*** SINKOTHEK ** KRITIK ***

Und er lächelte doch
Debüt eines Gestrengen

Nikolaus Harnoncourt dirigierte 2001 erstmals das Neujahrskonzert und hatte allen Grund, entgegen seiner Ankündigung zufrieden zu lächeln. Unter seiner Führung wurde das Programm zu einer Schule der musikalischen Behutsamkeit.

Ein Lehrstück würde es werden, so durfte man mutmaßen, als es hieß, Nikolaus Harnoncourt würde das Neujahrskonzert der Philharmoniker dirigieren. Denn das Didaktische ist aus dem Naturell dieses Musikers nie wegzudenken.

Ein Lehrstück wurde es auch, freilich eines der feinsinnigsten, die sich denken lassen. Wär' nicht Harnoncourt, hätte man das Publikum nicht schon im Vorfeld des Ereignisses darauf hingewiesen, daß diesmal eine bis dato ungehörte „erste Fassung” des Radetzkymarschs erklingen würde. Wär' nicht Harnoncourt, hätte man nicht die Urfassung an Stelle der bekannten Version der Ouvertüre zur „Nacht in Venedig” aufs Programm gesetzt. Wär' nicht Harnoncourt, hätte man sich nicht darauf verlassen können, in allen, auch den berühmtesten Werken dieser Matinee unzählige Stellen auszumachen, die so zuvor wirklich noch nie zu hören waren.

Freilich: All dies Lehrreiche vollzog sich diesmal unaufdringlich und manchmal geradezu auf charmant-verschmitzte Weise. Tatsächlich waren im eingangs musizierten Radetzkymarsch Passagen auszumachen, die eine Nuance anders verlaufen, als man sie zu hören gewöhnt ist.

Allein, das war es nicht, was aufhorchen ließ. Vielmehr verwunderte – und erfreute – die Behutsamkeit, mit der die Philharmoniker ans Werk gingen. Jegliche aufdringliche Pointe, jeder Anflug von brutalem Aufschneidertum, das sonst mit dieser Musik zuweilen einhergeht, schien ausgeräumt. Statt dessen regierten wohl austarierter Klang, bis in die kleinste Nebennote bewußt gesetzte, niemals beiläufig hingeworfene Akzente.

Viele wunderbare, manchmal beinahe nur gehauchte Pianissimi, manch betörend abgestimmte Instrumentenmixtur ersetzten den sonst gern geübten Zug in Richtung ungeschlachten Lärms.
Mag sein, daß manch einer vertraute vorwärtstreibende Geschwindigkeitsorgien vermißte. Der Kenner genoß es jedoch, wenn auch die eine oder andere Schnellpolka ("Electrofor", „Lucifer") nicht zu rasant vorüberzog, wenn den Musikanten Zeit blieb, harmonische Finessen auszukosten und instrumentale Arabesken feinsäuberlich zu Ende zu phrasieren.

Auch daß manches Kleinod aus Joseph Lanners Feder gegeben wurde ("Die Schönbrunner", „Jägers Lust"), vor allem aber die gemächlichen „Steyrischen Tänze", erfreute. Der Meister darf doch mit Fug und Recht neben Strauß Vater als Begründer der wienerischen Unterhaltungsmusik gelten und anläßlich seines 200. Geburtstags besonders herausgestellt werden.
Harnoncourts Feinschliff ließ auch seine Instrumentationskünste in neuem Licht erscheinen.

So war diesmal ein Vormittag für feinsinnige Hörer; und es war nur gut und richtig, daß Harnoncourt zuerst die „Harlekin"-Polka von Joseph Strauß den „Kindern der Welt” zueignete und uns danach aufforderte, die Kunst als „schönstes Geschenk Gottes” auch im neuen Jahrtausend hochzuhalten.
Man hatte bald begriffen, daß diesmal der Nachweis versucht werden sollte, auch Walzer, Galopp und Polka mazur gehörten zur edelsten Kategorie kulturellen Schaffens. Subtiler ist der Beweis selten erbracht worden.




↑DA CAPO