Die späten Symphonien
Zwischen Salzburg, Prag und Wien
Letzte Salzburger Werke
Die Salzburger Jahre beendet Mozart mit drei dreisätzigen Symphonien, deren erste, KV 318, eine verkappte Opernouvertüre ist, knapp, in Bogenform gestaltet, mit einem zarten Andante-Intermezzo inmitten. KV 338 ist hingegen eine ausgewachsene Symphonie, deren erster Satz von überbordendem Erfindungsreichtum getragen ist: Exposition und Durchführung wirken wie eine unablässig strömende Einheit, in der erstaunliche, oft drastische Kontrastwirkungen erzielt werden. Mozart streicht in diesem Werk das an zweiter Stelle stehende Menuett. In die B-Dur-Symphonie (KV 319) fügt er hingegen ein Menuett ein und ergänzt das intime, doch reichhaltige Werk zur Viersätzigkeit.Die „Haffner-Symphonie“
Die nächste Symphonie sendet Mozart bereits als Gruß an die Heimat aus Wien: Einmal noch ordert Vater Leopold eine Festmusik für die Familie Haffner. Von der neuen D-Dur-Serenade sind uns nur jene vier Sätze erhalten, die Mozart später als Symphonie aus dem Gesamtverband herauslöst. Das KV 385 ist eine seiner konzisesten, gleichzeitig festlichsten Kompositionen, strahlend, kraftvoll, mit einem typisch serenadenhaften Andante in G-Dur als innigem Intermezzo.Das Geheimnis der „Nr. 37“
Improvisatorisch entstehen auch die nächsten beiden symphonischen Arbeiten: Für eine Akademie in Linz braucht Mozart zwei Werke. Eines davon borgt er kurzerhand bei Michael Haydn, versieht es lediglich mit einer selbstkomponierten langsamen Einleitung (KV 444). Das - und die unleugbare Qualität von Michael Haydns Werk - genügte, um das Stück lange Zeit als genuines Werk Mozarts gelten zu lassen. In der ersten Gesamtausgabe firmiert diese „G-Dur-Symphonie“ als „Nr. 37“ zwischen der „Linzer“ und der „Prager“ Symphonie. Noch in der Gesamtaufnahme der Mozart-Symphonien durch Erich Leinsdorf in den Fünfzigerjahren ist das Stück enthalten.Die „Linzer“ Symphonie
Das andere Stück für die Linzer Akademie schreibt Mozart in Windeseile selbst: Der erste Satz dieser „Linzer Symphonie“ ist ein Lehrbeispiel für Mozarts singuläre Auffassung der sogenannten Sonatenform: Wer nach der gewichtigen Introduktion im Allegro-Teil die Themen numerieren wollte, würde kläglich scheitern. Wie so oft ergibt sich der Komponist dem brillanten rhetorischen Spiel mit einer schier unendlichen Fülle von Argumenten, wobei aus scheinbaren Aperçus im Verlauf der Diskussion gewichtige Thesen werden können – und umgekehrt. Der Gestaltenreichtum geht mit einer Virtuosität der Klangrede einher, die vor allem für das späte symphonische Schaffen Mozarts charakteristisch bleiben wird.Die „Prager“ Symphonie
Die „Prager Symphonie“, KV 504, nimmt in ihrer Hell-dunkel-Mischtechnik die „Don Giovanni“-Klangwelt voraus, weist im Hauptthema des Stirnsatzes aber auch schon auf die „Zauberflöten“-Ouvertüre – und wirkt im Presto-Finale wie eine Metamorphose des kurzen „Fenstersprung-Duetts“ zwischen Cherubino und Susanna aus dem „Figaro“. Inmitten steht ein geheimnisvoll gestaltenreiches, tiefgründig modulierendes Andante, das die finsteren Momente der Symphonie-Introduktion noch einmal aufnimmt und diskutiert.Die drei letzten Symphonien
Die drei letzten Symphonien von 1788 wird man später immer in einem Atemzug nennen, auch weil der Anlaß für ihre Komposition nie geklärt werden kann. Sicher darf angenommen werden, daß Mozart nicht ohne Grund drei solche gewichtige Kompositionen schreibt, die ihren Platz im bürgerlichen Konzertbetrieb des 19. Jahrhunderts sofort erobern und nie wieder verlieren werden. Überraschungen, kühne Kontrastwirkungen allenthalben.Nikolaus Harnoncourt verfocht in seinen letzten Lebensjahren eine quasi-religiöse These, die alle drei Werke als ein großes symphonisches „Oratorium ohne Worte“ erscheinen ließ.
Das Es-Dur-Werk hebt noch einmal mit einer Adagio-Einleitung an, beginnt den Allegro-Teil dann schwebend, fast entmaterialisiert, bis – spät in der Entwicklung – das gesamte Orchester einmal im Forte zum Klingen kommt. Fesselnde Erzählkunst herrscht im As-Dur-Andante, das aus schlichtem Beginn zu aufwühlenden Bilderwelten findet, wie sie in der folgenden g-Moll-Symphonie (KV 550) durchgehend beschworen werden. Dieses Werk trägt später besonders zur Mozart-Mythenbildung bei, wo- bei seine Stellung im Œuvrekatalog so singulär nicht ist, wie es scheinen mag. Mozart selbst hat ein „kleines“ Schwesterwerk in g-Moll (KV 183) geschaffen, er drückt – in manch glühender Opernszene seit frühester Jugend – gerade in dieser Tonart immer wieder empfindsamste Bot- schaften aus – ein Jahr vor KV 550 etwa auch im Streichquintett KV 516.
Die C-Dur-Symphonie (KV 551), vom Verleger „Jupiter-Symphonie“ genannt, demonstriert im Gegenzug die Kombination von äußerster Prachtentfaltung und höchster Sensibilität. Über die Fugenkunststücke im Finalsatz, über das seit der ersten Symphonie immer wiederkehrende Credo-Motiv sind Bände geschrieben worden. Weniger über die aufregende Formgebung des F-Dur-Andantes: Der Sonatensatz wird von bedrohlichen Stimmungstrübungen vorangetrieben und treibt mit der Durchführung ein dämonisches Seitenthema sozusagen aus. Es kehrt in der Reprise nicht wieder, wird ersetzt durch eine geradezu heroisch tönende Metamorphose.
Der Weg ist freinicht nur für das genial alle Gelehrtheit von der kontrapunktischen Kunst abstreifende Finale, sondern auch für das gelöste Menuett, dessen Trio wie der verschmitzte Kommentar zu einem derben Ländler tönt: Nur phantasievolle Dirigenten werden das später durchschauen – und keiner wird die Bläser den „Schlußjauchzer“ der Melodie so charmant und gleichzeitig bodenständig realisieren lassen wie der große, aus Bayern gebürtige Mozart-Bewunderer Richard Strauss . . .