Lady Macbeth von Mzensk

Diese Oper bescherte Schostakowitsch einen der größten Triumphe in seinem Leben. Die Premiere war ein Sensationserfolg. Das Werk wurde sofort in die Spielpläne anderer Opernhäuser übernommen und die Kritiker jubelten über den fortschrittlichen, zukunftsweisenden Stil des Werks. Man hatte das Musterbeispiel einer zeitgemäßen sowjetischen Oper gefunden.

Oder meinte zumindest, sie gefunden zu haben. Doch bald, nachdem sich auch international Erfolg eingestellt hatte und Lady Macbeth auch in den USA zum Straßenfeger wurde, begannen die Partei-Granden in Schostakowitschs Heimat die Messer zu wetzen. Die Oper hatte in der ersten Spielzeit 83 Aufführungen in Leningradund 97 in Moskau erlebt.

Eine der härtesten Attacken, die je offiziell gegen einen Künstler in der Sowjetunion geritten wurden, traf Schostakowitsch nach der Aufführung seiner erfolgreichen Oper in Moskau, der Stalin und seine Vasallen beigewohnt hatten. Auf den Jubel des Publikums - erneut mußte sich Schostakowitsch einige Male verbeugen - folgte ein von Stalin lancierter Artikel in Prawda, der unter dem Titel Chaos statt Musik traurige Berühmtheit erlangte - und der ein kulturhistorisch-zeitgeschichtliches Dokument ist.

In diesem Artikel heißt es unter anderem:

Einige Theater präsentieren derzeit dem inzwischen kulturell reif gewordenen sowjetischen Publikum die Oper »Lady Macbeth von Mzensk« von Schostakowitsch als jüngste Innovation und bedeutende Leistung. Willige Rezensenten loben das Werk über den grünen Klee und machen alle darauf neugierig. Der junge Komponist hört bereitwillig das hohe Lob, achtet aber nicht auf grundlegende, ernsthafte Kritik, die für seine künftigen Arbeit hilfreich sein könnte. ... In dieser Oper wird der Hörer vom ersten Takt an von einem willkürlichen Fluß von Dissonanzen überschwemmt. Melodienfetzen, kleine Partikel musikalischer Phrasen tauchen auf, gehen wieder unter in Lärm, Knirschen und Quietschen. Es ist kaum möglicher, einer solchen »Musik« zu folgen und völlig unmöglich, davon etwas im Kopf zu behalten. ... Es ist Musik, die absichtlich »auf den Kopf gestellt« wurde, damit nichts darin den traditionellen Opern ähneln möge ... So viel Künstlichkeit könnte in eine traurige Sackgasse führen. ... Könnte es sein, daß diese »Lady Macbeth« beim bourgeoisen Publikum im Ausland deshalb erfolgreich ist, weil sie chaotisch und absolut unpolitisch ist?

Einen solchen - von allerhöchster Stelle gesteurten - Angriff konnte in Stalins Reich niemand unbeschadet überleben. Schostakowitsch wurde eine Zeitlang zur Unperson, seine Oper wurde von den Spielplänen abgesetzt - und er selbst zog die Konsequenzen: Die vollendete Vierte Symphonie zog er kurz vor der geplanten Uraufführung zurück. Sie war in ebenjenem Stil komponiert, der von Stalins Gnaden nun als »chaotisch« gebrandmarkt worden war.



Die Verdammung und Absetzung seiner Oper und die Rücknahme der Vierten markierten Schostakowitschs Niederlage. Er hatte gedacht, als freier Komponist seinen Stil und seine persönliche Linie gefunden zu haben - und mußte nun erkennen, daß er vermutlich nie wieder Musik veröffentlichen durfte, wie er sie sich erträumte.

Die kommunistische Nomenklatura ließe keinen Zweife daran, daß sich alle Künstler in ihrem Land den Vorgaben der Partei zu beugen hätten. Auch Schostakowitwsch durfte da - seinen Erfolgen im Ausland zum Trotz - keine Ausnahme machen.

Man lud ihn vor, um ihn zu indoktrinieren. Über die erste dieser Belehrungen gibt es ein offizielle Protokoll, daß an die Parteivorsitzenden geschickt wurde.

An den Genossen Stalin und den Genossen Molotow.

Heute hat mich der Komponist Schostakowitsch (auf eigenen Wunsch) besucht.

Als Antwort auf meine Frage, welche Konseqzenzen er aus dem Artikel in der »Prawda« für sich gezogen hatte, antwortete er, er wolle durch seine künstlerische Arbeit beweisen, daß er die Richtlinien, die im Leitartikel vorgegeben wurden, für sich akzeptiert hätte.

Auf meine Frage, ob er der Kritik vollinhaltich zustimme, entgegnete er, er stimme dem größten Teil zu, hätte aber nicht alles vollkommen verstanden

...

Ich empfahl ihm dringend, sich vom Einfluß bestimmter gefälliger Kritiker wie Sollertinsky frei zu machen, die voll des Lobs über die übelsten Aspekte seines Schaffens seien, jene nämlich, die den Einfluß der westlicher Expressionisten verraten

...

Ich gab ihm den Rat, dem Vorbild Rimskij-Korsakows zu folgen und durch Dörfer der Sowjetunion zu reisen, um Volkslieder aus Rußland, der Ukraine, Weißrussland und Georgien zu sammeln, die Hundert Besten davon auszusuchen und zu bearbeiten. Dieser Vorschlag gefiel ihm. Er möchte auf ihn eingehen.

Weiters schlug ich vor, daß er, wenn er das nächstmal eine Oper oder ein Ballett zu komponieren gedenken, uns kontaktieren möge, um das Libretto vorzulgen. Und daß er während des Arbeitsprozesses, fertige Abschnitte seines Werks, probeweise einem Publikum von Arbeitern und Kollektivbauern vorführen möge.

Er bat mich, Ihnen mitzuteilen, daß sowjetische Komponisten sich sehr gerne beim Genossen Stalin zu einer Unterredung einfinden würden.

In welchen Umständen Kunstschaffende in der sowjetischen Zukunft zu leben hatten, wurde dem Komponisten nun klar. Der stalinistische Terror machte vor Musik, Malerei und Literatur nicht Halt.

Allein die Liste der ermordeten Schriftsteller jener Jahre liest sich noch ein knappes Jahrhundert danach beängstigend: Maxim Gorki, wiewohl dem Regime ergeben, starb unter ungeklärten Umständen, sein Sekretär wurde bezichtigt, ihn ermordet zu haben. Ossip Mandelstam wurden ebenso ermordet wie Boris Krnilow und Isaac Babel. Anna Achmatowa verlor ihren Mann, Marina Zwetajewa beging 1941 Selbstmord...

Schostakowitsch lebte hinfort in Angst. Die großteils vernichtenen Besprechungen seiner Oper klebte er, der sich zuvor nie für Rezensionen seiner Werke interessiert hatte, feinsäuberlich in ein Heft ein und unterstrich bestimmte Passagen mit Bleistift. Dieses Dokument einer menschlichen Katastrophe hat sich erhalten und liegt im Schostakowitsch-Archiv.



Der Komponist war sich bewußt, ab sofort sozusagen mit gespaltener Zunge sprechen zu müssen - was immer er sagen wollte, mußte verschlüsselt werden. Kenner sollten »zwischen den Zeilen« vernehmen, worum es ihm tatsächlich ging.



Mit seiner → Fünften Symphonie legte der Komponist das erste große Beispiel für solch tönende Selbstverleugnung vor.

↑DA CAPO