Heinz Karl (Nali) Gruber
1. Juli 1992
Zyniker mit einem weiten Herz und offenem Hemd
»Nali« Gruber erzählt, wie viel Musik ein einzelner Komponist lieben kann - und warum
Er ist der große Versöhner unter Österreichs Komponisten. Zu Einem darf er Gottfried sagen, Cerha nennt er Fritz - für Eingeweihte das Signal: Heinz Karl Gruber, kurz »Nali genannt, hat die Quadratur des Kreises geschafft. Nur, daß er die beiden Antipoden noch nicht an einen Tisch und zu einem Gespräch gebracht hat, stört ihn. Gut möglich, daß ihm eines Tages sogar das gelingt.
Grubers Herz ist, so viel steht fest, weit. Er schätzt nicht nur Cerha und Einem gleichermaßen, er weigert sich überhaupt strikt, die Welt durch einen ideologischen Zerrspiegel zu betrachten. Nicht Schönberg und die Wiener Schule oder Strawinsky, Hindemith und andere »Apolliniker, wie er sie nennt, sondern Schönberg und Strawinsky, und auch Kurt Weill, Hanns Eisler oder - ja, das ist nicht zu vergessen! - die Beatles.
Das war, erinnert er sich an die Uraufführung seines bisher erfolgreichsten Werkes, der Frankenstein!-Suite nach H. C. Artmann, für mich etwas ganz Besonderes. In Liverpool, der Beatles-Stadt! Gruber sieht nicht ein, daß sich ein Komponist heutzutage dem verführerischen Reiz der sogenannten Unterhaltungsmusik verschließen soll. Noch dazu, wenn sie künstlerisch so hochentwickelt ist wie eben die der Beatles.
Dabei ist Gruber, das spürt, wer mit ihm spricht, weit davon entfernt, sich unreflektiert dem schönen Schein hinzugeben. Sein scharfes Ohr, sein wacher Geist sezieren Musik neugierig und sichten nach qualitativen, nicht nach »stilistischen Gesichtspunkten.
Nali Gruber kann stundenlang, wirklich stundenlang, über Musik erzählen, kommt vom Hundertsten ins Tausendste, findet immer wieder - auch aus den abstrusesten Positionen - zu seinen Kardinalpunkten zurück. Sein musikalisches Weltbild scheint so gefestigt, wie es offen und weitherzig ist.
Es stimmt schon, was er über die Hervorbringungen mancher Kollegen der »Schönberg-Nachfolge sagt: »Im sogenannten atonalen Bereich, da könne Sie so viel Schindluder treiben, bluffen, hohle Formeln, Allgemeinplätze schreiben, die nach Weiß-Gott-Was klingen und, bei Licht betrachtet, wie die Seifenblasen zerplatzen.
»Ich schreibe Melodien, sagt Nali Gruber am 27. Juni 1992, nach allen seriellen Happenings der vergangenen Jahrzehnte, »und ich weiß ganz genau, daß ich mich damit den Kritikern ans Messer liefere, das Hemd ganz weit aufmache, damit sie nur zuzustoßen brauchen.
Die Eigensinnigkeit, der Mut, der heutzutage offenbar dazugehört, sich zu den traditionellen Parametern kompositorischen Schaffens zu bekennen, solche Eigenschaften hat Gruber vor vielen Jahren an Gottfried von Einem schätzen gelernt: »Weil er sein C-Dur so ungeschminkt, so unverschleiert verwendet hat.
Das sei, so Gruber, eine »weltmännische Sprache gewesen, die nicht im dicken Brei der Chromatik »so herumgerührt hat, wie es zum Beispiel Joseph Marx und andere getan hätten. Auch da, im dicken Brei, könne sich's der Komponist leicht machen, auch ließe sich viel kaschieren, ließe sich bluffen, Bedeutung simulieren, wo gar keine vorhanden.
Mit entblößter Brust zu kämpfen, war offenkundig Nali Grubers Ideal von Anbeginn. »Schon als Bub ist mir die falsche Musik, wie ich das damals bezeichnet hab', so mieselsüchtig vorgekommen. Die Sauerkraut-Musik, ganz tonal mit ein paar falschen Noten versetzt. Der Bluff eben, der Mangel an Rückgrat, einen C-Dur-Akkord ohne augenzwinkernde Alibidissonanz hinzuschreiben.
Zu komponieren begonnen hat er freilich nicht in C-Dur, sondern in a-Moll. »Das war, als ich bei den Sängerknaben zum erstenmal ein Stück in Moll gesungen hab. Das Dur hat mich gar nicht interessiert. Aber das Moll hat etwas ausgelöst. Einen Walzer in a-Moll hab' ich damals geschrieben. Fedinand Grossmann, der große musikalische Erzieher nicht nur der Sängerknaben, hat Gruber dann auch den Weg gewiesen: »Mit dem Komponieren kannst kein Geld verdienen. Mit deine Pratzen mußt Du Kontrabaß spielen.
