Die Winterreise
Einer der bedeutendsten Liedinterpreten unsrer Zeit, Matthias Goerne, hat die Winterreise schon 1997 aufgenommen. Im Zuge der Gesamtaufnahme aller Schubert-Lieder (mit verschiedenen Sängern) für das Label Hyperion ging er mit Graham Johnson ins Studio und realisierte eine der sprachlich nuanciertesten Aufnahmen des Zyklus - vom Pianisten subtil modelliert und vom Wohlklang der jungen Baritonstimme getragen, vereinigen sich intellektuelles und hedonistisches Hörvergnügen ideal (Hyperion CDJ 33030). Goerne hat den Zyklus später noch live mit Alfred Brendel (London, 2003) und im Studio Mitte der Zweitausendzehnerjahre mit Christoph Eschenbach realisiert. Alle drei Aufnahmen sind im Handel.
Drei Jahre vor Goernes Erstaufnahme hatte sich Christa Ludwig von den Konzertpodien zurückgezogen. Kurz nach ihren letzten Auftritten nahm sie mit Charles Spencer die Winterreise für DVD auf: bewegend, gerade weil die Ludwig kein Aufhebens um die bitteren Konnotationen von Text und Musik macht, sondern die innere Dramatik aus der Melodie heraus zu entwickeln versteht - schlichter noch als in der längst klassisch gewordenen ersten Aufnahme (für DG) an der Seite von James Levine (Arthaus 102 147).
Aufnahme-Legenden
Ähnliches gilt für eine historische Aufnahme, die im Katalog der unabdingbaren Interpretationen nicht fehlen darf, obwohl sie in der Literatur als »Außenseiter« gilt: Julius Patzaks 1964 mit dem Pianisten Jörg Demus entstandene Einspielung, die für heutige Hörer problematisch anmuten mag, weil sie sich an das eigenwillige Timbre dieses Sängers erst gewöhnen müssen.Demus spielt hier, so wirkt es zumindest, freier, ungezwungener als in der viel gelobten Winterreise mit Dietrich Fischer-Dieskau, die allseits als Klassiker gehandelt wird (DG), auch schlägt der Tenor den Bariton in Sachen Natürlichkeit und Sicherheit um Längen: Gewiß ist Patzak zu jenem Zeitpunkt (mit 68!) nicht mehr auf der Höhe seiner stimmlichen Entfaltungskraft. Aber was er an selbstverständlicher, immer aus dem melodischen Fluß geborener Artikulationskunst leistet, hat in der Aufnahmegeschichte dieser Liederreihe kaum seinesgleichen.
Selbst die Legende Hans Hotter (früh mit Michael Raucheisen - Preiser, spät mit Gerald Moore - EMI/Warner) möchte man letztendlich hinter diese Wiedergabe reihen; zumal Patzak als Tenor - man vergißt das angesichts der entscheidend von Baritonen geprägten Wiedergabehistorie - den Vorteil genießt, die Lieder alle in der Originaltonart singen zu können. Man lauscht fasziniert und gewinnt den Eindruck, der Entstehungsprozess verliefe in umgekehrter Richtung: Die Musik gebiert den Text (Preiser 93487).