mitten in der Arbeit am Bratschenkonzert und einem Siebenten Streichquartett erlag Bartók 1945 seiner Leukämie-Erkrankung.


↑DA CAPO