Eine Faustsymphonie

Franz Liszt (1853-1857)


Aus dem Titelblatt der Erstauflage

Die dreisätziges Symphonie nach Goethes Faust ist Franz Liszts bedeutendsten großes Orchesterwerk. Es überträgt die erzählerischen Qualitäten der von Liszt perfektionierten Symphonischen Dichtung auf einen Versuch mit der mehrsätzigen symphonischen (Sonaten-)Form. Wobei die inhaltlichen Verknüpfungen zukunftsweisend über die Sätze hin durch eine dramaturgische Linie und motivische Analogien das Werk übergreifend zu einer Einheit verschmelzen. Das knappe »Finale« mit einer Vertonung des Schlußchors aus Faust II für Tenorsolo und Männerchor hat Liszt später hinzugefügt. Er wird bei manchen Aufführungen auch weggelassen.

Die Symphonie besteht aus »drei Charakterbildern«:

Wie in seiner Klaviersonate paraphrasiert Liszt auch dieser dreisätzigen symphonischen Struktur das klassische Sonatenschema und paßt es den modernen Ansprüchen der Symphonischen Dichtung an: Der dritte Satz hat etwas von einem bizarren Scherzo, stellt aber inhaltlich eine verzerrte, grotest variierten Reprise des Faust-Satzes dar - musikhistorisch betrachtet, nimmt der Komponist damit Prinzipien der musikalischen Moderne um Arnold Schönberg vorweg, für die ein rigoroses Wiederholungsverbot galt: Die Wiederkehr eines musikalischen Gedankens darf nicht unverändert geschehen. Die Motive und Themen, wie Alban Berg das später formuliert hat, »erleiden Schicksale«. Insofern ist es interessant, daß die Tatsache viel Beachtung fand, daß das Eingangsthema der Symphonie, das erste dem Titelhelden zugedachte Motiv, alle zwölf Töne der chromatischen Skala enthält. Vielfach wurde es das »erste Zwölftonthema der Geschichte« genannt, allerdings ist das dank einer Tonwiederholung nur oberflächlich betrachtet zutreffend. Viel interessanter ist die Tatsache, daß Liszt hier den ewig unzufriedenen, grübelnden, daher auch in keinem Tonarten-System faßbaren Charakter des Faust unmittelbar verständlich in Tönen portraitiert hat.

Mit dem Faust-Stoff hat sich Liszt zeitlebens immer wieder auseinandergesetzt, auch die Klaviersonate ist in diesen Kontext gesetzt worden. Die verschiedenen Mephisto-Walzer beziehen sich allerdings nicht auf Goethe, sondern auf die Faust-Dichtung Nikolaus Lenaus. Der Mephisto-Walzer Nr. 1 ist eine der beiden Szenen aus Lenaus »Faust«.

Aufnahmen

Die erste Einspielung, die 1935 unter der Leitung von → Selmar Meyrowitz in Paris entstand (und am Ende französisch gesungen wird!), ist dank der nervösen Brillanz und der Fähigkeit zur »sanften Ekstase« eine der besten geblieben - sie wurde bei Pristine in exzellenter Qualität wieder aufgelegt.

In ihrer aufnahmetechnischen und musikalischen Perfektion ist Ernest Ansermets Aufnahme für Decca die überzeugendste Wiedergabe im Stereo-Zeitalter geblieben. Die LP-Edition ist mit einer der raren Aufnahmen beider Faust-Szenen gekoppelt und bietet überdies den selten gespielten ersten, pianissimo verklingenden Schluß des Mephistowalzers Nr. 1.

Immer wieder aufgelegt wurde auch die Aufnahme der Faust-Symphonie unter der Leitung von Sir Thomas Beecham, eine höchst leidenschaftliche, dramatische Wiedergabe in einer historischen Linie, die von Meyrowitz bis Jascha Horenstein führt, der die Symphonie mit dem Orchester des Südwestdeutschen Rundfunks in einer experimentellen Aufnahmesitzung 1957 als erster in der Zeit der Stereophonie eingespielt hat.

↑DA CAPO