Harnoncourt als »Ersatzkaiser«
Jubel für den Beethovenyklus bei den Salzburger Festspielen
Das Phänomen ist leicht erklärt. Zum einen vermissen die Hellhörigeren unter den Musikfreunden Dirigenten, die - wie einst Karajan - spürbar wissen, was sie wollen und diese Vorstellungen dann kompromißlos in die Tat umzusetzen vermögen. Zum anderen hat Harnoncourt, weil er jenseits des karajanischen Romantizismus agierte, fern von allen Diadochenkämpfen an seiner Karriere gearbeitet und ist nicht in Nachfolgekriegen "aufgerieben" worden.
Während jene Dirigenten, die mit dem Instrumentarium des "romantischen" Orchesterklangs noch Großes, Eigenständiges zu sagen vermögen, mangels medialer Unterstützung ein Schattendasein führen, während die von der mächtigen CD- und Videolobby in den Rang der "Erbengeneration" gehievten Dirigenten an den von den Vätern vorgegebenen künstlerischen Limits scheitern, hat Harnoncourt in dem von ihm selbst geschaffenen Umfeld längst eine Monopolstellung erreicht: Er ist der Papst der "Erneuerungsbewegung", die mittels Besinnung auf historische Spielpraktiken und kritischer Prüfung der Notentexte Hör-und Spielgewohnheiten "hinterfragt", einen frischen Zugang zum altbewährten Repertoirekanon (von Bach bis Brahms) gefordert - zum Teil auch erreicht hat.
Die Führungsfunktion in diesem Bereich kann Harnoncourt niemand streitig machen. Wie einst Karajan erntet er nun die Früchte seiner Aufbauarbeit im Forum der Salzburger Festspiele. Weder interpretationsgeschichtlich noch vor dem Hintergrund der aktuellen Festspielkrise betrachtet, ist es ein Zufall, daß Harnoncourt es ist, der im Mozarteum einen Beethoven-Zyklus gestalten darf und dafür Zustimmung erntet wie weiland Karajan nach seinem Osterfestspiel-"Ring".
Der Jubel, der dem Dirigenten, den fabelhaften Solisten Sylvia McNair, Ann Murray, Thomas Moser und Andreas Schmidt, dem Chamber Orchestra of Europe und - wirklich zu Recht - dem phänomenalen Arnold Schönberg Chor nach der Neunten im Mozarteum entgegenbrandete, dokumentierte den Rang, den das Festspielpublikum diesem Beethoven-Zyklus zumißt.
Dieser Erfolg war vorprogrammiert. Unter vielen falschen Götzen ist ein ehrlicher, spürbar engagierter Handwerker König. Harnoncourt läßt mit seinen Getreuen zwar nicht einmal im langsamen Satz eine Ahnung von den Mysterien fühlen, die wirklich großen Interpretationen der Neunten stets eigen waren. Aber er ficht mit fühlbarem, also respektgebietendem Einsatz für die energische, kompromißlose Umsetzung dessen, was er aus Beethovens Partitur herausliest. Das ist mehr, anderes als seine dirigierenden Zeitgenossen entdek ken. Allein die Präzision, mit der die diversen Spielarten von Legato und Staccato realisiert werden, ist ein Ereignis. Auch die neu austarierte, sehr zugunsten der Bläser verschobene Balance läßt aufhorchen.
Takt für Takt wurde da, hört man, von einem kritischen Musikantengeist akribisch auf den wahren Sinn abgeklopft, eine scheinbar in allen Details längst bekannte Partitur neu gelesen. Daß vieles im Duktus jenen Interpretationen ähnlich ist, die wir als Erbe der Plattengeschichte kennen und lieben gelernt haben, macht wohl auch Traditionalisten den Zugang zu Harnoncourts Deutungen leichter. Der Impetus, die ungeschminkte Gewalt des Stirnsatzes etwa, (in dem man freilich die Oktavsprünge der Bässe während der tosenden Reprise kaum je so deutlich zu hören bekommen hat), das gespenstische Scherzo auch, das unter Harnoncourts Händen einen Zug ins Gewalttätige erhält.
Jetzt aber ist Harnoncourts Zeit. Er nützt sie weidlich.
9. August 1994
Daß Nikolaus Harnoncourt es geschafft hat, zum Ersatzkaiser unter den Dirigenten zu werden, ist an dieser Stelle bereits zu Protokoll gegeben worden. Die Ovationen, die ihm nach seinem Beethovenzyklus bei den Salzburger Festspielen bereitet wurden, bestätigen dieses Urteil.Das Phänomen ist leicht erklärt. Zum einen vermissen die Hellhörigeren unter den Musikfreunden Dirigenten, die - wie einst Karajan - spürbar wissen, was sie wollen und diese Vorstellungen dann kompromißlos in die Tat umzusetzen vermögen. Zum anderen hat Harnoncourt, weil er jenseits des karajanischen Romantizismus agierte, fern von allen Diadochenkämpfen an seiner Karriere gearbeitet und ist nicht in Nachfolgekriegen "aufgerieben" worden.
