Der Prinz von Homburg
Neufassung für München
27. Juli 1992
Wolfgang Sawallisch hat für seinen Abschied von München Henzes Kleist-Oper gewählt, die er in einer Neufassung im Cuvilliès-Theater vorstellte.
Viele, für einen Opernchef ungewöhnlich viele Jahre lang hat Wolfgang Sawallisch die Geschicke des Münchner Nationaltheaters gelenkt. Jetzt verabschiedet sich der geborene Kapellmeister von seinem Haus, um mit dem Philadelphia Orchestra einen der fashionablesten amerikanischen Klangkörper zu übernehmen. Um die Seltsamkeiten abzurunden, empfiehlt sich der Künstler in München nicht mit Wagner oder Richard Strauss, ja nicht einmal mit einer Uraufführung: Im bezaubernden Cuvilliès-Teater dirigierte Sawallisch vielmehr eine Neueinstudierung von Hans Werner Henzes mehr als dreißig Jahre alter Kleist-Vertonung Der Prinz von Homburg.
Dies ist, die Wiederbegegnung bestätigte das alte Urteil, gewiß nicht das unmittelbar Zugänglichste, was der deutsche Paradekomponist für die Bühne geschaffen hat.
Im Gegenteil. Der Anspruch, das von Zeit zu Zeit als militaristische Parabel von Ehre und Soldatenpflicht mißbrauchte Stück auf eine traumverlorene Ebene im theatralischen Gefühls-, Ahnungs- und Empfindungsnirvana zu verlagern, hat den Ende der Fünfzigerjahre besonders zartbesaiteten Komponisten, scheint's, angespornt, die Fantasie an die Kandare zu nehmen.
Nichts von der unmittelbar zupackenden Theaterpranke, die seine Musik in Opern wie König Hirsch oder der Elegie für junge Liebende auszeichnet - zirkushaft übertheatralisch in dem einen, psychologisch konzentriert im anderen Fall.
Der Prinz von Homburg liegt auf halbem Wege zwischen beiden und läuft daher leicht Gefahr, bei unsachgemäßer Behandlung wie ein blutleeres Kunstprodukt zu wirken.
Dabei hat immerhin Ingeborg Bachmann Kleist für Henzes Zwecke zusammengekürzt und arrangiert. Aus der faszinierenden Abhandlung über Recht, Pflicht und Befehlsverweigerung sollte die Geschichte vom edlen Träumer werden, der mit seinen somnambulen, durch keine rationale Entscheidung begründeten Handlungen alle Gesetze außer Kraft setzt und am Ende doch Recht behalten soll.
So war's von Kleist wohl nicht ganz gedacht. Nahm man die Münchner Wiederaufführung der Oper zum maßstab, dann ist es Bachmann und Henze auch nicht gelungen.
Dazu müßte Henzes Synthese aus mediterraner Empfindsamkeit und deutscher Kontrapunktik natürlicher, unverkrampfter klingen müssen. Nach jenen zauberhaften Kleist'schen Gartenstimmungen, die dem Hörer zu suggerieren, daß, wie der Text verheißt, "Empfindung einzig retten kann."
Doch stellt die artifizielle Folie, mit der Henze das Geschehen überzieht, eine Herausforderung für den Dirigenten dar: Unter Sawallischs Händen wirkte auch das, was sich besonders zartfühlend, oder - zum Kontrast - besonders martialisch gibt, nie ganz echt, trug stets den Geschmack artifizieller Spielerei auf der Zunge.
Ein Beispiel: Der zerbrechlich ausgesponnene, nur von Flöte und Bratsche begleitete letzte Monolog des Prinzen, in dem er sich dem, wie er meint, gerechten Todesurteil unterwirft, ist, so wird betont, nicht nur als duftige Klangfarbe - zu den "Nelken und Levkojen" des Textes - erdacht, sondern auch streng konstruiert. Sobald man Letzteres hören - oder mindestens ahnen kann - hindert es die musikalische Blüte an ihrer vollen Entfaltung.
