Alfred Uhl

1909 - 1992
Alfred Uhl war der Sproß einer kakanischen Beamten- und Offiziersfamilie und kam noch in der »guten alten Zeit« zur Welt, erlebte dann freilich zwei Weltkriege und die ästhetischen Revolution des XX. Jahrhunderts - ohne sich von deren Sogwirkung aus der Bahn werfen zu lassen: Uhl komponierte - und unterrichtete - als Exponent einer wienerischen Musiziertradition, die er über das Jahr 1945 hinaus zu »retten« versuchte.

Franz Schmidts Schule

Von seinem Lehrer Franz Schmidt hatte er das dazu nötige Handwerkzeug mitbekommen. Die Kulturtradition Wiens erlebte Uhl als Teenager auch in großbürgerlichen Salons wie bei Familie Degischer, wo täglich musiziert wurde. Die Tochter des Hauses, Vilma, später eine der populärsten Wiener Schauspielerinnen, studierte Tanz und war bei einem von Vater Uhl finanzierten Kompositionsabend des 16-jährigen Alfred Uhl mit einer Balletteinlage zu Uhls Tanzsuite dabei.

Die Kommentatoren waren damals vom Talent des jungen Mannes überzeugt, nach 1945 ziehen ihn des rettungslosen Anachronismus. Die handwerkliche Qualität der Arbeiten Alfred Uhls freilich steht außer Zweifel. Geschult an Akkordarbeit an Soundtracks in der Pionierzeit des Tonfilms hatte Uhl schon in den frühen Dreißigerjahren Musik für den Konzertsaal geschrieben - und wurde vom Feuilleton dafür heftig kritisiert. Seine Österreichische Suite mit den Sätzen »Südsteirisches Weingebiet, Salzburg« und »Donau« galt den Rezensenten als
Filmmusik. Ausgezeichnete Filmmusik, reich an Einfällen und virtuos instrumentiert. Was aber in der Illustration gut ist, erweist sich im Konzertsaal als aufdringlicher Effekt.
Uhl hat seine frühen Werke denn auch zurückgezogen - ein Parallelfall zu Carl Orff. Der erweiterten Dur-MOll-Tonalität ist er jedoch treu geblieben, lediglich die formalen Ansprüche änderten sich. Die Kritik ist dennoch nie ganz verstummt. Die Frage, ob eine bestimmte Musik schon zu ihrer Entstehungszeit tatsächlich »veraltet« sein kann, stellt sich Jahrzehnte nach dem Tod eines Komponisten vermutlich umso weniger, als die Entwicklungen der sogenannten Postmoderne seiner Überzeugung, ohne tonale Bindung sei keine hörenswerte Musik möglich, posthum bis zu einem gewissen Grad zu bestätigen scheinen.

Alfred Uhl hat, dies alles vorausgeschickt, beginnend mit seinem Symphonischen Marsch und dem in der Besetzung von Mozarts Kegelstatt-Trio zu musizierenden Kleinen Konzert ein Erbe von lebendiger, frischer Spielmusik für virtuose Interpreten geschaffen - etwa in der Art, wie sie in Frankreich von Kollegen wie Jean Francaix ohne Skrupel gegenüber angeblich verbindlichen »Vorschriften« der musikalischen Avantgarde geschrieben wurde; allerdings mit unüberhörbar wienerischem Zungenschlag.

Sobald solche Musik wieder als »erlaubt« gelten wird, hätten beispielsweise Klarinettisten aus Uhls Feder nicht nur erfrischend originelle Etüden (die 1938 bei Schott erschienen) zur Hand, sondern auch Kammermusik und - nicht zuletzt - eine Concertante Symphonie, die Clemens Krauss am Pult der Wiener Philharmoniker mit dem Soloklarinettisten des Orchesters, Leopold Wlach, 1944 uraufgeführt hat.

