Symphonische Dichtungen
Franz Liszts große Orchesterwerke
Zu den Werken, mit denen Liszt Musikgeschichte geschrieben hat, zählen jedenfalls seine »symphonischen Dichtungen«, die stilbildend waren und einen neuen Zweig der symphonischen Literatur begründet haben: Neben die numerierte »Symphonie« in der mehrsätzigen Form trat die in der Regel einsätzige, an außermusikalischen Programmen orientierte Tondichtung.
Den Druckausgaben von Breitkopf und Härtel waren Nummern hinzugefügt. Demnach sind Liszts symphonische Dichtungen folgendermaßen geordnet:
- 1. Ce qu'on entend sur la montagne (nach Victor Hugo)
- 2. Tasso. Lamento e trionfo
- 3. Les préludes«
- 4. Orpheus
- 5. Prometheus
- 6. Mazeppa«
- 7. Festklänge
- 8. Heroïde funèbre
- 9. Hungaria
- 10. Hamlet
- 11. Die Hunnenschlacht (nach Kaulbach)
- 12. Die Ideale (nach Schiller)
Dem Spätwerk zuzuordnen ist die 13. Tondichtung,
Von der Wiege bis zum Grabe.
Doch gehören auch Liszts als »Symphonien« ausgeschilderte, mehrsätzige Werke
- Eine symphonie nach Dantes »Divina commedia«
und- »Eine Faust-Symphonie«
zu den programmgebundenen Tondichtungen, ebenso die beiden
Episoden aus Lenaus »Faust«
- Nächtlicher Zug
- Tanz in der Dorfschenke (Mephisto-Walzer)
Dem »ersten« Mephisto-Walzer aus den Lenau-Bildern folgten für Klavier noch drei weitere, von denen Liszt zwei, die Nr. 2 und Nr. 3 auch in Orchesterfassungen vorlegte.
Liszts Vorbildwirkung
Vor allem die illustrativen Klangbilder, die Liszt zur musikalischen Versinnbildlichung seiner poetischen Vorlagen erfindet, wirkten in der Musikgeschichte kräftig nach. Schon die raunenden Eingangstakte der Tondichtung Nr. 1, der sogenannten Berg-Symphonie finden so unterschiedliche Nachahmer wie Antonín Dvořák (Beginn der Symphonie Nr. 4, Einleitung zum dritten Akt der Oper Rusalka) oder Hans Pfitzner (Vorspiel zum ersten Akt der Oper Die Rose vom Liebesgarten.).
Die extreme Bildhaftigkeit der Klangsprache erweist Liszt als einen der fortschrittlichsten Komponisten seiner Epoche.
Wobei im Falle der Berg-Symphonie angemerkt werden muß, daß das Gedicht Victor Hugos zwei Jahre vor Liszt schon vom jungen Cesar Franck als Vorlage für eine Tondichtung genommen wurde. Franck kommt damit eine Vorreiterstellung zu, die von der Literatur bis dato kaum zur Kenntnis genommen wurde - zumal just dieses Werk mit erstaunlich kühnen Klang-Visionen aufwarten kann, die Franck als einen der Pioniere der illiustrativen Orchestrierungskunst ausweisen.
Liszt hat man diese Pionierstellung durchwegs zugestanden, während die formalen Aspekte seiner Tondichtungen weniger maßstäblich gelten; doch nimmt die durch die jeweiligen Programme bestimmte Neudefinition des Durchführungsprinzips hie und da kühne Gestalt an - sie gipfelt freilich nicht unbedingt in Liszts Orchesterwerken, sondern in der → Klaviersonate in h-Moll, die ihre Letztgestalt 1857 etwa gleichzeitig mit der Vollendung der Partitur der Berg-Symphonie erhielt, und deren Verschmelzung von vier Sätzen in einen groß angelegten Sonatensatz bis hin zu Arnold Schönbergs Kammersymphonie schöpferisch nachwirkt.