Der Prinz von Homburg
Ingeborg Bachmann hat für Hans Werner Henze eine operntaugliche Version von Heinrich von Kleists Drama erstellt - die fünf Akte auf drei reduziert, etliche Personen entfernt und »ariose« Situationen geschaffen, die es Henze ermöglichten, die Akte zwar »durchzukomponieren«, aber immer wieder den Formgesetzen der Oper zu genügen: drei Monologe sind dem Titelhelden gegönnt; einer davon am offenen Grab, das für ihn geschaufelt wurde - eine dramaturgische Volte Bachmanns, die aus einer im Kleist-Drama nur erzählten Vision eine reale, wirkungsvolle Solo-Szene gemacht hat. Die Dichterin hat auch aus anderen Kleist-Dramen Verse entlehnt, um ein Duett zwischen dem Prinzen und Natalie von Oranienburg zu ermöglichen.
Die Poesie, die Bachmann in Kleists Text fand und die so seltsam querzustehen scheint zum militaristischen Ambiente, blieb auch in der Neufassung erhalten, die Henze 1991 von seiner Partitur erstellt hat - obwohl er manch lyrisch-sensitives Element zugunsten härterer Konturen entfernt hat und seine Klangästhetik eher dem Widmungsträger Strawinsky als der romantischen Oper angenähert hat.
Die Musik bedient sich über weite Strecken zwar der Zwölftontechnik. Überdies nutzt Henze klare Formschemata und bestimmte Techniken wie Kanon oder Fuge, um ganze Szenen in eine Einheit zu zwingen. Er sucht aber vor allem in Harmonik und Instrumentation nach weichen, oft ätherisch-zerbrechlichen Klangbildern und arbeitet Henze mit leitmotivischen Elementen, ordnet einzelnen Personen bestimmte Intervalle zu.
Den Vorkämpfern einer radikalen musikalischen Moderne war Der Prinz von Homburg nicht geheuer, sie witterten trotz aller kunstvollen Formenstrenge und Zwölfton-Struktur eine unwillkommene »Neoromantik«.
Rezension der Erstaufführung in Wien
14. November 2009
Die Zeitgenossen der Jahre um 1960 wollten ihm das so nicht abkaufen. Schon dass er Schönbergs Zwölftonmethode lediglich zur Charakterisierung des verhassten preußischen Militarismus verwenden wollte, galt als Verrat an allen gültigen Prinzipien. Mehr noch der Rückgriff auf Dur- und Moll-Dreiklänge, die den aus sehr fragilen Linien geknüpften Klanggemälden ein auch unvorbereiteten Hörern verständliches harmonisches Gerüst sichern.
Vier Jahrzehnte und einen postmodernen Befreiungsschlag später meint man den unverhohlenen Eklektizismus beinah schon als "typischen Henze-Klang" erkennen zu können. Jedenfalls lauscht das Publikum spürbar gespannt den musikalischen Vorgängen, die Kleists von Ingeborg Bachmann konzis zum Libretto verdichtete Szenenfolge sinnfällig werden lässt.
Da sind behutsame, oft nur von wenigen solistischen Instrumentaleinwürfen gestützte Charakterporträts der Liebenden: Prinz Friedrich und Prinzessin Natalie, zwei träumerische Lichtgestalten, die sich durch die blechgepanzerte kriegerische Welt des Kurfürsten von Brandenburg quälen.
Rundum tost das Orchester oft unbarmherzig - und ballt sich mit den zum undurchdringlichen Chor multiplizierten Solostimmen zu schmerzhaften Albtraumerfahrungen: Das ist die Realität, die sich der duftigen Zauberwelt des Prinzen entgegenstemmt, sie zu erdrücken droht wie das klug solch musikalischer Malkunst abgelauschte Bühnenbild Dirk Beckers fürs Theater an der Wien, das uns einen aus schwarzen Tafeln gezimmerten Kerker vorführt, der ganz zuletzt zum Sarg wird: Hat der Prinz nur geträumt, aus seinem Elend erlöst zu werden? Hat der Kurfürst ihn nun begnadigt, oder fällt er doch dem Spruch des Militärgerichts zum Opfer?
Nicht nur im waffenstarrenden disziplinierten Preußen wurde Insubordination unter den allerhöchsten Befehl mit dem Tod bestraft. Und hätte diese Insubordination auch das Kriegsglück herbeigeführt, wie der visionäre Marschbefehl Friedrich von Homburgs in der Schlacht von Fehrbellin.
Aus dem Blickwinkel des Prinzen zeigt Regisseur Christof Loy die Handlung, beginnend im klassischen Herrschaftshabit (Kostüme: Herbert Murauer), endend im schlampigen Allerweltssakko des angehenden 21. Jahrhunderts. Befehlsverweigerung ist überall, wie unglückliche Liebe, Flehen um Gnade, unwägbare allerhöchste Willkürakte.
Christian Gerhaher, der Poet
Dazwischen suchen Stimmen nach Ausdruck seelischer Nöte: Britta Stallmeister gibt die Natalie optisch beherzt, doch stimmlich ein wenig forciert. Christian Gerhaher aber ist der Prinz, ganz Poet, wenn er sich in Tagträumen verliert, herrlich volltönend dann im Moment der Entfaltung - und von bewegender Innigkeit im Angesicht des Todes.Ein solches Rollenporträt sichert der Aufführung, die im Übrigen von rundum überzeugenden Darstellern getragen wird, Konsistenz über pausenlos ablaufende 110 Minuten.
Wien hat ein packendes Musikdrama entdeckt - lang nach dessen Entstehung, aber, wie es scheint, gerade im rechten Moment.