Die Münchner Inszenierung schuf dem artifiziellen musikalischen Konglomerat ein geradezu ideales optisches Pendant. Nikolaus Lehnhoff erarbeitete im kargen, nur von drei Tischen möblierten Einheitsbühnenbild von Gottfried Pilz ein bedeutungsschwanger reduziertes Steh- und Träumtheater ohne jeden dramatischen Biß. Das blasse, im Fall der visionären Szenen des Titelhelden hübsch blau ausgeleuchtete Arrangement sah so unsinnlich aus wie diesmal die Musik klang. Und wollte doch, wie diese, viel blutvoller, berührender erscheinen.
Es gelang nicht. Obwohl mit Francois Le Roux ein geradezu um Italianità bemühter Bariton-Prinz zur Verfügung stand, obwohl William Cochran in anderem Kontext gewiß ein auftrumpfender, heldischer, tatsächlich respektgebietender Friedrich Wilhelm von Brandenburg hätte sein können und Helga Dernesch als Kurfürstin einige wirklich dramatische Töne laut werden ließ.
Mari Anne Häggander, die als Prinzessin Natalie, eigentlich ganz seelenvolle Geliebte, fügte sich wunderbar in die allgemeine Anämie, trotzte der Musik nicht durch persönliche Expression höheren Gefühlsgehalt ab, als ihr ungeschminkt eigen ist.
Diese Partitur birgt Material für gute Gestalter. Es will geknetet sein.
Sawallisch am Pult, in gewohnt kraftvoller Manier, nahm jedenfalls den erwartet lautstarken Abschied. Er arrangierte selbstverständlich den orchestralen Ablauf ordnungsgemäß und fand dort, wo Henze ganz unverblümt den Widmungsträger seines Werkes, Igor Strawinsky, beschwört, sogar zu packenden Momenten istrumentaler Verdichtung. Da hat es, angestachelt von Trommel und Paukenrhythmen, für kurze, allzu kurze Zeit gezündet. Oder mindestens gezündelt.
Im übrigen lag der Prinz, so fesch und gelackt, wie er uns da vorgeführt wurde, bald wieder dort, wo er zuletzt die Feinde Brandenburgs hinwünscht: im Staub.Das von Henze und Lehnhoff geschneidertes Theaterröckchen nützte nichts. Es saß nicht gut. Es war zu eng.
Viele, für einen Opernchef ungewöhnlich viele Jahre lang hat Wolfgang Sawallisch die Geschicke des Münchner Nationaltheaters gelenkt. Jetzt verabschiedet sich der geborene Kapellmeister von seinem Haus, um mit dem Philadelphia Orchestra einen der fashionablesten amerikanischen Klangkörper zu übernehmen. Um die Seltsamkeiten abzurunden, empfiehlt sich der Künstler in München nicht mit Wagner oder Richard Strauss, ja nicht einmal mit einer Uraufführung: Im bezaubernden Cuvilliès-Teater dirigierte Sawallisch vielmehr eine Neueinstudierung von Hans Werner Henzes mehr als dreißig Jahre alter Kleist-Vertonung Der Prinz von Homburg.
Dies ist, die Wiederbegegnung bestätigte das alte Urteil, gewiß nicht das unmittelbar Zugänglichste, was der deutsche Paradekomponist für die Bühne geschaffen hat.
Im Gegenteil. Der Anspruch, das von Zeit zu Zeit als militaristische Parabel von Ehre und Soldatenpflicht mißbrauchte Stück auf eine traumverlorene Ebene im theatralischen Gefühls-, Ahnungs- und Empfindungsnirvana zu verlagern, hat den Ende der Fünfzigerjahre besonders zartbesaiteten Komponisten, scheint's, angespornt, die Fantasie an die Kandare zu nehmen.
Nichts von der unmittelbar zupackenden Theaterpranke, die seine Musik in Opern wie König Hirsch oder der Elegie für junge Liebende auszeichnet - zirkushaft übertheatralisch in dem einen, psychologisch konzentriert im anderen Fall.
Der Prinz von Homburg liegt auf halbem Wege zwischen beiden und läuft daher leicht Gefahr, bei unsachgemäßer Behandlung wie ein blutleeres Kunstprodukt zu wirken.
