Die Streichquartette
Für seinen Vater und die älteren Brüder war es ein vorzüglicher Genuß, mit ihm Qartetten zu spielen... Bei diesen Quartetten spielte Franz immer Viola...
Schubert Bruder Ferdinand erinnerte sich ein Jahrzehnt nach des Komponisten Tod an die Anfänge der kammermusikalischen Beschäftigung im Hause Schubert.
Kindliche Erstversuche
Das Streichquartett war also die häusliche Begegnung Schuberts mit der klassischen Literatur, während er bei den täglichen Orchester-Übungen mit den Kommilitonen im Wiener Stadtkonvikt die Symphonien Haydns, Mozarts und des frühen Beethoven kennenlernte.
Daher gelten die frühesten Versuche Schuberts in der Instrumentalmusik nebst Klavierkompositionen der Quartett-Besetzung. Eine Ouvertüre für Streichquartett war eine der ersten Früchte der Lehrzeit, die der Zehnjährige beim Lichtentaler Organisten Michael Holzer genoß.
Was ist ein Streichquartett?
Daß es sich beim Quartett um die höchst entwickelte Form der klassischen Formgebung handeln könnte, ist dem kindlichen Schubert noch nicht aufgegangen. Er ist beeindruckt von der Gewalt der Töne im Symphonieorchester und begeistert sich auch für Arrangements symphonischer Musik für kleine Besetzung. Ebenso spielt man im häuslichen Kreis Tanzmusik in Streichquartett-Besetzung.
Schuberts früheste Werke spiegeln diese unbekümmerte Vielfalt ebenso wie die zahlreichen Versuche, innerhalb dieses Sammelsuriums eigenständige Töne anzuschlagen.Lehrzeit bei Salieri
Mit Beginn der Studien bei Hofkapellmeister Antonio Salieri tritt der Komponist in ein neues Stadium ein. Das B-Dur-Quartett (D 112) sprengt mit seinen anspruchsvolleren Partien bereits den Rahmen der bürgerlichen Hausmusik. Der Cellopart, in den früheren Werken für den musizierenden Vater Schubert bewußt simpel gehalten, wird dem Schwierigkeitsgrad der übrigen Stimmen angepaßt. Schubert übt sich in der von Haydn und Mozart vorgeformten Gleichberechtigung der vier Spieler.
Der Versuch, einen Verleger zu finden, scheitert freilich. Der junge Komponist wird bei Artaria vorstellig und bietet drei Quartettkompositionen an. Die Widmung auf dem Titelblatt schreckt den Artaria aber ab:
Herrn Antonio Salieri von seinem Schüler Franz Schubert gewidmet.
Die brüske Ablehnung des Konvoluts begründet der Verleger mit den Worten:
Schülerarbeiten nehme ich nicht!
Die "Krise"
Vier Jahre lang wird Schubert keine Streichquartette mehr komponieren. Schuberts Biographen sprechen gern von einer "Krise", die der Komponist zwischen seinem 19. und 23. Lebensjahr durchläuft. Von seinen frühen Werken will er bald nichts mehr wissen.
Bruder Ferdinand berichtet, daß Franz recht geharnischt reagierte, als er erführ, man spiele im Familienverband wieder seine Jugend-Quartette:
...besser wird es seyn, wenn Ihr Euch an andere Quartetten als die meinigen haltet, denn es ist nichts daran, außer daß sie vielleicht Dir gefallen, dem alles von mir gefällt.
Der Quartettsatz
Signifikant für diese Zeit der Orientierungssuche ist, wie so oft bei Schubert, der Versuch, in neue, anspruchsvollere stilistische Welten vorzurdingen, scheitert. Ein c-Moll-Streichquartett von 1820 bleibt Fragment. Der erhaltene erste Satz schlägt allerdings tatsächlich ganz neue, erschreckend schonungslose Töne an. Der Ausdrucksmusiker Schubert sucht nach Versöhnung mit den Ansprüchen der klassischen Form - und dringt zumindest in diesem Allegro-Satz bereits weit in sein ureigenstes Terrain vor.
