Vom Cellisten zum Rebell
Im Gespräch.
Nikolaus Harnoncourt im Vorfeld eines ungewöhnlichen Mozart-Programms im Musikverein -- über Interpretation, Oper, Wien und Salzburg.
Dann folgen Szenen, die zum Teil für Opern als Zweitarien geschrieben worden sind, oder die nie aufgeführt werden, die Arie der Macelline aus dem Figaro , das Duett Leporello/Zerlina aus Don Giovanni, die Arie des Guglielmo aus Cosi fan tutte, die Mozart wegen allzugroßer Obszönität ersetzt hat." Danach folgt der komplette Schauspieldirektor. Harnoncourt hat nicht nur die Mozart-Interpretationen der jüngeren Vergangenheit maßgeblich beeinflußt und ein "Umdenken" eingeleitet, sondern sich überhaupt intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie Musik dem Zuhörer "richtig" vermittelt werden kann. Dabei stieß er auf unterschiedlichste Aspekte ästhetischer Wertungen.
"Wenn Beethoven zum Beispiel das geschrieben hätte, was die Leute von ihm erwarten, dann würden wir heute keinen Ton mehr von ihm spielen. Schon wenn man zwei Töne spielt, dann entsteht für den dritten eine Erwartung, die erfüllt oder enttäuscht werden kann. Wenn ich Regeln habe, die ich übertreten kann, dann sind die interessantesten Stellen immer die Punkte, wo die Regeln übertreten werden, aber auch nur dann, wenn es Stellen gibt, wo die Regeln eingehalten werden."
"Wir haben in meiner Zeit bei den Symphonikern, also zwischen 1952 und 1969, mit den erlauchtesten Dirigenten diese Werke aufgeführt. Und die sind einfach vollkommen harmlos aber wunderschön dahingeplätschert. Und ich habe dann die Partitur gelesen und mich gefragt: Warum ignoriert man alles, was da drin steht?" "Es gibt", erzählt der Dirigent weiter, zwei ästhetische Einstellungen, wovon die eine sehr verbreitet ist, die ich aber wirklich ablehne: Es heißt, daß die Musik Mozarts derart harmonisch sei, daß sie konfliktfrei strömen muß. Man kann diese Ansicht vertreten. Aber sie führt zum Ende jeder Kunst, die irgendetwas Spontanes in sich hat. Meiner Ansicht nach ist jede Symphonie von Mozart eine Oper, hat immer eine Richtung: Woher komme ich, wohin gehe ich. Es ist immer eine Spannung. Die Beunruhigung, die Mozart mit seiner Musik verursacht hat und auch verursachen wollte, die will ich wieder erzielen. - Diese beiden Auffassungen vertragen sich nicht miteinander."
Nikolaus Harnoncourt, der weiterhin in Zürich Opern und Operetten dirigiert, hält sich im Opernbereich nach wie vor von Wien und Salzburg fern. In einen Repertoirebetrieb wie er an der Staatsoper praktiziert werde, sei er "nicht einbaubar". Und in Salzburg verstehe er zwar - "ob ich es jetzt bejahe oder nicht" - die Auswahl der Regisseure, nicht aber die musikalischen Entscheidungen: "die kann ich nicht nachvollziehen. Ich will aber meine Rolle, die ich habe, kennen." Sein Lieblingsprojekt: Eine szenische Realisierung von Schumanns Genoveva - "aber nur, wenn sicher gestellt ist, daß es gut geht". Ein entsprechender Regisseur für das komplizierte, ästhetisch so zukunftsweisende Werk hat sich noch nicht gefunden...
4.10.1997
"Was wir diesmal machen, ist eigentlich ein reines Theaterprogramm, aber mit Musik, die man im Theater nicht hören kann", kommentiert Nikolaus Harnoncourt sein Doppelkonzert mit dem Concentus musicus und prominenten Solisten im Musikverein. "Wir beginnen mit einer Sinfonia, einer Theaterouvertüre, in der Mozart sozusagen das ganze Werkzeug, mit dem er in den nächsten Stunden arbeiten wird, vor dem Hörer ausbreitet. Da spürt man in jedem Ton schon Theaterluft.Dann folgen Szenen, die zum Teil für Opern als Zweitarien geschrieben worden sind, oder die nie aufgeführt werden, die Arie der Macelline aus dem Figaro , das Duett Leporello/Zerlina aus Don Giovanni, die Arie des Guglielmo aus Cosi fan tutte, die Mozart wegen allzugroßer Obszönität ersetzt hat." Danach folgt der komplette Schauspieldirektor. Harnoncourt hat nicht nur die Mozart-Interpretationen der jüngeren Vergangenheit maßgeblich beeinflußt und ein "Umdenken" eingeleitet, sondern sich überhaupt intensiv mit der Frage auseinandergesetzt, wie Musik dem Zuhörer "richtig" vermittelt werden kann. Dabei stieß er auf unterschiedlichste Aspekte ästhetischer Wertungen.