Dabei hat immerhin Ingeborg Bachmann Kleist für Henzes Zwecke zusammengekürzt und arrangiert. Aus der faszinierenden Abhandlung über Recht, Pflicht und Befehlsverweigerung sollte die Geschichte vom edlen Träumer werden, der mit seinen somnambulen, durch keine rationale Entscheidung begründeten Handlungen alle Gesetze außer Kraft setzt und am Ende doch Recht behalten soll.
So war's von Kleist wohl nicht ganz gedacht. Nahm man die Münchner Wiederaufführung der Oper zum maßstab, dann ist es Bachmann und Henze auch nicht gelungen.
Dazu müßte Henzes Synthese aus mediterraner Empfindsamkeit und deutscher Kontrapunktik natürlicher, unverkrampfter klingen müssen. Nach jenen zauberhaften Kleist'schen Gartenstimmungen, die dem Hörer zu suggerieren, daß, wie der Text verheißt, "Empfindung einzig retten kann."
Doch stellt die artifizielle Folie, mit der Henze das Geschehen überzieht, eine Herausforderung für den Dirigenten dar: Unter Sawallischs Händen wirkte auch das, was sich besonders zartfühlend, oder - zum Kontrast - besonders martialisch gibt, nie ganz echt, trug stets den Geschmack artifizieller Spielerei auf der Zunge.
Ein Beispiel: Der zerbrechlich ausgesponnene, nur von Flöte und Bratsche begleitete letzte Monolog des Prinzen, in dem er sich dem, wie er meint, gerechten Todesurteil unterwirft, ist, so wird betont, nicht nur als duftige Klangfarbe - zu den "Nelken und Levkojen" des Textes - erdacht, sondern auch streng konstruiert. Sobald man Letzteres hören - oder mindestens ahnen kann - hindert es die musikalische Blüte an ihrer vollen Entfaltung.
Die Münchner Inszenierung schuf dem artifiziellen musikalischen Konglomerat ein geradezu ideales optisches Pendant. Nikolaus Lehnhoff erarbeitete im kargen, nur von drei Tischen möblierten Einheitsbühnenbild von Gottfried Pilz ein bedeutungsschwanger reduziertes Steh- und Träumtheater ohne jeden dramatischen Biß. Das blasse, im Fall der visionären Szenen des Titelhelden hübsch blau ausgeleuchtete Arrangement sah so unsinnlich aus wie diesmal die Musik klang. Und wollte doch, wie diese, viel blutvoller, berührender erscheinen.
Es gelang nicht. Obwohl mit Francois Le Roux ein geradezu um Italianità bemühter Bariton-Prinz zur Verfügung stand, obwohl William Cochran in anderem Kontext gewiß ein auftrumpfender, heldischer, tatsächlich respektgebietender Friedrich Wilhelm von Brandenburg hätte sein können und Helga Dernesch als Kurfürstin einige wirklich dramatische Töne laut werden ließ.
Mari Anne Häggander, die als Prinzessin Natalie, eigentlich ganz seelenvolle Geliebte, fügte sich wunderbar in die allgemeine Anämie, trotzte der Musik nicht durch persönliche Expression höheren Gefühlsgehalt ab, als ihr ungeschminkt eigen ist.
Diese Partitur birgt Material für gute Gestalter. Es will geknetet sein.
Sawallisch am Pult, in gewohnt kraftvoller Manier, nahm jedenfalls den erwartet lautstarken Abschied. Er arrangierte selbstverständlich den orchestralen Ablauf ordnungsgemäß und fand dort, wo Henze ganz unverblümt den Widmungsträger seines Werkes, Igor Strawinsky, beschwört, sogar zu packenden Momenten istrumentaler Verdichtung. Da hat es, angestachelt von Trommel und Paukenrhythmen, für kurze, allzu kurze Zeit gezündet. Oder mindestens gezündelt.
Im übrigen lag der Prinz, so fesch und gelackt, wie er uns da vorgeführt wurde, bald wieder dort, wo er zuletzt die Feinde Brandenburgs hinwünscht: im Staub.Das von Henze und Lehnhoff geschneidertes Theaterröckchen nützte nichts. Es saß nicht gut. Es war zu eng.