Ernst Krenek

1900 - 1991

Das Faktum, daß Ernst Krenek im Jahr 1900 zur Welt kam, im kulturellen Schmelztiegel Wien notabene, daß er also tatsächlich »mit dem Jahrhundert« ging, war, überlegt man's genau, das ideale Sinnbild seines Künstlertums.

Sein Leben lang ist er ein moderner Komponist gewesen. Im umfassendsten Sinne des Wortes. Das, was man die »Moderne« nennt, und mittlerweile bereits ein historischer Begriff geworden ist, hat er ebenso mitbestimmt wie beinahe jede andere »Richtung« im mehrfach irritierten, hysterisch unausgesetzt nach Neuem strebenden Entwicklungsprozeß der jüngeren Musikgeschichte.

Musterkatalog der Moderne

Mitbestimmt, oder besser: aufgenommen, verarbeitet, reflektiert. Sein Oeuvre könnte künftig mühelos als Musterkatalog für die unausgesetzte stilistische Metamorphose herhalten, der die sogenannte »E-Musik« während der vergangenen 90 Jahre unterworfen war. Als die »Atonalität« ihr Recht behauptete, war Krenek ton- und wortgewaltig unter ihren Streitern, wie er später, als die Strawinskyaner den Neoklassizismus ausriefen, barocken und klassischen Formhülsen neue, ein wenig - aber nicht zu sehr dissonierende Inhalte einfüllte.

Er war Spät- und noch später Postromantiker, zwischendrin Zwölftöner oder Serialist, Moderner und dann Postmoderner; und manchmal war er irgendwie auch eine Art von Heurigenmusikant der edelsten Sorte. (Nicht umsonst zählen Abschnitte aus seinem Reisebuch aus den österreichischen Alpen, in denen er zum Beispiel terzenselig »Unsern Wein« besingt, zu seinen populärsten Schöpfungen.)

Und doch darf man Ernst Krenek nicht die - je nach Blickwinkel entweder österreichische oder amerikanische - Version eines Igor Strawinsky nennen, dem man vergleichbare Chamäleonhaftigkeit nachsagen könnte. Wo Strawinsky ein einsamer Vorkämpfer war, blieb Krenek neugieriger Sammler. Er hat kaum »Prototypen« geschaffen, sonden stets raffinierte, verfeinerte Nachbauten.

Das gereicht seiner Musik nicht zum Nachteil. Kreneks wacher Geist und sein profundes Wissen -Lehrer Schönberg beobachtete diesen klugen Schüler, der gewiß sein »gebildetster« war, recht argwöhnisch - verhalfen seiner Arbeit durchwegs zu feinsinnig elaborierten, jedenfalls niemals rohen, »unbehauenen« Strukturen. Als lebte die hohe, dem Tagesbetrieb entrückte Kunst der mittelalterlichen »Musica reservata« wieder auf, die kraft ihrer Künstlichkeit einem besonderen Kennerkreis vorbehalten blieb. Wohl auch bleiben wollte.

»Jonny spielt auf« wird man nun entgegenhalten als Musterbeispiel für einen Opernreißer der zwanziger Jahre, mit etlichen Jazzelementen und funkelnden Anleihen bei gerade aktueller Unterhaltungsmusik. Krenek hat sich mit diesem Sensationserfolg die finanzielle Freiheit erspielt. Und er hat das auch gekonnt. Mit leichter Hand, denn ihm war nicht nur - wie seinem anderen Lehrer Schreker - die Ahnung gegeben, was der Zeitgeschmack gerade erheischt. Krenek hat vielmehr mit Technikerblick die Feinmechanik durchschaut, die dem Publikum Respekt, Begeisterung und Applaussalven entlockt.

In diesem Sinne ist »Jonny« nicht weniger raffiniertes Artefakt wie seine spätere, nicht auch nur annähernd so »populäre« Kollegin, die weinende Pallas Athene.

Der unbequeme Kritiker

Das gedanklich vielfach reflektierte Sensorium für musikalische Ursachen und Wirkungen hat vielleicht sein Komponistenleben lang verhindert, daß sich ein eigener Stil herausgebildet hat, wie er vergleichbar allen großen Kollegen seiner Zeiten eigen war. Oder es hat ihn der Verpflichtung enthoben, einen solchen zu »entwickeln«, je nachdem.

