T O S C A     

Tosca

Daß Puccini Tosca komponieren würde, galt zunächst ganz und gar nicht als ausgemacht. Zwar hatte der Autor des Bühnenreißers, Victorien Sardou, dessen Stück die große Sarah Bernhardt populär gemacht hatte, geahnt, daß sich hinter diesem Stück ein perfektes Opernlibretto verbarg. Aber Puccini selbst hatte zunächst abgelehnt. Sardous Verleger war längst mit Puccinis Kollegen Riccardo Zandonai handelseins geworden, als Puccini zu Ohren kam, daß der alte Verdi anläßlich einer abendlichen Unterhaltung im Salon sich begeistert über Tosca als Opernstoff geäußert habe.

Nun setzte er alles in Bewegung, um die Rechte an Sardous Tragödie zu bekommen. Und Verleger Riccordi ahnte angesichts des Erfolgs von Manon Lescaut, daß Puccini der erfolgreichere Komponist sein könnte - und wandte etliche Tricks an, um - wider besseres Wissen - Zandonai von der Untauglichkeit des Sujets für das Musiktheater zu überzeugen.

Puccini ging, wie immer, ungeheuer akribisch und mit gutem Gespür für die Notwendigkeiten der Opernbühne vor. Die Librettisten ließ er nie im Zweifel, wenn er für eine bestimmte Szene mehr oder weniger Text brauchte. Vor allem aus Cavaradossis heldenhaftem Bekenntnis kurz vor dem Finale mußte eine lyrische Arie werden - wie für Tosca das sogenannte »Gebet« inmitten des furiosen Mittelaktes, dessen Ästhetik vollkommen quer steht zum blutigen Verismo, der die Szene umgibt, mußte auch der Tenor eine große, kontemplative Arie erhalten.

Auch damit sollte Puccini wie mit sämtlichen seiner dramaturgischen Überlegungen recht behalten: Tosca wurde zu einer der erfolgreichsten Opern der Musikgeschichte.

Dabei standen einige musikalische Nummern offenbar schon fest, als der Text noch gar nicht in die gebundene Libretto-Form gebracht war. Für die besagte Arie des Cavaradossi im dritten Akt, die berühmte Sternenarie schrieb der Komponist den Autoren sogar einen Behelfstext im Rhythmus der schon komponierten Melodie. Das abschließende muoio disperato Puccinis hat Luigi Illica in seinen Versen zu E lucevan le stelle sogar unverändert beibehalten!

Unfehlbar war Puccinis Gespür vor allem in Sachen Dramaturgie: Die beiden Akte im Verließ und auf der Plattform der Engelsburg zog er gekonnt und enorm gestrafft zum dritten Akt seiner Oper zusammen. (Ähnlich ging er später bei zwei Akten von Belascos Girl of the golden West vor.)

Die Kunst des musikalisch-illustrativen Lokalkolorits und der komponierten »szenischen Geste«, die in manchen Fällen jedes nötige Regiedetail hörbar werden läßt, führt Puccini in dieser Partitur auf einen einsamen Höhepunkt. In seiner Villa auf einer Anhöhe in der Landschaft um Lucca notierte er akribisch Hirtengesänge und die Klänge des Glockengeläutes. Informanten bat er, ihm von den Glocken des Petersdoms in Rom, die er am Beginn des dritten Akts inmitten einer zum Greifen deutlichen Schilderung der Morgenkühle - verwandt mit den Naturklängen im dritten Bild der Bohéme - läuten lassen wollte, die präzisen Tonhöhen zu recherchieren.

Ob beispielsweise der Hirtengesang am Beginn des dritten Akts - im lydischen Modus - ein Zitat ist, oder nach Vorbildern ähnlich gestaltet, hat die Musikwissenschaft nie herausgefunden.


↑DA CAPO