Spannender als ein Fernsehkrimi

»Lady Macbeth von Mzensk« an der Volksoper

Es war, als hätte das Fernsehen aus Versehen einmal einen spannenden Kriminalfilm angesetzt, der vergessen macht, daß eine Fernbedienung zum Umschalten einlädt.

Dezember 1991
Mit Mord und Totschlag, Auspeitschungen, brutalem Sex, Vergewaltigung, Orgien und sarkastischem Gelächter hat Dmitri Schostakowitschs "Lady Macbeth von Mzensk" in Wien Einzug gehalten.

Einst hat sie einen Stalin aus dem Theater getrieben und wurde so zum auslösenden Faktor der staatlichen sowjetischen Kulturvernichtungsmaschinerie. Tatsächlich ist ihre geradezu perfide Verschmelzung von beißender Satire und grausam realistischer Darstellung brutalster Verbrechen im musiktheatralischen Bereich beispiellos.

Die Substanz der Partitur ist von der virtuosen Art der Schostakowitsch-Symphonien, mit denen russische und amerikanische Präzisionsorchester dank der Antinomie von messerscharfen Blechbläserkaskaden und expressiv verzehrenden Streicherkantilenen allenthalben Staunen erregen.

Donald Runnicles heißt der Dirigent, der das Wunder vollbrachte, dem Orchester der Wiener Volksoper entsprechend virtuoses, von nie erlahmender Intensität getriebenes Spiel abzutrotzen. Unausgesetzt gibt die Musik im Orchestergraben Energien frei, attackierend, als grelle Karikatur, dann wieder eines Sinnes mit den vielfältigen Leiderfahrungen, von denen die Handlung auch erzählt.

Christine Mielitz hat dieses ständige Changieren der musikalischen Betrachtungsebenen kongenial in szenische Aktion verwandelt. Je nach Suggestion der Klänge wird Theater gespielt: brutal, karikierend, witzig, grausam. Und alles das in jedem Fall mit unerbittlicher Konsequenz. Jugendfrei ist "Lady Macbeth" jedenfalls nicht.

Gewalt herrscht unumschränkt. Aus Gewalt resultiert offenkundig auch der Sexualtrieb der Figuren, der wiederum die mörderische Geschichte in Gang setzt. Der direkte Zugriff der Inszenierung wie der Musik überträgt sich nolens volens auf die Zuhörerschaft. Ganz eingebunden in den surrealistischen Theaterkosmos, lacht sie auch, wann immer sich Schostakowitschs Sarkasmus ausläßt. Und sein Humor geht über Leichen.

Dies unausweichlich vermittelt zu haben, garantiert den unmittelbaren Erfolg dieser "Lady Macbeth". Über alle Kiminalfilmspannung, übersinnlichen Geisterspuk und Action hinaus, die in der Aufführung auch - und nicht zu knapp - enthalten sind.

Den Ausführenden gebührt höchstes Lob, den atemberaubenden Vorgaben von Regisseuse und Dirigent entsprochen zu haben. Nahezu jeder einzelne erfüllt die ihm zugedachte Rolle so konsequent wie Rebecca Blankenship, die sich von der fadisierten Kaufmanns-Gattin in eine blutrünstige "Lady Macbeth" verwandelt.

Kurt Schreibmayer, jeder Zoll glaubhaft ein hühnenhaft lässiger Weiberheld, ist der Gehilfe, der seiner Chefin den langersehnten allnächtlichen Lustgewinn verschafft und sie so zur Mörderin macht: an ihrem lüsternen Schwiegervater - den Wicus Slabbert zu einer grandiosen Charakterstudie werden läßt - wie am Ehemann, der bei Gregor Caban ein rechtes Simandl sein darf, angstvoll zähnefletschend vor den Ansprüchen des Vaters wie vor denen der eigenen Frau.

Ein brillantes Solo ist Ernst-Dieter Suttheimer gegönnt. Er gibt in einer virtuosen Choreographie den besoffenen Bauern, der nichtsahnend eine im Keller verscharrte Leiche findet. Schostakowitsch komponiert hier funkelnd und attackierend das Scherzo seiner "Opernsymphonie". Suttheimer, beweglich und wie an Marionettenschnüren geführt von Christine Mielitz, spielt es auf der Szene aus.

Und beendet damit gleichzeitig das zuweilen orgiastisch gefeierte Dolce vita der "Lady Macbeth". Ihr Abstieg endet im sibirischen Sträflingslager. Dort betrügt sie ihr Galan auf so rücksichtslose Weise wie er sie zuvor - im Zweikampf, also im wahrsten Sinne des Wortes - errungen hat.

Der auch für die Nebenbuhlerin tödliche Selbstmord der Titelheldin findet - einziger Kritikpunkt in einem Ambiente statt, das der Suggestionskraft der ersten drei Akte nicht mehr gewachsen ist. Der wie eine Bienenwabe bevölkerte Stahlkäfig von Peter Heilein, zuerst souverän durch verschiedenste Drehbühneneffekte nutzbar gemacht, entpuppt sich da plötzlich als kontraproduktiv, ist nicht mehr symbolträchtig, hemmt nicht die Figuren an der Kontaktaufnahme, sondern behindert nur mehr die Darsteller am Spielen.

Dennoch fährt dem Zuschauer auch das eisige Finale dieser Inszenierung in die Glieder. Musiktheater total, vom Hauptdarsteller bis zum Choristen. Mit einem Orchester, das diesmal wirklich als Katalysator fungieren muß und diese Rolle auch fulminant erfüllt. Der tosende Applaus für die Musiker schon nach der Pause war verdient. Er verteilte sich hernach gleichmäßig auf alle Beteiligten.

Die Mundpropaganda allein sollte genügen, um diese begeisternde Produktion zu einem "Dauerbrenner" im Repertoire, nicht - wie offenbar geplant - zu einem Minderheitenprogramm für vier Abende zu machen.


↑DA CAPO