Symphonie Nr. 9
Der Triumph der Roten Armee im Jahr 1945 sollte von den sowjetischen Künstlern durch entsprechende künstlerische Apotheosen gewürdigt werden. Von Dmitri Schostakowitsch, der mit seiner Siebenten den Menschen im belagerten Leningrad so viel Hoffnung gegeben hatte und dessen Achte die Tragödie von Stalingrad reflektierte - wenn auch ohne »siegreiches« Finale, von ihm wurde nun eine symphonische »Abrechnng« erwartet, die einer »Neunten« würdig sein sollte.
Tatsächlich hat der Komponist Skizzen zu einer triumphalen Siegessymphonie gemacht, deren erster Satz weit genug gediehen war, daß man in posthum rekonstruieren konnte.
Doch in den Tagen des Kriegsendes überlegte es sich Schostakowitsch anders. Er wollte keine Musik schreiben, die im Ausland dann - wie es bei der Siebenten der Fall gewesen war, als Propaganda für den Sowjet-Staat genjutzt werden konnte und lieferte Stalin - recht eigentlich unter Einsatz seines Lebens - eine mutig-distanzierte, im wesentlichen klassizistisch gebaute, durchaus ironisch-distanziert klingende, nur halbsstündige Symphonie, in die lediglich ein rätselhafter langsamer Satz eingeschoben scheint, der durchaus als Klagegesang um die Opfer des Krieges gehört werden kann. Doch Triumph-Gesten sind in dieser völlig unpathetischen Syphonie ganz und gar nicht zu hören, eher verängstigte, stürmisch-dramatische Passagen wie die Episode im Mitteltel des Finalsatzes: Nach der kann nichts mehr sein, wie es war. Der Satz hatte verschmitzt, geradezu kindisch-fröhlich begonnen; nun verwandelt sich sein Hauptthema in einen wilden, grotesk verzerrten Marsch - vielleicht eine Anspielung auf den erwarteten »Triumphmarsch«, der zuletzt ein rasender Galopp als Abschluß folgt.
Interessante Pointe: Sergej Prokofieff, dessen ebenfalls 1945 entstandene Fünfte Symphonie, wie wohl von den Machthabern erwartet, über weite Strecken weitaus pathetischer klingt, mündet unerwartet ebenfalls in eine grotesk-zynisches Schlußpointe...
Es ist bezeichnend, daß der Uraufführungs-Dirigent Jewgeni Mrawinsky Schostakowitschs Neunte, die von den Machthabern zwar scheel angeschaut, aber immerhin nicht verboten wurde, nie wieder ins Programm genommen hat.
Mit seiner → Zehnten Symphonie, rechnete Schostakowitsch dann musikalisch mit dem Diktator Stalin ab - sie entstand allerdings erst nach dessen Tod. Die Jahre davor mied Schostakowitsch die symphonische Form.