Debussys Klaviermusik


»Brouillards« in Debussys Handschrift


»Estampes«

Die Estampes markieren einen Wendepunkt in Debussys Schaffen: Seinen unverwechselbaren, eigenen Stil hatte er zwar bereits Anfang der Neunzigerjahre mit seinem Prélude à l'après-midi d'un Faune gefunden, doch für sein Instrument, das Klavier, schuf er erst mit diesem Zyklus ein vollgültiges Meisterwerk. Die drei Estampes (zu Deutsch »Kupferstiche«) entstanden in der Endphase der Arbeit an der Oper Pelléas et Mélisande und wurden im Jahr der Vollendung, 1903, auch uraufgeführt.

»Images«

Préludes

Die Folge von 24 Préludes teilte Debussy in zwei Hefte zu je 12 Stücken, deren programmatische Titel nicht am Anfang, sondern jeweils erst nach dem letzten Takt »verraten« werden. Für den Komponisten stellen die Werke Versuche dar, orchestrale Farbtechniken auf das Klavier zu übertragen. Beim Spiel solle man darauf vergessen, meinte Debussy selbst, »daß das Klavier Hämmer hat«.

In diesem Sinne stellen die einzelnen Nummern auch technische Versuche dar, dem Instrument neue, zuvor ungehörte Klangnuancen zu entlocken und diese auch kompositorisch-strukturell zu nutzen: Farbe, Anschlag-Nuancen werden quasi zu musikalischen »Motiven«. Daß sie auch außermusikalische Assoziationen wecken können - und sollen - beweisen die abschließenden Titel.

Historisch gesehen, knüpfen Debussys Préludes weniger an Bachs Wohltemperiertes Klavier an als an die Serie von Préludes, die Frédéric Chopins Opus 28 bilden - und in gewisser Hinsicht auch an die improvisatorischen Präludien der barocken französischen Clavecinisten.



Die Etüden

  • I Pour les cinq doigts
  • II Pour les tierces
  • III Pour les quartes
  • IV Pour les sixtes
  • V Pour les octaves
  • VI Pour les huit doigts
  • VII Pour les degres chromatiques
  • VIII Pour les agrements
  • IX Pour les notes repetees
  • X Pour les sonorites opposees
  • XI Pour les arpeges composes
  • XII Pour les accords

  • Wenn es darum ginge, die ästhetische Position der Klavier-Etüde zwischen maliziöser technischer Übung und poetischer künstlerischer Idee zu positionieren, findet der Musikfreund nach einschlägigen Sammlungen aus der Feder von Chopin und Liszt mit den Douze Etudes von Claude Debussy ein perfektes Vorzeige-Objekt. Diese zwölf Werke sind gewiß der subtilste Beweis dafür, daß sich effektive Übungs-Strukturen für den Pianisten mit großer Kunst vereinen lassen. Lange Zeit galten diese Stücke als vergleichsweise spröd gegenüber dem duftigen Impressionismus von Debussys bekanntesten Werken zwischen dem Nachmittag eines Fauns und den Bilderwelten der Images und Estampes.

    Die vertracktesten Kombinationen von Terzen, Quarten, Sexten, Oktaven oder Akkord-Ketten bindet der Komponist hier in fein gedrechselte Miniaturen von höchstem Klangreiz - der erschließt sich dem Hörer freilich nur, wenn der Interpret die technischen Hürden alle genommen hat und im sprichwörtlichen Sinne »über den Dingen steht«.

    Die Anforderungen auf die Spitze getrieben zu haben, war Debussy bewußt - er kündigt den »Finger-Terror« nicht ohne Stolz seinem Verleger Durand an. Ganz bewußt widmete der Komponist diesen Werkzyklus Frédéric Chopin, dessen Klavierwerke er gerade bei Durand neu herausgegeben hatte.

