FRANZ LISZT

Kunst-Visionär und strenger Katholik

Franz Liszt war bedeutend, nicht nur als Ideenbringer für Richard Wagner, sondern auch für folgende Komponisten-Generationen bis Béla Bartók.
Seine Musik umfaßt die gesamte Gefühls- und Geschmackspalette, von der umstürzlerischen harmonischen Abenteuerlust bis zu jenem Zug zum Pathos und ungeschminktem Gefühlsüberschwang, den man dem Meister noch posthum gern vorwirft.

Ein weiterer Vorwurf, den die Nachgeborenen diesem Komponisten gern machen, hat mit diesem Gefühlsüberschwang indirekt zu tun, ist aber von zeitgeschichtlicher Dimension.

Mißbrauchte Musik
Mit ein Grund dafür, daß Liszts Musik kaum gespielt wird: Die Nationalsozialisten benutzten eines der formal besten, musikalisch inspiriertesten Werke, die Tondichtung Les Préludes, Anfang der Vierzigerjahre für Propagada-Zwecke: Man spielte den strahlenden C-Dur-Hymnus als »Siegesfanfare« in den Anfängen des Ost-Feldzugs.
Liszt aus diesem schamlosen Mißbrauch einen Strick zu drehen, ist freilich grotesk. Es gibt wenige Komponisten, deren Vita so integer genannt werden darf wie die seine - und fast keinen zweiten seiner Generation, von dem keine einzige antisemitische Bemerkung überliefert ist . . .

Es wäre längst an der Zeit, sich mit Franz Liszts Schaffen auf breiter Basis wieder ernsthaft auseinanderzusetzen. Von der hoch bedeutenden Faust-Symphonie bis zu den Transzendenten Etüden, von kühnen späten Klavierwerken bis zur hingebungsvollen Romantik der Années de pèlerinage warten Schätze darauf, wieder gehoben und ins Bewußtsein der Musikwelt zurückgeführt zu werden.

Stilbildender Symphoniker

Liszts Symphonische Dichtungen sind die Prototypen einer Gattung, die für die Symphonik der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts prägend werden sollte.

* Richard Strauss,
* Antonin Dvořák,
* Friedrich Smetana
und viele andere dürfen als Komponisten genannt werden, die Liszts beispielgebende Technik übernommen haben, aus kleinen, unscheinbaren Motiven große Formen zu entwickeln und in fantasievoller Verwandlungstechnik auch diametral voneinander scheinende Emotionen demselben Material abzugewinnen.



Am Beispiel von Les Préludes läßt sich Liszts innovative Verarbeitungstechnik studieren:
So entstehen aus dem von den Streichern in den ersten Takten von Les Préludes exponierten Motiv

sowohl der folgende triumphale C-Dur-Hynus, mit dem das Werk auch schließt, sondern  im weiteren Verlauf auch völlig unterschiedliche Stimmungsbilder:
in poetischem E-Dur

und stürmischem f-Moll
  

Bei allem koloristischen Reichtum stellt sich die kompositorische Arbeit als ein virtuoser Akt handwerklicher Ökonomie dar.

Vorbildhaft für die Moderne

Formale Experimente leistet sich Liszt mehr noch als in seiner stets von programmatischen Vorgaben inspirierten Symphonik in der Sololiteratur für sein Instrument, das Klavier.
Die große → Sonate in h-Moll, die den klassischen Verlauf einer mehrsätzigen Komposition in einen großen formalen Bogen bindet, der pausenlos abläuft, steht vorbildhaft für ähnliche Strukturen bei Komponisten wie Arnold Schönberg (Kammersymphonie) oder Franz Schmidt (Vierte Symphonie).
Technisch greift Liszt auch in der Sonate die mannigfaltigen Variations- und Verwandlungsmöglichkeiten eines Grundmotivs auf.


Einen kühnen Steigerungsbogen wölbt Liszt auch über die elfte seiner »transzendenten Etüden«, Harmonies du soir, die sich in immer höheren Kaskaden zu einem überwältigenden emotionalen Crescendo bündeln. 
→ Swjatoslaw Richter in Sofia, 1958

Das Innovationspotential Liszts läßt sich auch an einer nur in Teilen populären Werkserie wie den Ungarischen Rhapsodien ablesen, deren früheste, allen voran die »Rhapsodie Nr. 2« zu Wunschkonzertnummern wurden, deren letzte aber in harmonisches und formales Neuland vordringen. Nominell steht »Nr. 16« zwar in a-Moll, doch schwebt die Musik scheinbar ungeleitet in einem quasi tonartfreien Raum.




↑DA CAPO