Musikalischer Seelen-Striptease
Janaceks »Katja Kabanova« in der Staatsoper neu einstudiert.
26. November 1991
Nach wie vor verstummt die Kritik an der »Premierenlosigkeit« der laufenden Staatsopernsaison nicht. Die Wiederaufnahme von Joachim Herz' eineinhalb Jahrzehnte alter Inszenierung von Leo Janaceks »Katja Kabanova« entlarvte sie wieder als ödes Gerede all derer, die immer noch nicht wahr haben wollen, daß die neue Staatsopernführung Erfolge verbuchen kann, die ihren Kurs tatsächlich als notwendigen Ausweg aus der zuletzt konstatierten Krise ausweisen.
Für meinen Geschmack hat keine noch so akribisch nach dem modischen »Theater heute«-Gusto gearbeitete Produktion der Ära Drese/Abbado eine derartige Intensität erreicht wie dieser jüngste Streich der so gern verächtlich gemachten Nachfolger. Vom umittelbar packenden szenischen Impetus, den Herz mit seiner psychologisierenden Personenführung wieder erreicht hat, bis zum suggestiven, unablässig bohrenden, insistierenden Orchesterklang stimmte da einfach alles.
Womit diese »Katja« ihrer ursprünglichen, vor allem optisch faszinierenden Form gegenüber noch enorme musikalische Dimensionen gewonnen hat. Dirigent Ulf Schirmer hat offenkundig mit dem Orchester so intensiv an der Durchdringung von Janaeks tönendem Kosmos gearbeitet hat wie mit den Sängern. Er gelangte damit mitten hinein in die Regionen jenes großen, unmittelbar wirkenden Musiktheaters, das uns in den letzten Jahren so schmerzlich abgegangen ist.
Janaek schreibt in dieser Partitur ein verwirrendes Mit-, Über-, Neben- und Gegeneinander in Klang verwandelter Seelenregungen. Oft sind sie bis zur Undurchdringlichkeit verdichtet und verknüpft, dann wieder bis auf wenige Töne ausgedörrt. All das aber fügt sich, grausam konsequent, zur in sich geschlossenen Tragödie.
Das Orchester, von Schirmer souverän geführt, macht sie hörbar, in allen Details, wie auch als überwältigendes Ganzes. Jeder einzelne Musiker scheint sich voll und ganz zu verausgaben. Allein die Wandlungsfähigkeit der Primgeigen, von der fahrigen Geste bis zur zerbrechlich wohllautend ausgespannten Kantilene, ist staunenerregend. Als wär's die natürliche Weiterentwicklung der berückend schönen Soli von Konzertmeister Rainer Küchl.
Den Sängern ist aufgetragen, in dieser aufwühlenden orchestralen Welt Charaktere zu formen, manchmal mit den Klangwellen aus dem Graben, sehr oft gegen sie ankämpfend, weil Janaek äußeren Schein einer von Bigotterie und Falschheit beherrschten Realität mit innerer Wahrhaftigkeit übersingt. Nahezu alle aufgebotenen Solisten bringen da Außerordentliches zuwege.
Nancy Gustafson, allen voran, hat mit der Katja Kabanova jetzt ihren Rang als wunderbare Singschauspielerin erwiesen: Bildschön, kindlich zart, wenn sie sich ein Herz faßt, ihre Liebe einzugestehen, groß und bei aller Verletztheit innerlich unbeugsam im Angesicht ihrer Feindin, der Kabanicha.
Allein der strahlende Glanz in ihrem Antlitz im Moment der letzten Begegnung mit ihrem Boris erzählt, in seiner Sekundenkürze, mehr als etliche beseelte Gesangsphrasen. Und auch zu denen ist diese Sängerin fähig und hat sich mit ihnen diesmal endgültig den Weg zum deklarierten Wiener Publikumsliebling ersungen.
Folgerichtig teilt sie sich den lautesten Jubel mit Leonie Rysanek, die vom ersten, herrischen Ton bis zur letzten, perfiden Geste die ideale Antipodin dieser Lichtgestalt ist: jeder Zoll aus jenem teuflischen Stoff, der zynisch diktatorische Vernichtungskriege im Seelenleben anderer führt - und gewinnt.
Neben solchen musiktheatralischen Kalibern nicht in Bedeutungslosigkeit verschwunden zu sein, sondern glänzend bestanden zu haben, darf sämtlichen Kollegen - jedem für sich - attestiert werden. Heinz Zednik gab wieder den sachlich antiromantischen Kudrjasch, der sehr wohl zum poetischen Ständchen fähig ist, freilich noch während eines romantisch zärtlichen Stelldicheins die Ruhe und Übersicht bewahrt, im rechten Moment dem Schlagen der Turmuhr zu lauschen.
Graciela Araya, seine bezaubernde Warja, betätigt sich mit der idealen Mischung aus Neugier und Anteilnahme als jugendlichungestüme Kupplerin: Sie bringt Katja mit ihrem Boris zusammen, dessen Part Debütant Stefano Algieri immerhin untadelig und gradlinig bis in die höchsten von Janacek geforderten Höhen singt.
Walter Fink, Michael Pabst, Hans Helm und Anna Gonda gestalten ihre Rollen prägnant. Nur der Chor könnte zuletzt harmonischer tönen, als er das am ersten Abend tat.
Der Triumph am Ende war allgemein. Und ein Beweis, daß es in der Staatsoper nicht teure Premieren braucht, um Oper so aufregend zu machen, wie sie kaum in einem anderen Haus zu erleben sein dürfte.