    Daß die Stimmungswelt der einzelnen Etüden immer wieder über die spielerische Lust an der Übung manueller wie geistiger Wendigkeit hinausgeht, daß sich melancholische Töne, verschleierte Klänge einschleichen, hat wohl mit der allgemeinen Situation Frankreichs zur Zeit der Entstehung der Komposition zu tun. Die Etüden entstanden zur Zeit der Invasion der deutschen Truppen am Beginn des Ersten Weltkriegs, die Debussy - wie viele seiner Zeitgenossen - in eine ebenso tiefe Depression stürzte wie die Erkenntnis seiner schweren Krebserkrankung: Er hatte nur noch drei Jahre zu leben und fühlt seine Kräfte bereits schwinden.

    So begegnet uns auch der traurige Spaßmacher Debussy, der uns schon in manchen früheren Werken - insbesondere in einigen der Préludes - mit einem lachenden und einen weinenden Auge anblickt. Etliche der Etüden zeigen sich doppelbödig, scheinbar ungeniert, unbekümmert »aktivistisch«, aber mit einem dunkel-schwermütigen Kern.

    Die Etüden waren nicht zuletzt auf Grund ihrer eminenten Anforderungen nicht die Liebkinder der Pianisten und Schallplattengesellschaften. Nur eine Handvoll jener Interpreten, die sich mit Freude der Préludes angenommen haben, spielten auch die Etudes.

    Und nur einige von diesen Wenigen reüssierten wirklich glänzend. Zwei Antipoden lassen hören, wie man aus unterschiedlichen Perspektiven vollkommen stimmige, dennoch einander diametral entgegengesetzte Hörerlebnisse erzielen kann:

    Ein Klassiker gelang dem allseits als herausragender Debussy-Spieler gepriesenen Walter Gieseking, der bei vollkommener manueller Beherrschung die Poesie dieser Musik wie ein Märchenerzähler einzufangen wußte und nicht zuletzt in der Schattierung der Dynamik am leisen Ende der Skala Wunderdinge gewirkt hat.

    Dem setzt Jean-Yves Thibaudet ein Denkmal des ebenso unverwechselbaren, wie schwer zu benennenden »französischen« Klavierstils entgegen - weniger erzählmächtig als feinsinnig-elegant und ein wenig distanziert. Dieser Pianist steht ebenso über den Dingen der pianistischen Technik wie über denen eines bildhaft-beredten Ausdrucks. Er läßt, sagen wir's so, dem Hörer mehr Freiheit, um ihn gleichzeitig darauf hinzuweisen, daß es auch lohnend ist, nebst der Musik das Können des Interpreten zu bewundern.

    Als Aufnahme-Legende gilt auch die Einspielung von Maurizio Pollini, die im Vergleich zu den vorgenannten Interpretationen freilich reichlich kühl und auf die mechanische Aufgabenstellung konzentriert bleibt; bewundernswert in jedem Fall in ihrer Reinheit, die im frankophonen Bereich später wieder Pierre-Laurent Aimard auf seine Fahnen geheftet hat und auch annähernd erreichen konnte. Erstaunlich poetisch im Gegenzug die als Klassiker-Spezialistin gehandelte Mitsuko Uchida, die den Zyklus für Philips in guter Balance zwischen Stimmungsmalerei und Etüden-Charakter aufgenommen hat.

    Connaisseurs schätzen die Debussy-Aufnahmen des frühverstorbenen Amerikaners Paul Jacobs (1930 - 1983), der es nie zu großer Popularität geschafft hat, aber ein vorzüglicher Stilist war und als Zögling Robert Crafts und Pierre Boulez' um Debussys »Modernität« wußte. Sein Spiel ist von kristalliner Klarheit und Transparenz.

    Nur einzelne der zwölf Nummern (genau: Nr. 1, 4, 6 und 11) hat Vladimir Horowitz gespielt, exzentrisch-subjektiv, wie gewohnt, aber mit überwältigendem Effekt. Die »Arpeggien-«Etüde ist von unglaublicher Leichtigkeit und Duftigkeit, spitzt sich aber ebenso unglaublich dramatisch zu, während witzig-frech die Zitate aus den Préludes um die Ecke lugen. Und apropos Subjektivität: Leichter gemacht hat es sich Horowitz ja bekanntlich selten, wenn es um Freizügigkeiten gegenüber dem Notentext ging . . .

    DA CAPO

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