Auf gefährlichem Terrain

Der wache Intellekt Kreneks garantierte jedenfalls all seiner Musik die Erhabenheit über den Hautgout des »Laßt mich den Löwen auch spielen«. Selbst wenn er sich auf das gefährlichste Terrain begab, das den Komponisten während der letzten Jahrzehnte erschlossen wurde, wenn er also mit elektronischen Klängen experimentierte, gehorcht seine Produktion hohen Qualitätsansprüchen. Meilenweit entfernt vom bunten, inhaltsleeren Wellensalat, den auch prominente Kollegen vermeintlich kreativ, in Wahrheit hilflos reglerschiebend in den Äther entließen, machte Krenek auch als Elektroniker Musik, die unmittelbar als Ausdruckskunst zu erkennen war, und jedenfalls als Willensäußerung ihres Schöpfers, nicht als Zufallsprodukt, das mangels Beherrschung des Mediums auch seinen Urheber überrascht.

Selbst hier wäre noch von jenem Klangsinn zu erzählen, von der unüberhörbaren Liebe zur Euphonie, die noch durch Dissonanzballungen hindurch der Schönheit geweiht scheint - dem Dreiklang, würde ein Unverbesserlicher vielleicht sagen, und ihn durchschimmern hören.

Solches urgiert man gern für Wiener, für österreichische Komponisten. Und doch wäre angesichts von Kreneks Lebenslauf wenig verfehlter als Lokalpatriotismus aufkommen zu lassen. Krenek selbst hat gern betont, er sei in Amerika, wohin er vor den Nationalsozialisten geflüchtet war, zu Hause. Und blieb bis zuletzt, mit Ehren und Aufträgen vor allem aus der Alten Welt überhäuft, ein keineswegs angenehmer Kritiker, der ungeniert Wahrheiten anprangern durfte, die auszusprechen man jedem anderen wenigstens als Unfreundlichkeit ausgelegt hätte.

Vor Weihnachten 1991 ist dieser unbequeme große alte Mann in seiner selbstgewählten Heimat Kalifornien gestorben. Seine Geburtsstadt Wien hat ihn in einem Ehrengrab bestattet. Das große Fragezeichen, das er uns immer weder aufgegeben hat, bleibt seinem Andenken wohl erhalten. Für die Neue Musik, deren aufmerksamer »Überdenker« er bis zuletzt gewesen ist, war Krenek eine veritable Leitfigur.

Aufnahmen

Einen Überblick über die vielen Facetten von Kreneks musikalischer Welt kann man sich mit einigen herausragenden Aufnahmen machen, die von der stilistischen Mannigfaltigkeit dieser Musik künden.

Die »atonale« Welt Kreneks, die bei aller Freiheit der Stimmführung höchste Expressivität (und der Musik damit unmittelbare »Verständlichkeit«) sichert, kommt in den 1941 komponierten Lamentationes Jeremiae Prophetae zum Ausdruck: Chorgesang von der einstimmigen Linie zu hoch komkomplexen Verschachtelungen, komponiert wenige Jahre nach Übersiedlung ins amerikanische Exil.

Seiner österreichischen Heimat hatte derselbe Komponist noch in sanft erweiterter Dur-Moll-Tonalität und in unverwechselbar wienerischem Idiom gehuldigt, indem er die selbst gedichtete Verse aus seinem Reisebuch aus den österreichischen Alpen vertonte und zu einem originellen Liederzyklus vereinte.

Das in den atonalen Werken vordergründig oft spröd wirkende Spiel mit klassischen Formen in modernem harmonischem Gewand vermochte Glenn Gould in seiner Aufnahme der Dritten Klaviersonate durch messerscharf sezierendes, in der klanglichen Differenzierung delikates Spiel zum Spannenden Hörabenteuer zu machen.

Der Opernkomponist

Von der parodistischen Kurzoper über experimentelles expressionistisches Musiktheater bis zum ausladenden Historiendrama umspannt auch Kreneks Opernschaffen alle stilistischen und formalen Möglichkeiten, die ihm sein Jahrhundert bot. Vom einstigen Sensationserfolg Jonny spielt auf hat Heinrich Hollreiser in den Sechzigerjahren einen Querschnitt mit exzellenten Sängern von Lucia Popp und Evelyn Lear bis Thomas Stewart produziert, der späteren Gesamtaufnahmen weit überlegen ist und auch genügend Musik enthält, daß sich der Hörer ein Bild von dieser Oper machen kann. Den parodistischen Operetten-Ton trifft die Aufnahme besonders gut.

Von der konzertanten Aufführung des Orpheus bei den Salzburger Festspielen unter Pinchas Steinberg existiert ein Livemitschnit (Orfeo)

→ Karl V. kam vor der Wiener Erstaufführung konzertant bei den Salzburger Festspielen heraus, exzellent besetzt mit Sena Jurinac, Peter Schreier und Theo Adam - dirigiert von Gerd Albrecht, der dem Wiener Dirigenten Erich Leinsdorf freilich nicht Paroli bieten konnte.

↑DA CAPO