Leoš Janáček

1854 – 1928

Leoš Janáček kam 1854 im Nordmährischen Hochwald (Hukvaldy) zur Welt. Zur Schule ging er bei den Augustinern in Brünn, wo seine musikalische Begabung offenbar wurde.
Ein erstes Betätigungsfeld fand Janáček als Organist in der Nachfolge seines Musiklehrers.

1874 / 75 studierte er an der Prager Organistenschule - an jener Schule, die eineinhalb Jahrzehnte zuvor Antonín Dvořák bsucht hatte. Die Verhältnisse waren ärmlich. Üben mußte der Komponist auf einer »stummen Klaviatur«, die er sich auf seinen Schreibtisch aufgemalt hatte.

Danach kehrte Janáček an die philharmonische Gesellschaft Brünn zurück, war aber mit seinen Kenntnissen nicht zufrieden.
Er unterrichtete an der Lehrerbildungsanstalt, widmete sich der Chorleitung und konnte mit der Uraufführung seiner frühen Komposition für Streichorchester, Idyll, (Brünn, 15 Dezember 1878) einen freundlichen Erfolg verbuchen.
Freund und Förderer Antonín Dvořák war am Uraufführungsabend anwesend; die Vorbildwirkung seiner Musik ist in diesem Werk noch unverkennbar.
Doch Janáček ging zur Weiterbildung nach Leipzig, so 1879/80 seine Zdenka-Variationen für Klavier entstanden; zuletzt auch nach Wien ans Konservatorium.
Seine Erfolge waren bescheiden, man beschied seiner (verlorenen) Violinsonate einen allzu »akademischen« Stil und kritisierte seine Fertigkeiten im Klavierspiel.

In Brünn

Janáček ging zurück nach Brünn, wo er seine Klavierschülerin Zdenka Schulzová heiratete, die Tochter des Direktors der Lehrerbildungsanstalt.

1881 eröffnete er in Brünn seine Musikschule und widmete sich verstärkt dem Komponieren; seine Arbeit blieb zunächst aber viele Jahre lediglich von lokaler Bedeutung.

Die Brünner Orgelschule
Direktor der von ihm gegründeten »Brünner Orgelschule« blieb Janáček bis zu deren Erhebung zum Konservatorium, 1919. Sein Institut pries er als eines der besten im Lande, weil seinen Intentionen zufolge alle Studenten auch die theoretischen Fächer zu absolvieren hatten - und die Komponisten sich auch im Violinspiel und Singen üben mußten.
Dadurch unterscheidet sich die Organistenschule von den bisherigen Konservatorien, wo die komplette theoretische Ausbildung nicht für alle Schüler verbindlich ist.

Janáček (1903)


Erste Opern: »Šárka«, »Jenůfa«

Die erste Oper, Šárka stieß auf Schwierigkeiten, weil der Textdichter sein Einverständnis zur Vertonung nicht erteilt hatte. Und es dauerte bis zur Prager Premiere von Jenůfa, 1916, daß eine breitere musikalische Öffentlichkeit auf den mährischen Komponisten aufmerksam wurde.

Jenůfa war bereits zwölf Jahre zuvor in Brünn uraufgeführt worden.
Doch mit der Prager Einstudierung (mit den vom Komponisten sanktionierten Kürzungen und Instrumentationsretuschen durch den Dirigenten Karel Kovařovic) war Janáček über Nacht bekannt und galt als führender lebender tschechischer Komponist. Die Wiener Premiere, 1918, markierte den internationalen Durchbruch.

Die großen Schaffensjahre

Die letzten zwölf Lebensjahre waren denn auch für den Komponisten die fruchtbarsten. Es entstanden in rascher Folge die großen Musiktheaterwerke, die zu dauerhaftem internationalen Ruhm führen sollten.

