Phaedra

Wenn Mama den Stiefsohn liebt

Uraufführung, Berlin Unter den Linden

8. September 2007
Berlins Lindenoper hat Hans Werner Henzes jüngstes Musiktheaterwerk musikalisch glänzend uraufgeführt. Szenisch ist "Phaedra" inexistent.

Niveau hat das ja nicht sehr viel. Aber: So ein Reißer", so soll sich einst Franz Molnár über Hugo von Hofmannsthals schwer verständliches Drama Der Turm geäußert haben. In Berlin sah man nun Hans Werner Henzes jüngste Oper, Phaedra - was Molnár zum Drama der Königin gesagt hätte, die sich in den Stiefsohn verliebt? Von brennender Aktualität scheint die antike Parabel nicht. Das meint offenbar Peter Mussbach, Intendant der Berliner Staatsoper, und verzichtet darauf, in seiner Uraufführungsinszenierung so etwas wie eine Handlung zu erzählen.

Vielmehr vertraut er auf die Stimmungen von Olafur Eliassons Theaterraum, ganz in Schwarz, dann wieder von vielfach prismatisch gebrochenem Scheinwerferlicht erhellt. Das Orchester musiziert unter der Ehrenloge, in der der Komponist schon bei seinem Eintritt mit Standing Ovations empfangen wird.

Henze und seine deutsche Heimat, das ist ein Kapitel für sich. Es muss den 81-Jährigen mit Genugtuung erfüllt haben, zur eigenen Legende geworden zu sein, wo man ihn vor Jahren noch kräftig gescholten hat: Den Hörern war seine Musik "zu modern", den Kritikern und Kulturphilosophen zu retrospektiv, weil keinem "Ismus" zuzurechnen.

Erinnerungen an Dur und Moll

Schon in den Fünfzigerjahren ist Henze nach Italien entflohen, wo er in der Nähe von Rom seine wahre Heimat gefunden hat. Von dort schickte er Musiktheaterwerke in die Welt, große Opern, Kammerspiele, politische Tendenzstücke. Von Mal zu Mal wechselte er Formen und Ausdrucksmittel.

Seine Musiksprache aber hat sich stetig entwickelt. Klangsinnlich und farbenfroh war sie stets. In den vergangenen Jahren fand Henze zu einer üppig wuchernden, gleichwohl feinsinnig differenzierten Vielstimmigkeit, deren Gespinste immer wieder von altvertrauten Dur-und Mollakkorden durchzogen werden, die das Klanggebäude wie Traversen zu tragen scheinen. Das erleichtert das Verständnis. Jedenfalls ist von mangelndem Zuspruch nichts mehr zu bemerken. Die Premiere der "Phaedra" war restlos ausverkauft. Der Erfolg glänzend.

Das Ensemble Modern, das unter Michael Boder den instrumentalen Part übernahm, hat immensen Anteil daran. Denn die Musiker loten Henzes Partitur nach Herzenslust aus, zaubern von dunklen, aus Fagott- und Klarinettenklängen aufsteigenden Bildern bis zu duftigen Harfen- und Klavierarpeggien immer neue, abwechslungsreiche Tableaus, in denen die Sänger als Zentralfiguren herrlich aufgehen können.

Die Besetzung für das kammermusikalisch instrumentierte Drama ist exquisit: Marlis Petersen jubiliert koloraturgewandt als Aphrodite, weiß aber auch die karikativen Momente mit Biss und Schärfe zu zeichnen.
John Mark Ainsley schenkt dem Hippolyt, um den sich die Damen reißen, die verzehrend schönen, virtuos modellierten Tenor-Melismen, die den immer diffuser werdenden Gang der Handlung als Protokoll wachsender Verzweiflung begreiflich werden lassen. Henzes Werk spiegelt die Handlung des ersten Abschnitts, die mit dem Tod des Hippolyt endet, nach der Pause ins Metaphysische und strebt einem Ende von abgehobener Heiterkeit zu.

Abschied in transzendenter Leichtigkeit

Der abschließende, schwebende Rundtanz klingt wie eine visionäre Parodie von Mozarts Entführungs-Finale; nur dass diesmal keine bösen Mächte hereinbrechen wie Osmin. "Wir sind nackt geboren. Wir dringen zur Sterblichkeit vor und tanzen", lässt der Komponist zuletzt singen. Ein Abschiedsrondeau von transzendenter Leichtigkeit, die dank des Dirigenten Sinn für rhythmische Finesse den rechten Charakter erhält.
Lauri Vasar steuert dem zuvor des Öfteren mit den gefährlicheren Tönen des Minotauros entgegen. Und Maria Riccarda Wesseling nützt ihre Chance, als Einspringerin für Magdalena Kozena ihren schön entwickelten Mezzo nach allen Regeln der musikdramatischen Kunst hören zu lassen, lustvoll oder zornig, begehrlich oder beschwörend, im Duett mit Aphrodite auch keck, ja kabarettistisch.

Dem kann die Jagdgöttin Artemis, die bemerkenswerterweise mit einem Countertenor besetzt ist, kaum Gleichwertiges entgegensetzen: Axel Köhler punktet lediglich mit seiner aparten Stimmfarbe, nicht mit expressivem Variantenreichtum derselben.

Blieb am Premierenabend lediglich die Frage, warum nicht auch ein wenig von den Handlungssträngen, die sich da musikalisch verknoten, zumindest andeutungsweise auch in szenische Aktion umgewandelt werden konnte. Vielleicht klappt das bis zur Wiener-Festwochen-Präsentation im kommenden Frühjahr?

↑DA CAPO

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