Die Bassariden

→ zum Werk

Salzburger Zweitversuch mit einem Meisterwerk


Hans Werner Henzes Antiken-Tragödie, 1966 bei den Festspielen uraufgeführt, wird beim Zweitversuch 2018 von der Regie auf TV-Krimi-Niveau reduziert.

Kritik, »Die Presse«, August 2018

Die Wiederaufführung einer Oper des XX. Jahrhunderts in konzertanter Form sei in Regietheater-Zeiten wie diesen sinnvoller als der Versuch einer Neuinszenierung, so wurde an dieser Stelle vorgestern im Gefolge des Erfolgs von Gottfried von Einems „Prozess“ gemutmaßt.

In der Felsenreitschule machten die Salzburger Festspiele gleich die Probe aufs Exempel. Sie setzten mit Hans Werner Henzes 1966 uraufgeführten „Bassariden“ nach. Die Anverwandlung der „Bakchen“ des Euripides durch Wystan H. Auden hat Krzysztof Warlikowski in einem trostlosen Fünfzigerjahre-Loft (Malgorzata Szczesniak) angesiedelt, aus Dionysos einen Hochstapler gemacht und den antiken Tragödienstoff auf das Niveau amerikanischer Krimiserien geholt.

Geht es da wirklich nur um Andeutungen inzestuös-ödipaler Komplexe? Taugen Turnübungen einer Tänzerin im Glitzerbikini an Metallstangen zum Symbol für jene bacchantische Raserei, in der eine Mutter imstande ist, den eigenen Sohn in Stücke zu reißen?

Leichenteile in Plastiksäcken

Auden und Chester Kallman haben im Verein mit dem Komponisten poetische Sprach- und Klangbilder entworfen, um die Fantasie des Publikums ahnungsvoll in jene Seelenabgründe vordringen zu lassen, die das griechische Theater 400 Jahre vor Christus mit seinen Spielen beschworen und gebannt hat. Ein Regisseur wie Warlikowsky wird hingegen nur dort deutlich, wo sich die Autoren mit Andeutungen begnügen. Er lässt die Leichenteile des ermordeten Pentheus in Plastiksäcken auf die Bühne bringen: Blutige Bilder, wie man sie alltäglich im Hauptabendprogramm serviert bekommt, ersetzen die von den Autoren beabsichtigte Konfrontation mit dem „nichts ungeheurer als der Mensch“ – den Fall kann Kommissar Rex nicht lösen. Zeigt das ein Missverständnis unserer Zeit; oder nur das Dilemma der modischen Regisseurs-Kaste, der es schon am Musiktheater-Handwerk gebricht?

Einen Chor kann oder will Krzysztof Warlikowski jedenfalls nicht führen. Die Staatsopern-Konzertvereinigung umringt statt zu agieren eine Bewegungsgruppe, die beim Erscheinen des Dionysos vom Veitstanz befallen wird. Dafür hat sie Zeit und Muße, ihren Part (einstudiert und zum Teil auch als Subdirigent betreut von Huw Rhys James) mit bemerkenswerter Präzision und Durchschlagskraft zu singen.

Hüllenlosigkeit als theatralische Zahnlosigkeit

Kent Nagano sorgt dafür, dass die Wiener Philharmoniker, der Lust dieses Komponisten am Schönklang nach Herzenslust (und vielleicht mit allzu wenig Schärfen und Kanten) frönen. Selbst dissonanteste Ballungen lichtet die raffinierte Instrumentation, der die – trotz Fernabpositionierung auf der Empore der Felsenreitschule bewundernswert präzise – Schlagzeug-Truppe gehörig unterzündet. Die Mänadenjagd wird zur suggestiven akustischen Orgie. Die nunmehr splitternackte Nachtclub-Tänzerin (Rosalba Guerrero Torres) mag dazu noch so wild gestikulieren: Das Missverhältnis zu den mörderischen Vorgängen, die es zu illustrieren gälte, entlarvt die Hüllenlosigkeit als theatralische Zahnlosigkeit.

Dafür vermitteln die Sänger ihre Botschaften mit beeindruckender Direktheit. Voran der Dionysos von Sean Panikkar, dessen bis in höchste Höhen schlank, aber kraftvoll klingendem Tenor man durchaus abnimmt, dass seine Macht ausreicht, wie im Text beschrieben den Königspalast und die prächtige Stadt Theben dem Erdboden gleichzumachen und die Flammen im Tempel für seine Mutter Semele kultstiftend für eine kleine Ewigkeit zu entzünden.

Um die Macht der Religion im Kampf mit weltlichen Gewalten sollte es hier gehen. Auch der zunächst imposante, dann im beeindruckenden Gleichklang mit dem göttlichen Cousin singende und zuletzt der Lächerlichkeit preisgegebene Pentheus von Russell Braun lässt das hören. Doch die Regie verdammt diesen König dazu, sich schon am Beginn seiner Herrschaft angstvoll im Kasten zu verkriechen – und stattet Dionysos mit Benzinkanister und Feuerzeug aus: Das kleine Flämmchen zündet nicht. Alles nur Bluff? Zumindest die Regie . . .

Lamenti von hoher Intensität

Man hat für die Wiederaufführung das später gestrichene Satyrspiel mit seinem (von Nagano kaum differenzierten) barocken Zierrat restituiert, dafür aber leider den großen Bogen dieser „Symphonie in vier Sätzen“ durch eine Pause – noch dazu in einem dramaturgisch ungünstigen Moment – unterbrochen. Dennoch finden Tanja Ariane Baumgartner als mörderische Königsmutter Agaue und Anna Maria Dur als Amme rasch zum erhabenen Tragödien-Ton zurück: ihre Lamenti sind von höchster Intensität, werden in den Ensemblesätzen noch von den hellen Soprantönen der Autonoe von Vera-Lotte Böcker überwölbt.

Exzellent der Hauptmann von Károly Szemerédy, der in sonorer Dienstfertigkeit den Befehlen jeglicher Staatsgewalt gehorcht. Bis an die Grenzen ihrer stimmlichen Entfaltungsmöglichkeit gefordert hingegen der Teiresias Nikolai Schukoffs und der machtlos gewordene Kadmos von Willard White. Freundlicher Applaus.

↑DA CAPO

→ SINKOTHEK