Klaviersonate h-Moll

Franz Liszt (1853-1857)

Die Klaviersonate ist Liszts formal ehrgeizigstes pianistisches Werk. Es ist - als Dank für die Widmung der C-Dur-Fantasie Robert Schumann zugeeignet. Clara Schumann hat sich Brahms gegenüber abshätzig über Liszts Werk geäußert. Tatsächlich erweist es sich als stilbildend für die Prinzipien der sogenannten »Neudeutschen Schule« gegen die klassizistischen Tendenzen der deutschen Romantik und führt die Berlioz' und Liszts Errungenschaften, die sich zunächst in symphonischen Werken manifestierten in die Klaviermusik ein.

Formal gesehen, war die Klaviersonate Franz Liszts zukunftsweisendstes Werk. Die kühne Verquickung des viersätzigen Sonatenprinzips mit dem Formschema eines pausenlos abgewickelten »Sonatenhauptsatzes« (mit Exposition, Durchführung und Reprise) zeitigte ungeahnte Folgen bis hin zu Arnold Schönbergs Kammersymphonie oder Franz Schmidts Vierter Symphonie. Immer wieder haben Kommentatoren auch ein geheimes »Programm« nach dem Vorbilder symphonischen Dichtungen Liszts für diese Sonate ausfindig zu machen versucht - und beriefen sich auf mögliche Assoziationen zum »Faust-«Stoff, den Liszt wiederholt behandelt hat, nicht zuletzt in seiner »Faust-«Symphonie oder den diversen Mephisto-Walzern.

Legt man das viersätzige Prinzip dem in einem großen Satz gearbeiteten Werk zugrunde, dann würden die Formteile des »Sonatenhauptsatzes» wie folgt den Abschnitten des Gesamtwerks entsprechen:

  • EXPOSITION
    • »Introduktion und Allegro« (Takt 1 - 330).
  • DURCHFÜHRUNG
  • REPRISE - CODA

  • Wie in seinen symphonischen Dichtungen hebt Liszt auch in diesem Werk das Durchführungsprinzip auf eine neue, ungemein fantasievolle Ebene, indem er aus ein und denselben motivischen Elementen in ungeahntem variativem Reichtum oft völlig gegenästzliche Chraraktere entwickelt. In der Sonate ist dieses für die folgenden Komponistengenerationen stilbildende Verfahren, das in seinen Tondichtungen etwa auch Richard Strauss kultivieren wird, für den Hörer besonders leicht anhand der Metamorphose des wiederholten Einzeltones H zu verfolgen, mit dem die Sonate beginnt: Diese Wiederholungen einzelner Töne kehren in unterschiedlichsten Tempi ununterbrochen wieder, als Kopf der lyrisch strömenden Seiten-Melodie ebenso wie in der hymnischen Steigerung des abschließenden Choralthemas, aber auch in oft hysterisch gesteigerten Tonrepetitionen, die auf dem Höhepunkt des Werks sogar in Fugenform verarbeitet werden.

    Diese Kunst der programmatisch-fantastischen Varition pflegt Liszt auch in seinen Tondichtungen. → Am Beispiel von Les Préludes läßt sie sich eindrucksvoll nachvollziehen.



    ↑DA CAPO