* Die Ausflüge des Herrn Brouček
»Výlety páně Broučkovy«. nach Svatopluk Čech; (1920, Prag)

* Katja Kabanowa (1921, Brünn)

* Das schlaue Füchslein
»Příhody lišky bystroušky« (1924, Brünn)

* Die Sache Makropulos
»Věc Makropulos« (1926, Brünn)


* Aus einem Totenhaus
»Z mrtvého domu« nach Dostojewski; (posthum 1930, Brünn)

Musik, aus Sprache geboren

Janáčeks Musik ist in ihrer motivischen Substanz und ihrem Rhythmus aus der mährischen Volksmusik und - vor allem - aus Sprache und Naturlaut geboren. Der Komponist entwickelt aus Sprachmelodie und -rhythmus Themen und Motive, die er in virtuos-kühner Variantentechnik bearbeitet und - oft repetitiv-insistierend - strukturbildend einsetzt.

Die Notizbücher des Komponisten sind voll von Transkriptionen sprachlicher Nuancen, Naturlauten und Alltagsgeräuschen, deren Ausdruckskraft er für seine Musik nutzte.
So wurde die Instrumentalmusik Janáčeks nicht minder gestisch-expressiv wie die sprachgebundenen Werke. In aller Regel ist sie auch programmatisch konnotiert. So die große, dreisätzige Orchester-Rhapsodie
Taras Bulba
und die beiden Streichuuartette, deren erstes durch Tolstois
Kreutzersonate
inspiriert wurde, während das zweite
Intime Briefe
Janáčeks an seine junge Geliebte und Muse Kamila Stösslova zu Klingen bringt.

Vom Politischen Engagement des Komponisten kündet - wenn auch über Umwege - unter anderem die
Sinfonietta
deren Ecksätze von Fanfaren überstrahlt werden, die für die Kundgebungen der nationalistischen Sokol-Bewegung komponiert wurden.
In der Musik schwingen Erinnerungen an das nationalistische Hochgefühl mit, das den Zusammenbruch der Habsburger-Monarchie begleitete.

Die Fanfaren der Sinfonietta
Der Glanz der Freiheit, der Wiedergeburt des 28. Oktober 1918 verklärte meine Stadt!
Nun blickte ich zu ihr auf, ich gehörte ihr.
Und das Schmettern der Siegestrompeten,
die weihevolle Stille über dem Hohlweg des Klosters der Königin,
nächtliche Schatten und Hauch vom grünenden Berg,
und die Vision vom sicheren Aufstieg und der Größe dieser Stadt, sie kam in meiner
Sinfonietta aus diesen Eindrücken zur Welt,
aus meiner Stadt Brünn!

Janáček (Lidové noviny,1927)



Glagolitische Messe

In die Reihe der patriotischen Kompositionen zählt auch Janáčeks letztes vollendetes Werk, die Glagolitische Messe. Zur Zelebration des zehnten Jahrestags der Ausrufung der tschechischen Republik vertonte der Komponist die altslawische Übersetzung des lateinischen Meß-Ordinariums. »Glagolitisch« ist lediglich die Schrift. Die Sprache ist jener slawische Dialekt, den Kyrill und Method für ihre Bibelübersetzung und ihre Predigten bei der Christianisierung der Slawen benutzten.
Die Vertonung geht in einigen Punkten auf geistliche Werke zurück, die Janáček in seiner Frühzeit, in der er auch als Organist tätig war, geschrieben hat. Die Klangsprache ist mit dem ausdrucksstarken, aus sprachlichen Nuancen gewonnenen Idiom der späten Opern identisch.


Die Glagolitische Messe auf CD
Wie bei allen Werken des späten Janáček ist auch die Quellenlage im Fall der Messe obskur. Zumal der Komponist die Uraufführung nicht lange überlebte und kein definitive Partitur erstellen konnte. Bis ins späte XX. Jahrhundert wurde das Werk daher - wie viele andere Stücke Janáčeks - in einer stark bearbeiteten Version aufgeführt.
Dennoch gelang etwa Rafael Kubelik mit diesem Stimmenmaterial eine bewegende, kraftvolle Wiedergabe, die nach wie vor als maßstabsetzend gelten darf.

(DG)



Von der revidierten Fassung der Partitur, die unter anderem die kraftvoll pulsierenden 3:2- und 4:3-Metren in gleichmäßige, aber heikel zu exekutierende Septolen und andere unregelmäßige rhythmische Werte auflöst, gibt es eine geglückte Aufnahme unter der Leitung des Janáček-Pioniers Charles Mackerras.

(Decca)



↑DA CAPO