Noch heute sitzt Gruber am Kontrabaß im ORF-Symphonieorchester. Auch wenn er nicht mehr so enthusiastisch dabei ist wie am Anfang seiner Musiker-Karriere: »Ich nehm' mich aber dann oft zusammen, weil ich merk', wie die jungen Orchestermitglieder einen älteren wie mich zum Vorbild nehmen. Also wird weniger genörgelt, als es manch ein Dirigent vielleicht verdiente.
Nebenbei Kapellmeister und Chanconnier
Gruber selbst ist längst zum Kapellmeister avanciert, leitet Aufführungen von eigenen und fremden Stücken. Vor allem aber ist er Chansonnier, trägt seinen eigenen »Frankenstein! mit einem so hinreißend vielfältigen Repertoire an akustischen und optischen Nuancen, Grimassen, Verzerrungen vor wie etwa die von ihm angeregten »Chansons von Freund Cerha.
Daß dieser heute Stücke komponiert, die derart im Grenzbereich von U-und E-Musik angesiedelt sind, ist wohl Grubers entsprechend »enthemmendem Engagement zu danken.
Der Weg dahin war lang genug. Kennengelernt haben sich Cerha und Gruber im Avantgarde-Ensemble »die reihe, deren Aktivitäten Gruber zunächst durchaus suspekt waren. »Das waren eigentlich alles Psychopathen für mich, Leute, die sich mit einem unglaublichen Eifer für eine Musik engagieren, die sie selber nicht einmal durchschauen. Er -»ich bin ein Zyniker - habe sich also aus lauter Neugier der »reihe angeschlossen, später aber auch mit dem Gleichgesinnten Kurt Schwertsik ein »Mob-Art-Ensemble gegründet, weil für Komponisten, die auch die Beatles gut fanden, gar kein anderer Platz in Österreich war.
Die nächste Oper, sie handelt satirisch vom »deutschen Edelschwein, das keine abartigen Schweine akzeptiert, beginnt mit einer kessen Polka. Freilich: »Da ist schon alles organisiert. Ich hab' da schon meine Reihen, nach denen alles abläuft.
Seriell kontrollierter C-Dur-Klang, die Quadratur des musikalischen Kreises eben. Nali Gruber schafft das. Nicht ohne auf Hanns Eisler zu verweisen und in aller Bescheidenheit festzustellen: »So neu ist das natürlich auch nicht. Irgendwann vereint er noch »den Fritz und »den Gottfried an einem Tisch, und sie werden sich einig miteinander unterhalten. Und selbst das wird er dann als »ganz natürliche Sache hinstellen.
Grubers Herz ist, so viel steht fest, weit. Er schätzt nicht nur Cerha und Einem gleichermaßen, er weigert sich überhaupt strikt, die Welt durch einen ideologischen Zerrspiegel zu betrachten. Nicht Schönberg und die Wiener Schule oder Strawinsky, Hindemith und andere »Apolliniker, wie er sie nennt, sondern Schönberg und Strawinsky, und auch Kurt Weill, Hanns Eisler oder - ja, das ist nicht zu vergessen! - die Beatles.
Das war, erinnert er sich an die Uraufführung seines bisher erfolgreichsten Werkes, der Frankenstein!-Suite nach H. C. Artmann, für mich etwas ganz Besonderes. In Liverpool, der Beatles-Stadt! Gruber sieht nicht ein, daß sich ein Komponist heutzutage dem verführerischen Reiz der sogenannten Unterhaltungsmusik verschließen soll. Noch dazu, wenn sie künstlerisch so hochentwickelt ist wie eben die der Beatles.
Dabei ist Gruber, das spürt, wer mit ihm spricht, weit davon entfernt, sich unreflektiert dem schönen Schein hinzugeben. Sein scharfes Ohr, sein wacher Geist sezieren Musik neugierig und sichten nach qualitativen, nicht nach »stilistischen Gesichtspunkten.
Nali Gruber kann stundenlang, wirklich stundenlang, über Musik erzählen, kommt vom Hundertsten ins Tausendste, findet immer wieder - auch aus den abstrusesten Positionen - zu seinen Kardinalpunkten zurück. Sein musikalisches Weltbild scheint so gefestigt, wie es offen und weitherzig ist.
Es stimmt schon, was er über die Hervorbringungen mancher Kollegen der »Schönberg-Nachfolge sagt: »Im sogenannten atonalen Bereich, da könne Sie so viel Schindluder treiben, bluffen, hohle Formeln, Allgemeinplätze schreiben, die nach Weiß-Gott-Was klingen und, bei Licht betrachtet, wie die Seifenblasen zerplatzen.
»Ich schreibe Melodien, sagt Nali Gruber am 27. Juni 1992, nach allen seriellen Happenings der vergangenen Jahrzehnte, »und ich weiß ganz genau, daß ich mich damit den Kritikern ans Messer liefere, das Hemd ganz weit aufmache, damit sie nur zuzustoßen brauchen.