Der Weg zur Symphonie
1824 schreibt Schubert dann in einem gewaltigen Konzentrationsprozeß zwei der bedeutendsten Streichquartette der Musikgeschichte innerhalb weniger Wochen nieder.
Im Februar und März entstehen die Werke in a-Moll (D 804) und d-Moll (D810). Viel zitiert wurde Schuberts Brief an den Maler Leopold Kuppelwieser:
In Liedern habe ich wenig Neues gemacht, dagegen vesuche ich mich in mehreren Instrumental-Sachen, denn ich componierte 2 Quaartetten für Violinen, Viola u. Violoncello u ein Octett, u. will noch ein Quartetto schreiben, überhaupt will ich mir auf diese Art und Weise den Weg zur großen Symphonie bahnen.
Zum erwähnten dritten Quartett der Reihe kam es nicht. Denn die Zeitgenossen wollten den Weg Schuberts "zur großen Symphonie" nicht mitgehen. Ignaz Schuppanzigh, durch Beethoven an die äußersten technischen und musikalischen Herausforderungen gewöhnt, lehnte Schuberts d-Moll-Quartett ab.
So war die Uraufführung des a-Moll-Quartetts am 14. März 1824 nicht nur ein großer Tag in der Musikgeschichte, sondern die einzige Gelegenheit, bei der Schubert eines seiner Streichquartette in einer öffentlichen Aufführung zu hören. Und das er in Druck geben konnte.
Der Verlag kündigte zwar Trois Quattuors als Opus 29 an, druckte aber letztlich nur das a-Moll-Werk.
Eusebius Mandyczewski schrieb in der von Ihnm betreuten Schubert Gesamtausgabe
aber trotz des langwierigen Weges, den Schubert auf diesem Feld die ging, haben alle seine Quartette eines gemein: die Neigung zum orchestermäßigen. Dies gilt sowohl von der inneren Beschaffenheit der musikalischen Gedanken als auch demgemäß von der Behandlung der Streichinstrumente. Es ist etwas spezifisch Schubertisches, und mag darin seine Erklärung finden, dass ihm, wie aus allen seinen Werken ersichtlich ist, der mächtige Drang beherrschte, sich immer möglichst voll und ganz auszusprechen.
Zukunftsweisendes Finale
In einem großen Schaffensrausch entstand dann 1828 noch das zuvor angekündigte, aber offenbar zurückgelegte "dritte Quartett". Schuberts radikal-subjetivistischer Expressivität bei gleichzeitiger Weitung der klassischen Form ins Überdimensionale hat immer wieder den Vergleich mit Beethovens späten Streichquartetten provoziert, die für die Zeitgenossen (wie die Nachwelt!) rätselhaft bleiben mußten. Und die Schubert gar nicht kennen konnte.
Auch Schuberts G-Dur-Quartett formuliert inhaltliche Aussagen, die weit über seine Zeit hinaus in "moderne" Dimensionen weisen.
Das Werk entstand in den zehn letzten Juni-Tagen des Jahres 1826 Das Eingangs-Allegro erklang wahrscheinlich anläßlich des einzigen öffentlichen Komponisten-Konzerts, das Schubert je gab, am 28. März 1828. Es wurde kaum beachtet, denn damals hatte Wien nur Ohren (und augen) für den Geigenvirtuosen Niccolo Paganini...
Immerhin ein Rezensent der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung war dabei und äußerte sich begeistert über den Quartettsatz. Er sei
voll Geist und Originalität
Doch mußte die Musikwelt warten bis zur Uraufführung der vier Sätze dieses bahnbrechenden Werks: Sie fand im Dezember 1850, 22 Jahre nach Schuberts Tod statt. Das Wiener philharmonische Hellmesberger-Quartett hob das Werk aus der Taufe - drei Wochen nach dem ebenfalls nachgelassenen Streichquintett. Die beiden Werke gehören seither mit den Quartetten in a-Moll und d--Moll zum Fixbestand des Kammermusik-Repertoires.
↑DA CAPO