Elegie für junge Liebende

Premiere an der Lindenoper, Berlin

26. Mai 2004
Wenn der Berg zweimal ruft
Während der Deutschen Oper Christian Thielemann abhanden kommt, demonstrieren Berlins Opernhäuser im Osten mit Werken des 20. Jahrhunderts, was sie können.

Vierzig Jahre ist das Stück schon alt - Hans Werner Henzes Elegie für junge Liebende darf nach dem Remake an der Berliner Lindenoper gewiss endgültig zu den Klassikern der Moderne gezählt werden. Das liegt - was man in Wahrheit von jeder erfolgreichen Oper seit Monteverdi behaupten darf - zunächst an der perfekten Dramaturgie. W. H. Auden hat ein Künstlerdrama Schnitzlerschen Zuschnitts gedichtet. Ein größenwahnsinniger Dichter, der sich vom Gebrabbel einer übergeschnappten Bewohnerin eines Alpenhotels pseudo-metaphysische Inspirationen holt und mit seiner Egomanie sowohl die hörige Sekretärin, eine alternde Gräfin als auch seine junge Mätresse zugrunde richtet. Das Mädchen schickt er mit dem Geliebten aus, Edelweiß zu holen. Die beiden kommen im Schneesturm ums Leben.

Wenn Regie das Stück erzählt

Das ist als Theaterstück bereits fesselnd, voller Anspielungen auf die literarische Geschichte des Fin de siecle. Gewiss ist nach Hofmannsthal wenig Hintergründigeres fürs Musiktheater gedichtet worden. Henze hat 1961 dazu eine Schauspielmusik geschrieben, die sich dezent im Hintergrund hält und lediglich für einige, aber heftige Ausbrüche ins tatsächlich Opernhafte überschwappt. Dort erweist sich die handwerkliche Meisterschaft dieses raffinierten Komponisten, dem es gegeben ist, auch im freitonalen Bereich Ensemble-Sätze zu harmonisieren, die fernab der üblichen, undurchhörbaren avantgardistisch-gordischen Klangverknotungen angesiedelt sind.

Philippe Jordans große Stunde

Hier schlägt die große Stunde des Dirigenten Philippe Jordan, der die Staatskapelle zu fein schattiertem, blinkendem, schillerndem Spiel animiert, die rhythmische Verve der Musik ebenso auskostet wie die lyrischen Haltepunkte, in denen sich Henze mehr als einmal beinahe zu verlieren droht. Aber nur beinahe. Stets fängt der Handlungsfaden den Zuschauer wieder ein. Auch, weil Regisseur Christian Pade Audens Stück unverkrampft nacherzählt, wie es ist. Selten hat man zuletzt eine so unaufdringliche Inszenierung gesehen, in der sich das Produktionsteam (das karg-abstrahierende Bühnenbild stammt von Andreas Lintl) so uneitel in den Dienst des Werks stellt.

Die Sänger können sich, jeder nach seiner Fasson, entfalten. Andreas Schmidt tut es als Dichter Mittenhofer zu wenig, bleibt ein bisschen zu blass, um glauben zu machen, dass ihm alle ringsum verfallen müssen. Brillant hingegen Caroline Stein als wahnsinnige Hilda Mack, die Henzes Koloraturwirrsale exzellent löst.
Mit dem nötigen Wissen um die Abgründigkeit des Menschen gestaltet Rosemarie Lang die dem Dichter ergebene Gräfin. Ihr Monolog gegen Schluss erweist auch, dass Henzes Komposition sich im dritten Akt zu besonderer Intensität verdichtet. Ein hübsches, stimmlich angenehm timbriertes Liebespaar geben Katherina Müller und Stephan Rügamer. Günter Missenhardt verleiht dem Leibarzt des Dichters gemütlich-besorgtes Profil. Und das Publikum der Lindenoper bejubelt Hans Werner Henze begeistert.

↑DA CAPO