»Die Melodie ist das Schwierigste
»Ich setze mich dem aus, meint er, »obwohl die Melodie das Schwierigste ist. Es gibt ja keinen Komponisten, der heute noch Melodien schreibt. Gruber schreibt, weil er die Melodik für einen integrierenden Bestandteil aller Musik hält, oder weil er zu seiner eigenen Sinnlichkeit viel zu offen und ehrlich gegenübersteht, als daß er auf sie verzichten möchte.Die Eigensinnigkeit, der Mut, der heutzutage offenbar dazugehört, sich zu den traditionellen Parametern kompositorischen Schaffens zu bekennen, solche Eigenschaften hat Gruber vor vielen Jahren an Gottfried von Einem schätzen gelernt: »Weil er sein C-Dur so ungeschminkt, so unverschleiert verwendet hat.
Das sei, so Gruber, eine »weltmännische Sprache gewesen, die nicht im dicken Brei der Chromatik »so herumgerührt hat, wie es zum Beispiel Joseph Marx und andere getan hätten. Auch da, im dicken Brei, könne sich's der Komponist leicht machen, auch ließe sich viel kaschieren, ließe sich bluffen, Bedeutung simulieren, wo gar keine vorhanden.
Mit entblößter Brust zu kämpfen, war offenkundig Nali Grubers Ideal von Anbeginn. »Schon als Bub ist mir die falsche Musik, wie ich das damals bezeichnet hab', so mieselsüchtig vorgekommen. Die Sauerkraut-Musik, ganz tonal mit ein paar falschen Noten versetzt. Der Bluff eben, der Mangel an Rückgrat, einen C-Dur-Akkord ohne augenzwinkernde Alibidissonanz hinzuschreiben.
Zu komponieren begonnen hat er freilich nicht in C-Dur, sondern in a-Moll. »Das war, als ich bei den Sängerknaben zum erstenmal ein Stück in Moll gesungen hab. Das Dur hat mich gar nicht interessiert. Aber das Moll hat etwas ausgelöst. Einen Walzer in a-Moll hab' ich damals geschrieben. Fedinand Grossmann, der große musikalische Erzieher nicht nur der Sängerknaben, hat Gruber dann auch den Weg gewiesen: »Mit dem Komponieren kannst kein Geld verdienen. Mit deine Pratzen mußt Du Kontrabaß spielen.
Noch heute sitzt Gruber am Kontrabaß im ORF-Symphonieorchester. Auch wenn er nicht mehr so enthusiastisch dabei ist wie am Anfang seiner Musiker-Karriere: »Ich nehm' mich aber dann oft zusammen, weil ich merk', wie die jungen Orchestermitglieder einen älteren wie mich zum Vorbild nehmen. Also wird weniger genörgelt, als es manch ein Dirigent vielleicht verdiente.
Nebenbei Kapellmeister und Chanconnier
Gruber selbst ist längst zum Kapellmeister avanciert, leitet Aufführungen von eigenen und fremden Stücken. Vor allem aber ist er Chansonnier, trägt seinen eigenen »Frankenstein! mit einem so hinreißend vielfältigen Repertoire an akustischen und optischen Nuancen, Grimassen, Verzerrungen vor wie etwa die von ihm angeregten »Chansons von Freund Cerha.
Daß dieser heute Stücke komponiert, die derart im Grenzbereich von U-und E-Musik angesiedelt sind, ist wohl Grubers entsprechend »enthemmendem Engagement zu danken.
Der Weg dahin war lang genug. Kennengelernt haben sich Cerha und Gruber im Avantgarde-Ensemble »die reihe, deren Aktivitäten Gruber zunächst durchaus suspekt waren. »Das waren eigentlich alles Psychopathen für mich, Leute, die sich mit einem unglaublichen Eifer für eine Musik engagieren, die sie selber nicht einmal durchschauen. Er -»ich bin ein Zyniker - habe sich also aus lauter Neugier der »reihe angeschlossen, später aber auch mit dem Gleichgesinnten Kurt Schwertsik ein »Mob-Art-Ensemble gegründet, weil für Komponisten, die auch die Beatles gut fanden, gar kein anderer Platz in Österreich war.
Seriell kontrollierter C-Dur-Klang
»Der Schwertsik hat damals, als ich gerade wieder in einer Krise gesteckt bin, zu mir den vielleicht wichtigsten Satz gesagt, den mir je einer mit auf den Weg gegeben hat: Nali, hat er gesagt, wennst g'rad net weißt, wiest komponieren sollst, dann schreib' einfach die Musik, die Du wirklich hören willst. Gruber hat das wahr gemacht. Abseits von allen stilistischen Doktrinen.Die nächste Oper, sie handelt satirisch vom »deutschen Edelschwein, das keine abartigen Schweine akzeptiert, beginnt mit einer kessen Polka. Freilich: »Da ist schon alles organisiert. Ich hab' da schon meine Reihen, nach denen alles abläuft.
Seriell kontrollierter C-Dur-Klang, die Quadratur des musikalischen Kreises eben. Nali Gruber schafft das. Nicht ohne auf Hanns Eisler zu verweisen und in aller Bescheidenheit festzustellen: »So neu ist das natürlich auch nicht. Irgendwann vereint er noch »den Fritz und »den Gottfried an einem Tisch, und sie werden sich einig miteinander unterhalten. Und selbst das wird er dann als »ganz natürliche Sache hinstellen.