Die Ausflüge des Herrn Broucek
Leoš Janáček
Von allen ungewöhnlichen Sujets, die Leoš Janáček für seine Opern gewählt hat, ist dieses sicher das ungewöhnlichste.
Bayerische Staatsoper
Puristen mögen diese Aufnahme nicht, denn es wird auf Deutsch und nicht tschechisch gesungen - doch ist hier nicht der Ort, über die Sprachproblematik zu verhandeln: Ein deutschsprachiger Opernfrund, der Janáček sprache nicht beherrscht, kann sich glücklich schätzen, eine der köstlichsten Opern dieses Komponisten mittels dieser Aufnahme zu entdecken.Es nützt ja wenig, wenn man weiß, daß Leoš Janáček seine Motive und Melodien aus dem tschechischen Sprachfluß heraus entwickelt hat. Wenn man nichts versteht, gehen einem nicht nur die kleinen Pointen verloren, sondern das ganze Stück.
Hier erlebt man es wie ein gutes Hörspiel: Der leidenschaftliche Biertrinker Broucek wird in seiner kleinbürgerlichen Gesellschaft gezeigt - und erlebt im Rausch zwei phantastische Reisen; eine zum Mond und eine ins Prager Mittelalter.
Die Abenteuer, die er dort erlebt, sind skurril und voller zynischer Untertöne, deren Bedeutung sich jeder Hörer selbst deuten darf.
Jedenfalls hört man das Stück als eine Art böhmischer Fantasy-Komödie und erfreut sich in diesem Fall an den wunderbaren Interpreten, Lorenz Fehenberger, einem echten Komödianten in der Titelpartie; oder dem strahlenden Tenor Fritz Wunderlichs, einmal auf ganz ungewohntem Terrain.
Und weil Joseph Keilberth am Pult steht, spielt das Münchner Opernorchester mit Verve und pulsierender rhythmischer Energie und treibt die skurrile Geschichte voran.
Wenn sich nur ein Regisseur traute, die Sache so wirr auf die Bühne zu bringen, wie sie im Libretto steht - das wäre »Regietheater« genug; und eine amüsante Sache obendrein.
An der Wiener Volksoper ging ein Versuch leider wegen regielicher Schwäche schief; obwohl mit Heinz Zednik der wenigste Charakterdarsteller seiner Generation auf der Bühne stand . . .
Kritik der Volksopern-Produktion
20. Februar 2006
Ein echter Zednik geht nicht unter
Ein recht belangloser Versuch mit einem im Detail bemerkenswerten Stück.
Leoš Janáček ist deshalb einer der bedeutendsten Opernmeister des 20. Jahrhunderts, weil er es geschafft hat, das absolute, aber verdeckte Subjektivismus-Gebot seiner Zeit zu erfüllen. Mehrere Generationen fühlten sich eher von einer Modernitäts-Doktrin getrieben, schloßen sich bestimmten Schulen, Stilen, wie auch immer definierten "Ismen" an - und gingen allesamt unter, wenn sie nicht Strawinsky, Bartok, Berg hießen. Oder eben Janáček. Komponisten, deren Personalstil man am Ton, an der ersten Phrase, der ersten charakteristischen Harmonierückung erkennt.
Die Opern Janáčeks leben von jenem - aus dem tschechischen Idiom geprägten - Sprachklang, der dem Komponisten ermöglicht, Situationen, psychologische Momente wie mit der Rasierklinge scharf anzuschneiden, zum Klingen zu bringen. Ein Wort wird zur musikalischen Phrase, verwandelt sich, kann sich im Unterbewußtsein festsetzen und zum Alptraum auswachsen. Packende Musikdramatik entsteht auf diese Weise, fragmentiert, kleinteilig, umso akuter wirksam wie die beredtesten Szenen von "Jenufa", "Katja Kabanova" oder, scheinbar märchenhafter, des "schlauen Füchsleins" beweisen.
Doch just dort, wo ein Traum zum Thema des Stückes wird, in den "Ausflügen des Herrn Broucek", wirkt Janáčeks ureigenste Dramaturgie nicht mehr stimmig, zumindest außerhalb Böhmens, in der Wiener Volksoper beispielsweise, wo man seit vergangenem Samstag wieder einmal der verqueren Komödie in deutscher Übersetzung beizukommen sucht, mit der Aufführung aber große Fragezeichen in die Gesichter der Zuschauer prägt.
Was soll uns dieser "Broucek", seine nächtlichen Ausflüge auf den Mond und - schon gar - ins 15. Jahrhundert, wo er die Hussitenkriege miterlebt? Ganz ernst darf man die Sache jedenfalls nicht nehmen, denn es handelt sich hier nicht um gewöhnliche Träume, sondern um veritable Räusche, die sich ein tschechischer Kleinbürger nach sieben bis acht Krügeln Bier ausschläft. Die Frage nach dem Wozu dieses Stücks stellt sich damit für manchen Zuschauer wohl umso dringlicher.
