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Die Sache Makropulos

Was Leoš Janáček über Fantasy und Thriller wusste

Die Musik pulsiert kraftvoll, eine breite Melodie strömt über die flammenden, aggressiv rhythmisierten Figuren, von draußen dringen Fanfaren herein-energetisch, wie gewohnt, steigt Leoš Janáček in seine vorletzte Oper, "Die Sache Makropulos",ein. Wie sich die tönenden Ebenen in diesen ersten Klängen der Ouverture überlagern, purzeln im Stück dann die Zeitebenen durcheinander. Emilia Marty, die Heldin des Stücks, ist eine Frau, die nicht sterben kann, die durch die Äonen wandert und den Männern den Kopf verdreht. Durch die Jahrhunderte ist sie mit wechselnden Namen, stets als Femme fatale, unterwegs, immer mit den Initialen E. M.
Hellseherei. Das Szenarium stammt von Karel Čapek, dessen sinistre Komödie 1922 in Prag zur Uraufführung gekommen ist. Im Jahr darauf lernt der Komponist das Stück kennen und beschließt, ein Gegenstück zu seinem "Schlauen Füchslein" zu schaffen, dem Hohelied der Natur, deren Kreislauf dem Tod trotzt, indem er immer aufs Neue beginnt. Der Tod des Füchsleins wird sogleich durch das Erscheinen des "kleinen Füchsleins Schlaukopf, der Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten",konterkariert.
Die "Sache Makropulos" erzählt im Gegenzug von einer Frau, die über das Geheimnis eines lebensverlängernden Elixiers verfügt und sich erst im Lauf des Stückes den Tod herbeiwünscht; das geheime Rezept des magischen Tranks wird von der jungen Gegenspielerin, die ihn aus den Händen der nun endlich sterblichen Elena Makropulos alias Emilia Marty empfängt, verbrannt.
In dieser Schlussszene vereinigt Janáček die beiden Hauptelemente seiner unverwechselbaren Tonsprache auf virtuose Weise: Das Orchester findet zu hymnischen Klängen, während die Singstimme bis zuletzt deklamiert: in jener von Janáček ganz aus der tschechischen Sprache entwickelten, ungemein expressiven Rezitativik. Silben verwandeln sich in Töne, Wörter in Motive-und diese Motive werden zu selbstständigen Elementen des klanglichen Kontinuums. Oft übernehmen einzelne Instrumente gesungene Floskeln und entwickeln diese auf musikalische Weise zur Klangrede. So beginnt die Musik zu "sprechen".Das sichert Janáčeks Partituren ihre eminente Ausdruckskraft und treibt die Handlungen seiner Musiktheaterwerke energetisch voran.

Seelenwanderung. Auch die "Sache Makropulos" entwickelt sich rasant vor Aug und Ohr des Publikums. Die Dialoge zwischen den handelnden Personen finden ihre psychologische Ausdeutung durch die orchestralen "Kommentare".Wir erleben die faszinierende Sängerin Emilia Marty, die sich mehr und mehr in Widersprüche verstrickt, während sie als Zeugin in einen Erbschaftsprozess verwickelt wird.
Sie scheint hellseherisch zu ahnen, wo das vermisste Testament des verstorbenen Barons Prus zu finden ist-und man entdeckt bald, dass ihr Künstlerautogramm mit der Unterschrift auf jenem Dokument identisch ist, das den Erbschaftsprozess entscheiden kann. Freilich: Diese Unterschrift ist mehr als hundert Jahre alt...

Es kristallisiert sich heraus, dass Emilia Marty in Wahrheit Elena Makropulos ist, die Tochter des Hofalchimisten von Kaiser Rudolf II. In dessen Auftrag wurde das Lebenselixier gebraut, das man an der Tochter des Alchimisten ausprobierte. Diese erkrankte daraufhin schwer, was den Vater ins Gefängnis brachte. Doch Elena hat sich erholt-und wandert seither durch die Zeiten.
Erst die grausamen Ereignisse rund um die Erbschaftsstreitigkeiten um ihren ehemaligen Geliebten Prus führen die Frau zu der Erkenntnis, lieber sterben zu wollen, als das unnatürliche und - wie sich auch im Verlauf der Oper zeigt - mörderische ewige Leben fortzuführen. Im Verlauf der Handlung begeht einer der jungen Männer, die Emilia verfallen sind, Selbstmord.
Ein älterer Galan glaubt in ihr wiederum das Zigeunermädchen Eugenia Montez wiederzuerkennen, in das er 50 Jahre früher verliebt gewesen ist. Während das Phänomen angeregt diskutiert wird, verfällt Emilia alias Elena alias Eugenia kurzfristig auch ins Spanische. Die übernatürlichen Zeichen verdichten sich.

Janáček ist es gelungen, nach den "Ausflügen des Herrn Broucek" mit ihren Reisen ins Mittelalter und auf den Mond sowie dem nach einer Comicserie gearbeiteten "Schlauen Füchslein" ein weiteres Libretto zu finden, das weitab von den üblichen Opernklischees menschliche Probleme in ungewöhnlicher Weise reflektiert.
Anders als sein erstes Erfolgsstück, "Jenufa", und die anrührende Tragödie der unterdrückten "Katja Kabanova" vermochte die "Sache Makropulos" sich allerdings nie in den Spielplänen dauerhaft durchzusetzen. Allzu apart scheint der Handlungsverlauf, allzu hoch der Anspruch an das Publikum, die Aufführung gut vorbereitet zu besuchen. Die Schicksale Jenufas oder Katjas liegen vergleichsweise offen da, in die Seelenwanderung der Elena Makropulos muss man freilich eingeweiht sein, um die Handlung ganz zu begreifen.

Für große Menschendarstellerinnen

So wurde die "Sache" eine Sache für große Menschendarstellerinnen, denen die Opernhäuser jeweils Produktionen auf den Leib schneidern ließen, die zumindest kurzfristig für Aufsehen in den Spielplänen sorgen konnten. Die berühmtesten Emilia Martys der jüngeren Vergangenheit waren Anja Silja und Hildegard Behrens.
In Wien fiel anläßlich der ersten eigenen Inszenierung der Staatsoper die Wahl auf eine der großen Darstellerinnen moderner Heroinen: Laura Aikin, unvergessen als Alban Bergs Lulu, zuletzt auch in mehreren europäischen Häusern und bei den Salzburger Festspielen als Marie in Bernd Alois Zimmermanns Soldaten umjubelt. Im Theater an der Wien erlebte man Aikin freilich auch in einer Händel-Oper, selbst Mozart singt sie zwischendurch gern und oft. Aber für heikle Aufgaben jüngeren Datums war sie lange Zeit eine der gesuchten Soprane. In der Neuinszenierung Peter Steins zur Seite standen Aikin unter anderen Margarita Gritskova, Rainer Trost, Norbert Ernst, Heinz Zednik und Wolfgang Bankl. Am Dirigentenpult stand mit Jakub Hrůša einer der vielversprechenden jungen Maestri jener Zeit.

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