BARTÓK               

Konzert für Orchester

1943


  • Introduzione. Andante non troppoAllegro vivace
  • Giuoco delle coppie. Allegro scherzando
  • Elegia. Andante non troppo
  • Intermezzo interrotto. Allegretto
  • Finale. Presto

  • Das Werk entstand über Auftrag von Serge Kussewitsky für dessen Boston Symphony Orchestra und wurde in dieser Konstellation am 1. Dezember 1944 uraufgeführt. Von dieser Premiere existiert ein Livemitschnitt, der als einziger den ursprünglichen Schluß der Komposition dokumentiert. Bartók hat in seinem Todesjahr 1945 noch einen weniger abrupten Ausklang seines Werks notiert, der von Boosey&Hawkes auch als Alternative in die Durckausgabe aufgenommen wurde und seither in der Regel gespielt wird.

    Das fünfsätzige Werk verdankt seinen Titel der Tatsache, daß Bartók sämtlichen Solisten des Orchesters Gelegenheit zu ausgiebigen Soli gibt - und in der Art des barocken Concerto grosso auch Klanggruppen einander gegenüberstellt.
    Bartók selbst erläutert:

    Der Titel rührt daher, daß im Laufe dieses in der Art einer Symphonie geschriebenen Orchesterwerks, die einzelnen Instrumente und Instrumentengruppen konzertierend oder solistisch auftreten. Die virtuose Behandlung erscheint zum Beispiel in der Durchführung des ersten Satzes (Fugato der Blechbläser), auch im Verlauf des Hauptthemas des letzten Satzes, der einem Perpetuum mobile ähnelt.
    Der zweite Satz, Spiel der Paare genannt, präsentiert jeweils Duo-Formationen in aparten harmonischen Konstellationen:
  • Fagotte in Sexten
  • Oboen in Terzen
  • Klarinetten in Septimen
  • Flöten in Quinten
  • Trompeten (mit Dämpfern) in Sekunden.
  • Als »Trio« dieses amüsant-hintergründigen (ersten) Scherzos des Konzerts fungiert eine choralartige Passage für die Blechbläser. Einige Trommelschläge markieren die formalen Schnittpunkte des Satzes.

    In der Blaupause zum Erstdruck der Partitur konnte Bartók den Titel des zweiten Satzes noch nach seinem Wunsch in Presentando le coppie ändern; doch unterblieb die Korrektur in der endgültigen Ausgabe.


    Im Zentrum des Werks steht eine melancholische Elegie, in der Bartók, der Exilant, den Verlust seiner ungarischen Heimat mit von Naturlauten erfüllten Puzsta-Klängen beschwört, die sich im Mittelpunkt des Satzes dramatisch verdichten, um zuletzt ersterbend zu verklingen. Die raunenden Klarinettenfiguren zitieren den »Tränensee« aus Bartóks Operneinakter Herzog Blaubarts Burg.

    Das folgende unterbrochene Intermezzo ist ein volksliedartig-schlichter Gesang, der rüde von einem hereinbrechenden Gassenhauer unterbrochen wird - Bartók zitiert hier unmißverständlich Danilos Da geh ich ins Maxim aus Franz Lehárs Lustiger Witwe. Eine zynische Anleihe bei einem Landsmann, der es vorgezogen hatte, als von den Machthabern umworbener Operetten-Komponist in Deutschland zu bleiben.

    Lehár oder Schostakowitsch?

    Die vielfach in der Literatur kursierende Festsstellung, Bartók zitiere hier die ebenso »zeitkritisch« zu verstehende Passage aus dem ersten Satz von Dmitri Schostakowitschs Siebenter Symphonie führt insofern in die Irre, als beide Komponisten Lehárs Musik mit ähnlichen kulturpolitischen Hintergedanken aufnehmen. Die programmatischen Konnotationen liegen bei Schostakowitsch auf der Hand: Seine Symphonie war als künstlerische »Durchhalteparole« für die Menschen im von den deutschen Truppen belagerten Leningrad zu verstehen und wurde in diesem Sinne willig auch in den USA rezipiert. Bartók hat davon nach der amerikanischen Erstaufführung der Symphonie selbstverständlich Kenntnis gehabt, doch ist ihm der Ursprung des »bösen« Zitats mit Sicherheit bekannt gewesen.


    Das quirlige Finale kennt bei aller freudvollen Attitüde doch einige Untiefen. Vor allem verdichtet sich die Szenerie kurz vor Schluß zu einem schier undurchdringlichen, geheimnisvoll kreisenden - übrigens 12-tönigen - Klangnebel, den dem erst langsam das von den Blechbläser dann strahlend präsentierte, befreiende Thema durchdringt. Daß dessen Ausklang sogar ein wenig wie eine vom Jazz beeinflußte Variante tönt, mag als eine Hommage des Komponisten an seine neue Wahlheimat gehört werden.

    Aufnahmen

    Der Livemitschnitt der Uraufführung ist nicht nur zeithistorisches Dokument beachtenswert - und immerhin von einem der bedeutendsten Dirigenten seiner Generation geleitet - sondern auch deshalb, weil er als einzige relevante Aufnahme des originalen Schlusses des Final-Satzes erhalten blieb. Spätere Dirigenten hielten sich allesamt an den von Bartók 1945 nachkomponierten, längeren und effektvolleren Schluß.

    Von der gängigen Version existieren unzählige Aufnahmen, denn das Werk wurde zu einem der Schlatrösser bedeutender (und weniger bedeutender) Dirigenten, die ihre Orchester mit einem für das Publikum leicht »verdaulichen« Werk des XX. Jahrhunderts brillieren lassen möchten. Wie kaum ein zweites Werk der musikalischen Moderne wurde Bartóks Konzert für Orchester zu einem effektsicheren Stück für ein Konzert-Finale.

    DA CAPO