Schweinswürstel auf dem Mond
Ein verdutzter Erdenbewohner, der sich auf dem Mond wiederfindet, der von seltsam ätherischen Wesen bevölkert wird, die von Luft und Liebe, vor allem aber von der Poesie leben - und den unverzagt seine Schweinswürstel kauenden Fremdling rasch wieder vertreiben.
Dann, gewiß existenzieller, das Versinken im fernen Jahrhundert der Hussitenkriege, die den Feigling Mathias Broucek, den bequemen Hausbesitzer von der Prager Kleinseite, auf den Scheiterhaufen bringen, als er sich prahlerisch nicht begangener Heldentaten rühmt.
Hier ballt sich Janáčeks Musik zwar zu mächtigen Klanggemälden vom Format der "Taras-Bulba"-Tondichtung und des "Sinfonietta"-Finales. Sie bringt das Drama damit aber vollends in die Bredouille: Am überzeugendsten tönt es nämlich, wenn die Streiter des Jan Zizka zum Kampf gegen die Deutschen aufrufen. Von der ironischen Distanz, die im "Broucek" herrschen sollte, bleibt nur die Theorie, wie der Komponist sie in seinen Aufzeichnungen beschreibt, schon ahnend freilich, daß das Vorhaben mißlingen muß.
Svatopluk Cechs satirische Erzählungen hatten das Vorbild zum Stück abgegeben; das sich als Anklage versteht. Eine Anklage, die keine werden konnte, denn Janáčeks Befürchtungen sind eingetreten: "Ist diese Musik rau genug, um uns die Wahrheit hart ins Antlitz zu schleudern?", fragt er. Geben wir die Antwort, muß sie abschlägig lauten. Broucek, der Kleinbürger, wird uns keinen Deut unsympathisch. Durch die Klänge nicht, nicht durch den großen Charakter-Spieler Heinz Zednik, der ihn in der neuen Volksopern-Inszenierung darstellt, und schon gar nicht durch die harmlose Regiearbeit von Anja Sündermann, die gar nichts von dem auf die Bühne bringt, was Janáčeks Anklage vermitteln würde, die sich im Originaltext des Komponisten folgendermaßen lies: "So arglistig, so leer, so niedrig, elend, widerlich darfst du nicht sein!"
Leer - im Sinne des szenischen Leerlaufs - ist zwar so manches in dieser Neuproduktion der Volksoper, doch niedrig, elend, widerlich wirkt nichts. Dazu hat die Inszenierung zu wenig Profil, Schärfe, Dramatik. Selbst musikalisch begibt man sich der Wirkungen, wenn man den (von Michael Tomaschek wohl einstudierten) Chor im entscheidenden Moment der Steigerung aus dem Off singen läßt. Da nützt es wenig, daß Julia Jones das Volksopernorchester zu bemerkenswert differenziertem, klar gezeichnetem, dann wieder zu großen lyrischen Bögen geformtem Spiel animiert. Die Klangbotschaften bleiben isoliert im Orchestergraben.
Schwärmerische Töne im Ensemble
Hie und da fügt sich eine Stimme adäquat hinzu - etwa der Tenor Sebastian Reinthallers in seinem Auftritt als schwärmerischer Poet Cech, der über den Niedergang der Kultur philosophiert (melodisch vielleicht der schönste Moment der Komposition). Auch Edith Lienbacher, die temperamentvoll zwischen realem Mauerblümchen und irrealer Traum-Gestalt vermittelt, Andrea Bönig mit ihrer köstlichen Studie eines eifernden Bollwerks gegen den Antichristen, und Ferdinand von Bothmer, der in verschiedenen Tenor-Rollen auch anstandslos das hohe C stürmt, sichern dem von Christian Sist, Mathias Hausmann und Jennifer O'Loughlin vielgestaltig aktiven Ensemble die nötigen vokalen und darstellerischen Spitzenwerte.
Doch bleiben diese allzu karg zwischen nettes Regie-Kunsthandwerk verteilt, das nicht den Funken von Brisanz aus der gedachten Satire zu schlagen weiß.
Außerhalb Böhmens - ein Problemkind
Heinz Zednik freilich ist der Broucek. Oder mehr eine wienerischer Version davon, die wie einst Mundl Sackbauer in der legendären Fernsehserie "Ein echter Wiener geht nicht unter" vor seinem Kühlschrank den finsteren Traum-Mächten trotzt; wunderbar, wie er verdutzt ist, wenn plötzlich das Bier ausgegangen ist. Gibt es einen untrüglicheren Beweis dafür, daß es da nicht mehr mit rechten Dingen zugehen kann?
Erstaunlich aber, wie wenig komödiantisches Potenzial die Regisseuse aus solch einem Darsteller zu schlagen versteht, wenn er sich mir nichts, dir nichts im falschen (in den nüchternen Dekors von Sascha Weig recht armselig angedeuteten) Ambiente wiederfindet. Selbstverständlich, möchte man als alter Zednik-Verehrer sagen, wie sich der Meisterkomödiant zwischendurch dann aber die Lacher - und zuletzt die effektvolle Schlußpointe sichert. Zednik bleibt Zednik. Und die Oper "Die Ausflüge des Herrn Broucek" (zumindest außerhalb Böhmens) ein Problemkind.