Staunen über die Mode
"Wenn es ein Element in der Entwicklung gibt", erzählt er, "das ich mit Staunen betrachte, dann ist das die Mode. Wenn einer gleichmäßige Sechzehntel spielt bei einem Mozartkonzert, damit kann man mich jagen. Es gibt aber viele, die das für schön halten." Daß man auf Vorlieben des Publikums Rücksicht zu nehmen hätte, bestreitet Harnoncourt entschieden: "Ich mache zwar Musik für ein heutiges Publikum. Aber ich bediene nicht die Erwartungen, die ein heutiges Publikum hat. Im Gegenteil: Die Enttäuschung von Erwartungen gehört ja notwendig zur Kunst.""Wenn Beethoven zum Beispiel das geschrieben hätte, was die Leute von ihm erwarten, dann würden wir heute keinen Ton mehr von ihm spielen. Schon wenn man zwei Töne spielt, dann entsteht für den dritten eine Erwartung, die erfüllt oder enttäuscht werden kann. Wenn ich Regeln habe, die ich übertreten kann, dann sind die interessantesten Stellen immer die Punkte, wo die Regeln übertreten werden, aber auch nur dann, wenn es Stellen gibt, wo die Regeln eingehalten werden."
Erwartungen enttäuschen
Und das Wiederherstellen von entsprechender Überraschung ist für Harnoncourt eine der wichtigsten Aufgaben des Interpreten. Es sei gewiß auch keine Verpflichtung für den Interpreten, die Regeln, die vor Jahrhunderten für den Musiker gegolten haben, verbindlich einzuhalten. Allein: "Man muß sie kennen. Dann kann man sie auch übertreten, wenn man es für richtig hält". Harnoncourt hat sich schon als junger Orchestermusiker mit historischen Fakten beschäftigt. Die Lektüre ästhetischer Betrachtungen aus der Zeit um 1800 war folgenschwer. Es sei bezeichnend, sagt Harnoncourt, daß Mozarts Zeitgenossen meinten, ein Stück wie die große g-Moll-Symphonie könne man gar nicht auf die Leute "loslassen", weil die dann, aufgewühlt, Gefahr laufen würden, "vom nächsten Pferdefuhrwerk überfahren zu werden." Harnoncourt erinnert sich: "Als ich das zum erstenmal gelesen habe, und dann die g-Moll-Symphonie wieder spielen mußte, war mein Schicksal besiegelt: Ich habe gewußt, ich gehe weg vom Orchester. Die g-Moll-Symphonie und die Matthäuspassion waren die Gründe, warum ich von den Symphonikern weggegangen bin.""Wir haben in meiner Zeit bei den Symphonikern, also zwischen 1952 und 1969, mit den erlauchtesten Dirigenten diese Werke aufgeführt. Und die sind einfach vollkommen harmlos aber wunderschön dahingeplätschert. Und ich habe dann die Partitur gelesen und mich gefragt: Warum ignoriert man alles, was da drin steht?" "Es gibt", erzählt der Dirigent weiter, zwei ästhetische Einstellungen, wovon die eine sehr verbreitet ist, die ich aber wirklich ablehne: Es heißt, daß die Musik Mozarts derart harmonisch sei, daß sie konfliktfrei strömen muß. Man kann diese Ansicht vertreten. Aber sie führt zum Ende jeder Kunst, die irgendetwas Spontanes in sich hat. Meiner Ansicht nach ist jede Symphonie von Mozart eine Oper, hat immer eine Richtung: Woher komme ich, wohin gehe ich. Es ist immer eine Spannung. Die Beunruhigung, die Mozart mit seiner Musik verursacht hat und auch verursachen wollte, die will ich wieder erzielen. - Diese beiden Auffassungen vertragen sich nicht miteinander."
Nikolaus Harnoncourt, der weiterhin in Zürich Opern und Operetten dirigiert, hält sich im Opernbereich nach wie vor von Wien und Salzburg fern. In einen Repertoirebetrieb wie er an der Staatsoper praktiziert werde, sei er "nicht einbaubar". Und in Salzburg verstehe er zwar - "ob ich es jetzt bejahe oder nicht" - die Auswahl der Regisseure, nicht aber die musikalischen Entscheidungen: "die kann ich nicht nachvollziehen. Ich will aber meine Rolle, die ich habe, kennen." Sein Lieblingsprojekt: Eine szenische Realisierung von Schumanns Genoveva - "aber nur, wenn sicher gestellt ist, daß es gut geht". Ein entsprechender Regisseur für das komplizierte, ästhetisch so zukunftsweisende Werk hat sich noch nicht gefunden...