Ehrliches Handwerk
Jetzt, wo unter den diversen "Chefdirigenten" die Krise offenbar wird, wo kritische Zeitgenossen erkennen, daß mangels geistiger und künstlerischer Potenz weit und breit kein "neuer Karajan" in Sicht ist, wird der kompromißlose Streiter von der vermeintlichen "Nebenfront" zum Hauptdarsteller.Während jene Dirigenten, die mit dem Instrumentarium des "romantischen" Orchesterklangs noch Großes, Eigenständiges zu sagen vermögen, mangels medialer Unterstützung ein Schattendasein führen, während die von der mächtigen CD- und Videolobby in den Rang der "Erbengeneration" gehievten Dirigenten an den von den Vätern vorgegebenen künstlerischen Limits scheitern, hat Harnoncourt in dem von ihm selbst geschaffenen Umfeld längst eine Monopolstellung erreicht: Er ist der Papst der "Erneuerungsbewegung", die mittels Besinnung auf historische Spielpraktiken und kritischer Prüfung der Notentexte Hör-und Spielgewohnheiten "hinterfragt", einen frischen Zugang zum altbewährten Repertoirekanon (von Bach bis Brahms) gefordert - zum Teil auch erreicht hat.
Die Führungsfunktion in diesem Bereich kann Harnoncourt niemand streitig machen. Wie einst Karajan erntet er nun die Früchte seiner Aufbauarbeit im Forum der Salzburger Festspiele. Weder interpretationsgeschichtlich noch vor dem Hintergrund der aktuellen Festspielkrise betrachtet, ist es ein Zufall, daß Harnoncourt es ist, der im Mozarteum einen Beethoven-Zyklus gestalten darf und dafür Zustimmung erntet wie weiland Karajan nach seinem Osterfestspiel-"Ring".
Der Jubel, der dem Dirigenten, den fabelhaften Solisten Sylvia McNair, Ann Murray, Thomas Moser und Andreas Schmidt, dem Chamber Orchestra of Europe und - wirklich zu Recht - dem phänomenalen Arnold Schönberg Chor nach der Neunten im Mozarteum entgegenbrandete, dokumentierte den Rang, den das Festspielpublikum diesem Beethoven-Zyklus zumißt.
Dieser Erfolg war vorprogrammiert. Unter vielen falschen Götzen ist ein ehrlicher, spürbar engagierter Handwerker König. Harnoncourt läßt mit seinen Getreuen zwar nicht einmal im langsamen Satz eine Ahnung von den Mysterien fühlen, die wirklich großen Interpretationen der Neunten stets eigen waren. Aber er ficht mit fühlbarem, also respektgebietendem Einsatz für die energische, kompromißlose Umsetzung dessen, was er aus Beethovens Partitur herausliest. Das ist mehr, anderes als seine dirigierenden Zeitgenossen entdek ken. Allein die Präzision, mit der die diversen Spielarten von Legato und Staccato realisiert werden, ist ein Ereignis. Auch die neu austarierte, sehr zugunsten der Bläser verschobene Balance läßt aufhorchen.
Takt für Takt wurde da, hört man, von einem kritischen Musikantengeist akribisch auf den wahren Sinn abgeklopft, eine scheinbar in allen Details längst bekannte Partitur neu gelesen. Daß vieles im Duktus jenen Interpretationen ähnlich ist, die wir als Erbe der Plattengeschichte kennen und lieben gelernt haben, macht wohl auch Traditionalisten den Zugang zu Harnoncourts Deutungen leichter. Der Impetus, die ungeschminkte Gewalt des Stirnsatzes etwa, (in dem man freilich die Oktavsprünge der Bässe während der tosenden Reprise kaum je so deutlich zu hören bekommen hat), das gespenstische Scherzo auch, das unter Harnoncourts Händen einen Zug ins Gewalttätige erhält.
Innere Größe fehlt
Nehmen wir's also als das, was es unzweifelhaft war: eine sorgfältige herausgeputzte, "gesäuberte" Darstellung eines altbekannten Stückes, dessen ganze (auch inwendige) Größe uns irgendwann schon auch wieder einer vor Ohren führen wird. Einer, der auch Geheimnissen auf der Spur sein wird, die nicht in den Noten und im Wissen um deren praktische Umsetzung zu Beeethovens Zeit, sondern zwischen den Zeilen - und in uns selbst - aufzufinden sind.Jetzt aber ist Harnoncourts Zeit. Er nützt sie weidlich.