Streichquartett Nr. 4 op. 83
D-Dur 1944
Das Vierte Quartett ist ein Werk des Rückzugs. Das stalinistische Regime hatte nach dem Sieg über Hitler-Deutschland die Zügel im eigenen Land, die während des Kriegs ein wenig lockerer gehalten worden waren, wieder kräftig angezogen. Schostakowitsch hatte sich mit seiner → Neunten Symphonie sehr weit aus der Deckung gewagt und dem allgemeinen pathetischen Siegestaumel ein bizarr-kritisches Stück entgegengehalten. Er entging dennoch dem Zugriff der Kultur-Funktionäre. Doch bis zu Stalins Tod wagte er keine Symphonie mehr zu schreiben.
Seine Gefühle legte er in kleiner dimensionierten Kompositionen nieder, in den Präludien und Fugen für Klavier, in den Jüdischen Liedern, vor allem aber in diesem Streichquartett, das zu seinen Gipfelwerken zählt, aber lange auf seine Uraufführung warten mußte. Es entstand 1949 während der Sommermonate, der vierte Satz wurde im Dezember nachgereicht. Eine Aufführung durch das Beethoven-Quartett fand im privaten Kreis statt, doch dann lag das Werk bis zum Jahr 1953 in der Schublade. In der Zwischenzeit war bereits das → Quartett Nr. 5 entstanden, dessen quasi symphonische Dimensionen einen Gegensatz zum intimen Charakter des Vierten Streichquartetts bilden. Die Quartette kamen in umgekehrter Reihenfolge innerhalb kürzester Zeit zur Uraufführung: Am 13. November spielte das Beethoven-Quartett Nr. 5, am 3. Dezember die Nr. 4. Wenig später erklang die Zehnte Symphonie zum ersten Mal, Schostakowitschs tönende Abrechnung mit Stalin.
Die untröstliche Trauer, die im langsamen Satz des Vierten Streichquartetts zu hören ist, wird in der Symphonie durch grimassierenden Spott und zuletzt gelöste Heiterkeit überwunden.
Im Quartett scheint dieser emotionale, aber real empfundene symphonische Sieg über jahrzezhntelange Angst und Schrecken als intime, verschwiegene Vision erahnbar: Es beginnt still und verhalten, läßt auch im Lamento des Andantino überschriebenen langsamen Satzes keine theatralische Geste zu, erwacht erst im heftig gestikulierenden Scherzo zu extrovertierter Lebendigkeit, die sich im Finale geradezu klassizistisch und mit deutlichem Bezug zu den großen, patriotischen Tönen der russischen Romantiker aufzulösen scheint - doch ist die Musik weit entfernt von jeglicher Triumphgeste. Sie statuiert ein gedankliches, visionäres Exempel - noch war Stalin am Leben und die Gefahr nicht gebannt.
Schostakowitschs Streichquartette