Béla BARTÓK

1881 - 1945

→  Biographisches   

Avantgarde und echte Volksmusik

Mit einigen wenigen Werken - voran dem virtuosen Konzert für Orchester - hat sich Béla Bartók im internationalen Repertoire bleibend verankert. Dieses Werk-ebenso wie etwa das Dritte Klavierkonzert-können Veranstalter getrost ansetzen, ohne daß eine Karte unverkauft bliebe; vorausgesetzt, die Interpretennamen ziehen.

Über die faszinierende Bandbreite des Bartókschen Schaffen macht sich die Musikwelt freilich keinen Begriff. Ohne seinen Anspruch aufzugeben, stets »neue Musik« zu schreiben, hat dieser Komponist sein Wissen um die echte ungarische Volksmusik, die er im Verein mit dem Kollegen Zoltán Kodály akribisch erforscht hat, in sein Werk eingebracht und damit einen ganz unverwechselbaren Ton gefunden.

Der ganze Bartók auf CD
Daß mit der Musik Bartóks Staat zu machen ist, auch dann, wenn sie nicht durch konsequenten Zuspruch des Publikums als »verträglich« geadelt wurde, beweist die vorliegende Edition des Gesamtwerks.

Aus dem Katalog von Decca und Deutsche Grammophon erstellte man eine Anthologie, die sich hören lassen kann.

Die Dirigentenliste reicht von Sir Georg Solti und Pierre Boulez bis Antal Dorati und Iván Fischer, die Solistenriege führt Martha Argerich an, wobei die Gesamteinspielung des Klaviersolowerks durch Zoltán Kocsis und die sechs Streichquartette, gespielt vom Takács-Quartett, das Rückgrat der Sammlung bilden.
Beide, Kocsis wie das Takács-Quartett, verstehen sich auf den scharf geschliffenen Tonfall, den Bartóks Musik in den frühen, trotzig-revolutionären Stücken wie im scheinbar abgeklärten »Spätstil« braucht, um ihre Dynamik zu entfalten.

Vor allem gelingt es diesen Interpreten-wie auch den meisten der genannten Dirigenten mit ihren Orchestern-,das neue Schönheitsideal der musikalischen Moderne in Bartóks Formulierung hörbar zu machen: Manche Dissonanzen entfalten bei entsprechender Betonung ihres Ausdrucksgehalts im kompositorischen Kontinuum tatsächlich wohlig-warme, konsonante Qualität.
Ohne diese Tugend ist adäquate Bartók-Interpretation nicht möglich.

Aufnahmeklassiker

Auf den letzten drei CDs in der Box, quasi als Qualifikatoren enthalten, sind die drei Klavierkonzerte in der Interpretation durch Géza Anda und Ferenc Fricsay sowie hochexpressive pianistische Glanzleistungen von Andor Foldes, Julius Katchen und Swjatoslaw Richter.

Herzog Blaubarts Burg

Bartóks große Oper, Herzog Blaubarts Burg,ist in der längst historischen, aber bis heute unerreicht dichten Aufnahme durch Christa Ludwig, Walter Berry unter István Kertész zu hören.

Und die kaum bekannten Frühwerke muss hören, wer die eigenwillige Mixtur aus Klangsinnlichkeit und klarer, an akribisch erforschten ungarischen und slawischen Volksgesängen orientierter Direktheit verstehen will, die das gesamte Schaffen dieses Meisters prägt. Sie macht auch die kleinen und kleinsten Piecen zu spannenden Momenten-und die gesamte Box zu einem einzigen, aufregenden Hörabenteuer.

Klingendes Tagebuch

Die → sechs Streichquartette führen uns wie ein klingendes Tagebuch durch das Leben eines musikalischen Avantgardisten.

Musik für Saiteninstrumente

Zu den formal wie von der thematischen Erfindung originellsten Werke Bartóks gehört die Mitte der Dreißigerjahre für Paul Sacher und sein Basler Kammerochester komponierte Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta. Das Stück steht in der Bartókschen Biographie auf dem Scheitelpunkt zwischen avantgardistischen Experimenten und klassizistischer Formenstrenge.
Wobei die formale Innovationskraft so vielschichtig und inspiriert scheint wie die harmonische: Wie diese die überkommene Tonalität neu reflektiert und ihr ungeahnte neue Effekte abgewinnt, zeigt der Aufbau Bartóks architektonische Fantasie.

Der erste Satz ist eine kühne anverwandlung des barocken Fugen-Prinzips, der dritte ein elegisches Intermezzo voll Sentiment (wie ein Jahrzehnte später der Mittelsatz des Konzerts für Orchester, aber noch kompromißloser, freier in der Machart).

Die Sätze II und IV sind rasche Allegro-Sätze, wobei das Finale in eine orgiastische Folge von Tänzen mündet.

Die besten Aufnahmen von Bartóks Musik für Saiteninstrumente stammen von zwei grandiosen Orchestererziehern und Klang-Magiern. ↓
Von dem virtuos komponierten Werk gibt es allein unter der Leitung Herbert von Karajan drei Einspielungen. Die dritte und letzte kann – wohl als einzige im Katalog – sogar halbwegs mit der unvergleichlichen Living-Stereo-Wiedergabe durch das Chicago Symphony Orchestra unter Fritz Reiner mithalten, sie ist vielleicht sogar noch einen Deut »durchhörbarer« »sauberer« musiziert, wenn auch nicht ganz vom gleichen Impetus. Aber wie herrlich aufgefächert ist der Klang im Dialog zwischen Streicher-Pizzicato und Harfe im zweiten Satz!
Über die Präzision der Schlagwerker
Ein Detail am Rande: Kenner sollten sich den Spaß machen, bei der eben angesprochenen Passage die Berliner und die Chicagoer Aufnahme direkt zu vergleichen. Es gibt da jeweils an den strategisch herausragenden Punkten der Kette von Klavierakkorden, jeweils „off-beat“ markante Einzeltöne des Xylophons (Takte 226-232). Was die rhythmische Sensibilität betrifft , schlägt der amerikanische Kollege den deutschen da ums jeweils Millisekunden-Alzerl souverän. (Dafür spielt der Berliner dann den einsamen Beginn des dritten Satzes wunderbar gefühlvoll aus; man kann nicht alles haben...)

Und noch ein Detail: Das knappe Ritenuto vor dem Schlussakkord des Werks verstehen sowohl Karajan als auch Reiner wohl richtig und dehnen es nicht, wie die meisten andern Dirigenten unnötig aus, wodurch es zum Bremsklotz wird und die Schlagkraft des Schlusses beeinträchtigt.
Beide Aufnahmen landen effektsicher im Ziel. (Karajan auf DG, Reiner auf RCA)



↑DA CAPO