Concertante Symphonie

Dieses Werk entstand in einem rasanten Schaffensprozeß im Schloß des Grafen Carl Khuen-Lützow, der den Komponisten nach einer schweren Kriegsverletzung an der russischen Front, 1941, und seiner Rekonvaleszenz auf sein Schloß an der böhmischen Grenze einlud. Uhl hatte seinen rechten Fuß verloren, war aber nach qualvollen Monaten des Siechtums und einem quälenden Rücktransport nach Wien wieder genesen und bewältigte die traumatischen Erfahrungen durch die Beschäftigung mit Musik. In drei Grusbacher Sommern entstanden Stücke wie das Divertimento für drei Klarinetten und Baßklarinette. vor allem aber die Concertante Symphonie, eines der Hauptwerke Uhls, dessen Uraufführung am Tag nach einem der schwersten Bombenangriffe auf Wien im November 1944 stattfand. Der Uraufführungsdirigent signierte Uhls Originalpartitur mit den Worten:
Zur Erinnerung an die Uraufführung zwischen Bombenhagel / in aufrichtiger Bewunderung

Clemens Krauss' »Widmung«

»Vier Capricen«

In Wien entstand in diesen letzten Kriegsmonaten in einer Art Weltflucht das andere bedeutende Orchesterwerk Uhls, die Vier Capricen, die den Untertitel von Musikanten, Sänger, Gauklern und Komödianten tragen und ein illusionistisches Gegenbild zur katastrophalen Realität malen, wobei der Gaukler ein talentierter Zauberer zu sein scheint, der stets mitten in einem Verwandlungsprozeß ungeahnte neue Farben und Formen entstehen läßt.
Das Werk, 1949 unter Hans Knappertsbusch von den Wiener Symphonikern uraufgeführt, ging bald durch die Hände weiterer bedeutender Dirigenten: Clemens Krauss dirigierte die Capricen bei den Bregenzer Festspielen, Wilhelm Furtwängler nahm sie gar auf eine Tournee mit den Wiener Philharmonikern mit auf Reisen.

Chorwerke

Chorleiter könnten sich über zwei großangelegte Werke freuen, die - wie die Capricen und die ihnen verwandte Vergnügliche Musik für acht Bläser im Komponierhäuschen Uhls in den idyllischen Weinbergen des Wiener Vororts Grinzing entstanden: Die heitere Wilhelm-Busch Kantate Wer einsam ist, der hat es gut (1961), ein abendfüllendes Stück vokaler Unterhaltungsmusik mit frechen Chor-Epigrammen und witzigen Chansons, das dem Komponisten bald die Ehre einbrachte, selbst am Pult der Wiener Philharmoniker stehen zu dürfen:
Das Meisterorchester bat Uhl 1962 zu einer Aufführung der Kantate im Rahmen der philharmonischen Abonnementkonzerte. Den ernsthaften Alfred Uhl zeigt das »oratorische Musikdrama« nach dem altbabylonischen Gilgamesch-Epos (1956), das in seiner lapidar-distanzierten Wucht großen Eindruck machen kann. Der Komponist erzählte später, Passagen aus dem Gilgamesch entsprächen exakt jener Musik, die er als Jugendlicher eines Nachts - etwa zur Zeit der Uraufführung seiner Messe in h-Moll (1926) - im Traum gehört hätte.

Seite aus der handschriftlichen Partitur
Ein Rezensent schrieb, Uhls Gilgamesch-Musik
packt vor allem durch die dramatische Intensität und poetische Transparenz der Tonsprache, in der viele Jahrzehnte neuerer Musik assimiliert erscheinen.

Komische Oper

Auf ein Libretto des beliebten deutschen Komikers Theo Lingen hat Alfred Uhl 1965 sogar eine komische Oper geschrieben, ein Genre, das zu jener Zeit als vollkommen überlebt galt. Die Uraufführung von Der mysteriöse Herr X, eine Art Hauptabendprogramm-Krimi mit Musik als an Pirandello erinnerndes Verwirrspiel, bewies anläßlich der Wiener Festwochen 1966 im Theeater an der Wien, inszeniert von Lingen selbst, das Gegenteil. Doch müßte im Zuge des postmodernen Zeitgeists ein Veranstalter auf die Idee kommen, in den Archiven nach Partituren des mittlerweile vergessenen Komponisten zu suchen. Sein Tod fiel in eine Zeit, da Rückgriffe auf Dur und Moll noch verpönt waren. Sein blendend gemachtes, ausdrücklich als »humoristisch« bezeichnetes Couplet von der Zwölftonmusik für zwei Tenöre mit Schrammelquartettbegleitung, das im wienerischen Tonfall die Verirrungen der musikalischen Avantgarde pardiert, haben ihm viele Kollegen nicht verziehen.

Alfred Uhl, der an der Wiener Musik-Akademie ein gesuchter Lehrer war, durch dessen Schule Vertreter einer gemäßigten Moderne, aber auch später geeichte Avantgardisten von → Friedrich Cerha und → Anestis Logothetis bis → Heinz Karl Gruber und → Rüdiger Seitz gingen, ließe sich wieder entdecken . . .



DA CAPO