Impressionistische Kammermusik
Streichquartette von Debussy und Ravel
Die Zeit nach dem Ende des Deutsch-Französischen Kriegs und der katastrophalen Herrschaft der Pariser Kommune galt dem Wiederaufbau Frankreichs und seines kulturellen Selbstverständnisses. Einen Beitrag dazu sollte die 1871 gegründete Société Nationale de Musique unter dem „Ars Gallica“ leisten.
Interessanterweise bezogen sich die Komponisten in jenen Jahren gern auf die - von vielen als » deutsch« empfundenen - Formen der Sonate und der Symphonie.
Kaum aber wurden Streichquartette geschaffen.
César Franck hatte 1890 im Alter von 68 Jahren ein Streichquartett veröffentlicht - Kollege Fauré folgte erst 1924 (mit 79!).
So stellen die beiden Quartette der führenden Vertreter des sogenannten Impressionismus Solitäre dar, die, jedes auf seine Weise, die viersätzige klassische Quartett-Form auf originelle Weise neu definieren und in einen unverwechselbar neuen ästhetischen Rahmen stellen.
Vergleichsweise jugendliche Stürmer, hatten Debussy und - im Gefolge - Ravel in ihren frühen Dreißigern ihre Quartette geschrieben.
Debussys Quartett-Sensation
Debussy war zuvor lediglich mit seiner Kantate La damoiselle élue an die Öffentlichkeit getreten.
Die Uraufführung seines Streichquartetts durch das Ysaÿe Quartett am 29. Dezember 1893 war eine Sensation. Viele Kritiker erkannten das Potential, das in diesem Stück für die Zukunft der französischen Musik steckte. Auch der Komponist Ernest Chausson, der mit Debussy befreundet war, der aber auch kritische Einwände gegen das Stück hatte.
Erhalten hat sich ein Brief Debussy an Chausson vom 5. Februar 1894, in dem es heißt:
Doch war es nicht nur Chausson, der Kritik äußerte. Vincent d’Indy tat im Gespräch mit Georges Auric später sowohl Debussys als auch Ravels Streichquarteett ab, es handle sich dabei um
Hier gelingt es, formgebend zu wirken, obwohl eine völlige neue Ästhetik herrscht.
Das ist das Gegenteil des klassizistischen Denkschemas, das neuen Wein in alte Schläuche füllt, indem immer aufs neue Sonaten- und Rondoformen komponiert wurden. Daß die Musik des langsamen Satzes von russischen Vorbildern inspiriert ist, haben schon Debussys Zeitgenossen angemerkt. Der Einfluß Borodins ist mit Sicherheit stärker als jener eines Beethoven oder gar Brahms.
Ravel, der Bruder im Geiste
Debussy war es auch, der sofort erkannte, daß nur Maurice Ravel ein Ebenbürtiger im musikalischen Geiste war. Der Dreißigjährige Ravel war 1905 von der Jury des Prix de Rome vor der Endrunde ausgeschlossen worden, was in der Pariser Kulturwelt einen Skandal auslöste. Man wußte längst, was dieser junge Mann konnte. Nur die Jury hatte offenbar altmodische Maßsstäbe angelegt. Die Welt und die französische Musik waren längst weiter.
Angeblich hat Debussy Ravel geraten, keine Note an seiner Partitur zu ändern. Auch wenn dieser Ratschlag jüngeren Forschungen zufolge nie gegeben worden sein sollte: Tatsächlich hat Ravel das Werk nur mit geringfügigen Korrekturen in Druck geben.
Es sei eine Ehre für den Wettbewerb gewesen, daß ein Ravel daran überhaupt teilgenommen hätte, ätzten die Beobachter.
Nach der Uraufführung des Quartetts am 5. März 1904 war Ravel jedenfalls im Bewußtsein der französischen Öffentlichkeit „angekommen“.
