Karl V.
Zur Erstaufführung in Wien, die mit 50 Jahren Verspätung stattfand.
Die Rezension erschien am 2. November 1984 in der Wochenzeitung Die Zeit unter dem Pseudonym Josef Schöndorfer
Mit der Produktion von Ernst Kreneks Karl V., unter eigenwilligen Umständen eingefädelt in der kurzen Direktionszeit Lorin Maazels, fand nach Abgang des dirigierenden Direktors die erste echte Premiere der Ära Seefehlner II statt. Das Werk war ursprünglich Mitte der dreißiger Jahre von der Wiener Staatsoper in Auftrag gegeben, dann aber auf Grund der politischen Wirren nicht aufgeführt worden. Die jetzige Premiere löst also eine Ehrenschuld ein, die mittlerweile fünfzig Jahre alt ist.Der Achtungserfolg; der nun erzielt worden ist, darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, daß Kreneks Musik in der Zwischenzeit reichlich Patina angesetzt hat. Bis zur Pause wird dem Zuschauer die Erzählung, mit der sich der sterbende Kaiser vor seinem Beichtvater zu rechtfertigen sucht, recht lang. Umständlich und lehrstückhaft wird da auf der Bühne unvollständig Geschichte in nur lose zusammenhängenden Szenen nacherzählt und aufgearbeitet. Karl und der französische König, Karl und Luther, Karl und der Papst, Karl und die Türken.
Otto Schenk hat das in den Bühnenbildern von Xenia Hausner in gelacktem Bilderbuchstil inszeniert. Das verschlimmert die Wirkung erheblich, weil nicht versucht wird, die politische Brisanz der einzelnen Handlungsfäden herauszuarbeiten. Die Landsknechte marschieren leutselig, geschniegelt und gewaschen über die Bühne, die gefangenen und geschundenen Ketzer sind so weit im Hintergrund postiert, daß sie möglichst nicht auffallen, der "Sacco di Roma" sieht aus wie ein besseres Kirchweihfest.
Interessant wird Schenks Regie nur bei der Personenführung. Günther Reich zum Beispiel ist dazu angehalten, überzeugend die psychischen Reaktionen Karls V. nachzuvollziehen, während die erzählenden Bilder seiner Vergangenheit abrollen: vom zynischen, altersweisen Mann, der seinen erstaunten jungen Beichtvater über die politischen Sachzwänge aufklärt, bis zum nervösen, unsicheren, von den aus dem Unterbewußtsein hervorgeholten Bildern erschütterten reuigen Sünder, der unter der Last seines Gewissens gequält zusammenbricht. Reich bewältigt den schauspielerischen Gewaltakt ebenso wie die stimmlichen Anforderungen seiner Rolle. Frank Hoffmann steht ihmbesorgt und mit herzlicher Anteilnahme bei.
Von den übrigen Akteuren besticht im ersten Teil nurmehr Gundula Janowitz als Karls sterbende Gemahlin Isabella in ihrer kurzen, aber intensiv gestalteten Szene.
Im zweiten Teil wendet sich das Blatt. Die Musik findet zu suggestiven, kraftvollen Wendungen. Hier hat Krenek im besten Sinne für das Theater komponiert und macht durchwegs den selbstverfaßten, oft plumpen Text vergessen. Die Zähflüssigkeit des ersten Teiles ist überwunden. Der uninteressanten und mit wenig dankbaren Phrasen begabten Tenorpartie des französischen Königs – ausgezeichnet artikuliert und mit ebenmäßig schöner Stimme gesungen von Thomas Moser – steht jetzt der scharf und faszinierend gezeichnete Jesuit Francisco Borgia gegenüber, den Heinz Zednik brillant in seiner zynischen Rechthaberei verkörpert. Karan Armstrong hat in den pulsierenden, in einem großen Bogen gearbeiteten Ausbrüchen der Kaiserin-Schwester Eleonore die vielleicht wirkungsvollsten Momente des Werkes als Chance und nützt sie darstellerisch und gesanglich mit imponierendem Einsatz.
Von den übrigen, in kleineren Partien eingesetzten Kräften überzeugen vor allem Hans Kiemer als Luther und die Schauspieler Edd Stavjanik, Alexander Trojan und Gustaf Elger. Das Staatsopernorchester engagierte sich unter der Leitung von Erich Leinsdorf imponierend für Krenek und faszinierte selbstverständlich vor allem in den dankbareren Partien der zweiten Werkhälfte mit außerordentlichem Schönklang.
Insgesamt bleibt die Genugtuung über eine Wiedergutmachung – ein Repertoirestück wird Karl V. wohl kaum werden.