Die brüderliche Koexistenz mit Debussy in diesem Bewußtsein rührt aus jener Zeit - und hat bis heute in der Betrachtung der Musikgeschichte der Zeit um 1900 ihre Spuren hinterlassen.
II. Assez vif - tres rythmé
Das Scherzo Ravels nimmt sich noch bizarrer aus als das von Debussy, ebenfalls dominiert von hier raffiniert mit gestrichenen Tönen wechselnden Pizzicati. Wie bei Debussy gibt es innerhalb der Sätze Parallelen, die beim Hören freilich nicht unmittelbar einleuchten: Die Cellophrase am Beginn des „Trios“ ist mit den ersten vier Noten des ersten Satzes verwandt, die auch im langsamen Satz immer wieder erscheinen.
Wobei der formale Verlauf dieses Satzes vor allem in einer langsamen Eingemeindung des Zitats aus dem ersten Satz besteht: Was zunächst wie ein Fremdkörper wirkt, scheint am Ende vollkommen integriert.
Ravels artifizielle Synthese-Technik erreicht hier einen Höhepunkt, wenn im 3/4-Abschnitt des Satzes die beiden Themen des ersten Satzes wiederkehren und gegeneinander ausgespielt werden. Als sollte die klassische »Durchführung« auf neuartige Weise in den Finalsatz verschoben werden.
Kaum aber wurden Streichquartette geschaffen.
César Franck hatte 1890 im Alter von 68 Jahren ein Streichquartett veröffentlicht - Kollege Fauré folgte erst 1924 (mit 79!).
So stellen die beiden Quartette der führenden Vertreter des sogenannten Impressionismus Solitäre dar, die, jedes auf seine Weise, die viersätzige klassische Quartett-Form auf originelle Weise neu definieren und in einen unverwechselbar neuen ästhetischen Rahmen stellen.
Vergleichsweise jugendliche Stürmer, hatten Debussy und - im Gefolge - Ravel in ihren frühen Dreißigern ihre Quartette geschrieben.
Debussys Quartett-Sensation
Debussy war zuvor lediglich mit seiner Kantate La damoiselle élue an die Öffentlichkeit getreten.
Die Uraufführung seines Streichquartetts durch das Ysaÿe Quartett am 29. Dezember 1893 war eine Sensation. Viele Kritiker erkannten das Potential, das in diesem Stück für die Zukunft der französischen Musik steckte. Auch der Komponist Ernest Chausson, der mit Debussy befreundet war, der aber auch kritische Einwände gegen das Stück hatte.
Erhalten hat sich ein Brief Debussy an Chausson vom 5. Februar 1894, in dem es heißt:
Ich werde noch eines extra für Sie komponieren … und ich werde mich darum bemühen, meine Formen edler zu gestalten!Es kann nur darüber spekuliert werden, was Chausson im Detail mißfallen hatte. Vielleicht die Pizzicati im Scherzo-Satz, die gewiß vom Gamelan.Orchester inspiriert waren, das Debussy bei der Pariser Weltausstellung 1889 so fasziniert hatte.
Doch war es nicht nur Chausson, der Kritik äußerte. Vincent d’Indy tat im Gespräch mit Georges Auric später sowohl Debussys als auch Ravels Streichquarteett ab, es handle sich dabei um
jolis morceaux pour quatuor à cordes
(»hübsche Stückchen für Streichquartett«).
Debussys Streichquartett
Ein solches Urteil kann nur aus dem Mund eines Formalisten kommen, der nicht erkennen kann, daß es Debussy hier gelungen ist, die klassische Durchführungstechnik mit neuem Geist zu beleben. Weniger als um die Entwicklung und Manifestation von muiskalischen Themen geht es hier um die wechselnde Beleuchtung von Motiven und Ideen. Die Assoziation zu den malerischen Techniken eines Monet und damit das Wort Impressionismus sind nicht zu weit hergeholt.Hier gelingt es, formgebend zu wirken, obwohl eine völlige neue Ästhetik herrscht.
Das ist das Gegenteil des klassizistischen Denkschemas, das neuen Wein in alte Schläuche füllt, indem immer aufs neue Sonaten- und Rondoformen komponiert wurden. Daß die Musik des langsamen Satzes von russischen Vorbildern inspiriert ist, haben schon Debussys Zeitgenossen angemerkt. Der Einfluß Borodins ist mit Sicherheit stärker als jener eines Beethoven oder gar Brahms.
Ravel, der Bruder im Geiste
Debussy war es auch, der sofort erkannte, daß nur Maurice Ravel ein Ebenbürtiger im musikalischen Geiste war. Der Dreißigjährige Ravel war 1905 von der Jury des Prix de Rome vor der Endrunde ausgeschlossen worden, was in der Pariser Kulturwelt einen Skandal auslöste. Man wußte längst, was dieser junge Mann konnte. Nur die Jury hatte offenbar altmodische Maßsstäbe angelegt. Die Welt und die französische Musik waren längst weiter.
Angeblich hat Debussy Ravel geraten, keine Note an seiner Partitur zu ändern. Auch wenn dieser Ratschlag jüngeren Forschungen zufolge nie gegeben worden sein sollte: Tatsächlich hat Ravel das Werk nur mit geringfügigen Korrekturen in Druck geben.
Es sei eine Ehre für den Wettbewerb gewesen, daß ein Ravel daran überhaupt teilgenommen hätte, ätzten die Beobachter.
Nach der Uraufführung des Quartetts am 5. März 1904 war Ravel jedenfalls im Bewußtsein der französischen Öffentlichkeit „angekommen“.
Die brüderliche Koexistenz mit Debussy in diesem Bewußtsein rührt aus jener Zeit - und hat bis heute in der Betrachtung der Musikgeschichte der Zeit um 1900 ihre Spuren hinterlassen.
Ravels Streichquartett
I. Allegro moderato - tres doux
Auch Ravels Quartett beginnt nicht forsch mit einem »Hauptthema« sondern baut zunächst eine spezielle Atmosphäre auf, von der sich bald die frischen Triolenbewegungen des Seitenthemas absetzen. Aus diesen Spannungen ergibt sich ein Spiel, das man durchaus mit der klassischer Sonatensatzform in Übereinstimmung bringen kann, das der Komponist Gerard McBurney freilich einmal als einen „Volkstanz“ beschrieben hat, „ bei dem man sich mit jedem Musikabschnitt zum nächsten Tanzpartner bewegt und nie genau weiß, wessen Hand man bei den nächsten Takten halten wird“.II. Assez vif - tres rythmé
III. Trs lent
Das Scherzo Ravels nimmt sich noch bizarrer aus als das von Debussy, ebenfalls dominiert von hier raffiniert mit gestrichenen Tönen wechselnden Pizzicati. Wie bei Debussy gibt es innerhalb der Sätze Parallelen, die beim Hören freilich nicht unmittelbar einleuchten: Die Cellophrase am Beginn des „Trios“ ist mit den ersten vier Noten des ersten Satzes verwandt, die auch im langsamen Satz immer wieder erscheinen.
Wobei der formale Verlauf dieses Satzes vor allem in einer langsamen Eingemeindung des Zitats aus dem ersten Satz besteht: Was zunächst wie ein Fremdkörper wirkt, scheint am Ende vollkommen integriert.IV. Vif et agité
Das Finale beizieht seine pulsierende Energie vor allem aus der metrischen Asymmetrie, Beständig wechseln 5/8 (bzw. 5/4) und 3/4-Takt - wie eine delirante Erinnerung an den 6/8 : 3/4-Kontrast, der das Scherzo beherrscht hat.Ravels artifizielle Synthese-Technik erreicht hier einen Höhepunkt, wenn im 3/4-Abschnitt des Satzes die beiden Themen des ersten Satzes wiederkehren und gegeneinander ausgespielt werden. Als sollte die klassische »Durchführung« auf neuartige Weise in den Finalsatz verschoben werden.